Depression

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"....Depressionen können zum Tode führen. Der Mensch, der keinen Ausweg sieht, ritzt sich, nimmt Tabletten, oder erhängt sich. Manche stürzen sich von Klippen. Das Schwere daran ist, die Depression selbst zu erkennen. Andere, Freunde, Familienmitglieder oder der/die Freund/in kann es bei einer Person erkennen, wenn der Betroffene nichts isst oder viel isst. Wen seine Hobbys/ Interessen für ihn keine Bedeutungen mehr haben. Klar kann es sein, dass er einmalig mal keine Lust dazu hat, aber wenn das öfters auftreten sollte, kann es schon ein Zeichen dafür sein....“ 

Ich sehe aus dem Fenster, während meine beste Freundin ihren Beitrag leistet. Das Thema war Krankheiten, die schwer zu erkennen sind und/ oder nicht immer von anderen Menschen als Krankheit anerkannt wird. Zwar läuft im Fernsehen eine Werbung zu Depressionen, aber auch erst seit ein paar Tagen. Es wird auch nicht Jeder seine Meinung dazu ändern. Ich Selbst bin ein Opfer dieser Krankheit und meine sogenannten Freunde haben bis jetzt auch noch nicht bemerkt. Nicht einmal Kaede und sie hält das Referat gerade dazu! Noch dümmer konnte man nicht sein, oder? In dieser Zeit merkt man auch wer seine Freunde sind und wer Heuchler. Anscheinend gehört sie, wie Karma, der „überraschenderweise“ auch nichts bemerkt, zu den Heuchlern. Bemerke ich denn überhaupt noch meinen eigenen Sarkasmus? Ich denke nicht und große Lust darüber nachzudenken habe ich auch nicht, da hänge ich lieber mit meinen Gedanken an traurigen Momenten, damit ich schön weiter fallen kann.

Kaede höre ich nur noch am Rande zu, bevor ich sie komplett ausblende. Ich würde jetzt wieder weinen, wenn ich nicht mitten in einer Schulstunde stecken würde. Und während meine Augen wieder rot werden würden, würde ich wieder den Boden oder meine Klamotten mit meinem Blut einsauen.

Warum ich depressiv wurde? Das weiß ich selbst noch nicht einmal. Ich habe Stress Zuhause, schreibe durchgehend schlechte Noten. Ich lache zynisch in meinen Kopf auf. Hätte unsere Schule eine Klasse E, dann würde ich darunter fallen. E für Ende. Ich würde mein Leben beenden, hätte ich es nicht schon oft genug versucht. Ich hatte schon so oft in meinen Arm geschnitten, mal fester, mal leichter, je nach meiner Gefühlslage. Ich hätte es auch schon einmal fast geschafft, meine Ader zu durchschneiden, hätte man mich nicht an diesem Tag so gestört und wäre nicht diese Nachricht auf meinem Handydisplay erschienen. Es war eine Nachricht von Karma gewesen. Er wollte mich treffen und zwar heute nach der Schule. Ich erinnere mich, als wäre es erst heute in der Früh gewesen, vielleicht weil es so war?

Die Sonne scheint heute hell und kräftig. Ich habe einen dicken Verband um die Verletzung gebunden und darüber ist meine Schuluniform. Hätte sie keine Ärmel, hätte ich einen Pullover angezogen, egal ob mein Lehrer darüber erbost wäre oder nicht, egal ob er mich dann zum Direktor schicken würde, es wäre mir egal gewesen, immerhin hatte ich mir eine plausible Erklärung zurecht gelegt. Ich bin nicht dumm und ich weiß, dass man sehen kann, das ich etwas Dickes darunter habe. Für Fragen dieser Art hatte ich mir auch schon etwas zurecht gelegt. Nicht, dass sie Fragen stellen würden, aber für den Fall der Fälle…

Lautes Klatschen lies mich aufzucken und nach vorne sehen. Meine Freundin scheint fertig zu sein und ihr Erfolg war auch augenscheinlich nicht zu klein. Kurz sah ich nach hinten. Karma schien genau wie ich in Gedanken versunken gewesen zu sein. Mein Blick huscht zur Uhr, die an der Wand hängt. Bald ist der Unterricht zu Ende und das heißt, bald würde ich mit Karma etwas unternehmen, aber was das war, hatte er nicht erwähnt.

Die Bewertung von unserem Lehrer war jetzt auch nicht wirklich schlecht. Am Rande bekomme ich die Minuspunkte zu hören. Also dass sie an manchen Stellen gestottert hatte oder das die Zahl der Depressiven in Japan nicht gestimmt hatten. Mehr hatte ich nun wirklich nicht mitbekommen, viel eher dachte ich über den Rothaarigen nach. Wieder glitt mein Blick zur Uhr. Noch 14 Minuten und den Tag hatte ich überstanden, das heißt, wenn ich noch den Rest davon überstehe, immerhin ist der Tag nach der Schule noch längst nicht vorbei und zudem will ich endlich wissen, was Karma nun wirklich von mir möchte. Dass er etwas über meinen Zustand bemerkt haben könnte, glaube ich nicht, immerhin verstecke ich das so gut, wie es eben ging und dafür interessieren tut er sich auch nicht, oder? Aber aus mir unerfindlichen Gründen fange ich an zu schwitzen, meine Hände sind schon etwas nass geworden und mir ist heiß. Was ist heute nur los mit mir? Liegt das an Karma?

Erneut schrecke ich auf, als die Klingel der Schule laut seinen Ton preis gibt. Ich sehe mich um. Karma sitzt noch gelassen auf seinem Platz, während die anderen unserer Mitschüler ihre Sachen einräumen. Fasst alle reden aufgeregt miteinander, während andere schon grinsend in das Wochenende starten wollen. Ich mache mich langsam daran meinen Schulpack mit Stiften und Büchern einzuräumen. Während die anderen den Lehrer verabschiedeten, sagte ich nichts, blieb stumm, weil ich Angst hatte, Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.

