62: Ein Entschluss fordert seinen Preis

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Ich saß im Schneidersitz auf meinem Bett und rieb mir die kalten Hände. Unten war es seit etwa zwei Stunden still. Arthur und seine beiden Kinder hatten Gareths Haus gegen Abend verlassen, wo der dritte Alpha abgeblieben war, wusste ich nicht. Es war mir auch egal, da Urs sich der Entscheidung der anderen, ohne darüber nachzudenken, angeschlossen hatte.

Während ich meine Beine ausstreckte und weiterhin nach auffälligen Geräuschen lauschte, konnte ich die Gedanken an Joshua nicht abschalten. Ich hatte selbst erlebt, wie es bei Utopia zuging. Als eines ihrer wertvollen Experimente. Vermutlich erging es mir dort recht gut vergleichen mit denen, die nur den Zwecken der „Wissenschaft" dienten. Mir wurde übel und eine Gänsehaut überzog meine Arme, obwohl ich einen dicken Pullover trug.

Keiner der Alphas wollte uns helfen und auf Damian konnte ich mich momentan auch nicht verlassen. Er hatte zurecht an seinen vergangenen Taten zu kämpfen, aber es brachte uns kein Stück weiter. Wir traten auf der Stelle und wenn es eines gab, was ich überhaupt nicht mochte, dann war es in Wartestellung zu verharren.

Mein Herz schlug wie verrückt, meine Brust schmerzte und fühlte sich schwer an. Ich bekam kein Auge zu und mochte nichts essen. Nicht heute Abend. Wie konnten die anderen so ruhig bleiben? Joshua war die eine Sache, aber in Punkto Utopia konnte sich der Rest der Werwölfe doch unmöglich darauf verlassen, dass ihr Versteck ausreichte. Dass diese grauenhaften Menschen sie niemals finden würden.

Ich wickelte mich in die Decke ein, ein Bein darunter, das andere darüber und schloss die Augen abermals. Ein bisschen mehr Kraft würde ich benötigen, wenn ich auf eigene Faust lostürmen würde. Zugegeben, keine gute Idee. Eine doch eher sehr schlechte Idee, was mir Ryans Beispiel hätte bewusst machen müssen, aber ich lehnte es ab, seine Entscheidung zu meiner Rettung als eindeutigen Fehler zu betrachten. Natürlich war es unüberlegt und gefährlich gewesen. Das Endergebnis jedoch, so skurril und einschneidend es letztlich war, hatte viel Gutes.

Eine weitere Stunde ließ ich noch vergehen, dann zog ich mir meine völlig ausgetretenen Schuhe an und schlich über den Flur, als mir die Eingebung kam, Ryan vielleicht doch von meinem Vorhaben zu beichten. Er würde sich Sorgen machen, mehr noch, er würde vollkommen ausrasten, wenn er erführe, dass ich mich allein Utopia stellen wollte. Das war so nicht ganz richtig, denn ich würde mich nicht der Organisation an sich stellen. Ich wollte in die Stadt, nahe ihrem Hauptquartier. Falls Gideon Joshua abermals als Spürhund oder sogar Lockvogel verwenden würde, müsste ich ihn irgendwo in der Nähe finden. Oder er mich, wobei ich nicht sicher war, welches Szenario mir besser gefiel. Denn sollte Utopia ihn auf ihre Seite gezogen haben, wäre ich ein gefundenes Fressen.

Noch während ich die Haustür öffnete, befürchtete ich, dass mich jemand hören könnte. Aber es blieb still im und ums Haus. Ich atmete auf, lief los.

Gideon würde mich nicht umbringen. Ich war bis jetzt sein einziges Experiment, das lebte und offenbar gelungen ist. Auch jemand wie er würde seinen größten Erfolg nicht so einfach zerstören wollen, also konnte ich mich halbwegs sicher schätzen, sollte er mich fangen. Was sicherlich nicht Teil meines Planes war, wobei ich mein Vorhaben auch nicht als Plan bezeichnen würde. Eher eine Idee, die in der Umsetzung wahrscheinlich scheitern würde, aber die anderen hatten mir klar gemacht, dass sie an einer Befreiungsaktion nicht interessiert waren.

Und Ryan?

Ihn wollte ich nicht in Gefahr bringen, obwohl mir bewusst war, wie dumm dieser Gedanke war. In dieser Hinsicht schienen wir uns sehr ähnlich. Wir stellten unsere eigene Sicherheit hinter den Schutz der anderen. Hinter den Schutz des Rudels. Ich dachte bereits wie ein Werwolf und musste dabei feststellen, dass ich eigentlich nie anders gedacht hatte. Natürlich fürchtete ich mich, es wäre bedenklicher, wenn ich voller Elan in mein Verderben rennen und mich selbst dabei im Vorteil sehen würde. Egal was mich letztlich in der Stadt erwarten würde, falls ich jemandem – im besten Falle Joshua – dort begegnen würde, müsste ich mich auf eine Auseinandersetzung gefasst machen.

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