Nach und nach wurde der Klassenraum immer leerer, bis nur noch ich und Karma hier waren. Er kommt auf mich zu und während ich aufsehe, sieht er mich an, mit seinen funkelnden Rot und streckt mir seine Hand hin. Soll ich sie nehmen oder nicht? Nach ein paar Sekunden des Überlegens  entschloss ich sie dankbar anzunehmen. Seine Hand fühlt sich warm an und erst jetzt fällt mir auf, das ich vor Kurzem noch schwitzige Hände gehabt hatte. Mit roten Wangen hoffe ich, dass er es nicht bemerkt, was er vielleicht auch nicht tut oder ignoriert, den er hilft mir von meinem Platz hoch ohne das ich etwas erfahren würde, was er denkt und fühlt. Mit seiner anderen Hand nimmt er meinen Rucksack hoch, gerade als ich protestieren wollte, zieht er mich schon aus dem Klassenraum hinaus.

„Wo willst du hin, Nagisa?“, er sieht zu mir nach hinten und lächelt mich an, während wir aus dem Schulgebäude gehen. Ich zucke bloß mit meinen Schultern. Ich weiß doch auch nicht, was er von mir will. Leise seufzt er. „Gut, dann gehen wir zu mir nach Hause, ich müsste sowieso mit dir über etwas reden.“ , ich nicke. Während dem Weg zu sich nach Hause hatte er nichts mehr zu mir gesagt.

Er macht mir die Tür zu seinem Haus auf. Nachdem ich hineingegangen bin, kommt er auch schon nach. „Meine Eltern sind wie immer nicht da" Er führt mich zu seinem Zimmer hoch und deutet auf sein Bett. "Nimm doch Platz.“ Ich setze mich nach seiner Aufforderung hin und er neben mich. Ich weiß nicht, was gerade mit mir los ist, aber ich spüre den Drang irgendetwas machen zu müssen. Jede Stelle, die Karma von mir berührt, fängt sofort an zu prickeln und ich werde immer öfter rot. Warum fasst er mich auch an? Ist Händchen halten überhaupt freundschaftlich? Auch seine Blicke zeugen von etwas ganz Anderem. Sein Kopf kommt auch immer näher zu dem Meinen. Soll ich zurückweichen? Ich spüre schon seinen heißen Atem auf meinen Wangen und dann… er spricht etwas in mein Ohr, nur ganz leise. Wollte er mich nur nicht verschrecken?

„… und Nagisa, ich weiß von deinem kleinen Geheimnis.“ Ich keuche erschrocken auf und wollte gerade von ihm zurück weichen, er aber hatte mich fest im Griff, mit geschickten Bewegungen hatte er mein Ärmel der Schuluniform nach oben gezogen und den Verband abgemacht. Ich wollte mich wehren, aber dazu kam es erst gar nicht, weil er mich kurz davor noch auf sein Bett gedrückt hatte. Ich zittere und wenige Sekunden später fange ich an zu schluchzen, meinen Arm versuche ich dennoch halbherzig loszubekommen, aber egal wie sehr ich es versucht hätte, ich hätte ihn nie von Karma befreit, er ist viel stärker als ich. Erst als er meine vielen Wunden und Narben gesehen hatte, lies er mich los. Ein Seufzen durchdringt seine Lippen.

„Es ist noch schlimmer als gedacht.“, murmelt er dabei zu sich selbst und zieht mich wieder in eine aufrechte Position hoch, ehe er mich umarmt. Ich drücke ihn von mir weg, ich wollte das jetzt nicht, ich will jetzt einfach nur nach Hause. Jetzt, da es Karma gesehen hat, wird er mich bestimmt nur noch mehr verletzen und genau das will ich nicht, er würde mir den letzten Stoß geben, sie würden mich am nächsten Tag tot in meinen Zimmer wiederfinden. Meine Tränen werden von meinen Gedanken nur noch mehr. Ich weiß nicht, aber die Gedanken daran tun mir so viel mehr weh als die Realität je könnte. Tausend Stiche in meinem Herzen und das nur wegen meinem eigenen Gehirn.

Karma lässt mich noch immer nicht los. Mein Körper erschlafft, ich hatte einfach keine Kraft mehr gegen ihn anzukämpfen. Er hebt mit Daumen- und Zeigefinger mein Kinn an, willenlos sah ich ihm in die Augen. Meine Tränen versiegen auch nach und nach. Er lächelt mich an und ich lächle auch. Es ist das Erste seit langer Zeit, dass nicht aufgesetzt oder falsch ist.

„Ich werde dir helfen.“, flüstert er. Karma drückt mich wieder zu sich und in seine Brust. Auch wenn ich es zuvor nicht wollte, weil er etwas von mir gelüftet hatte, so war mir immer bei ihm wohl. So wie jetzt auch. Ich habe das Gefühl, als könnte er mir wirklich helfen.

Wieder lässt er mich los und ehe er auch nur im geringsten reagieren konnte, presste ich meine Lippen auf die Seinen, etwas was schon viel zu spät von mir kommt. Ich liebe ihn immerhin schon länger, jetzt bleibt nur noch abzuwarten, was er tut.

Sekunden vergehen, in denen er nichts tut. Ich wollte gerade enttäuscht von ihm zurückweichen und mich bei ihm entschuldigen, aber er legt seine beiden Arme um mich und drückt mich näher zu sich und intensiviert den Kuss zwischen uns Beiden. Glücklich schloss ich nun zum ersten Mal meine Augen, ohne an Suizid zu denken.

Book of Love ~ KargisaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt