„Ich fühle mich echt nicht gut“
Zurück im Wohnwagen wird Elyas aus seinen Gedanken gerissen, als die Tür nach einem kurzen Klopfen von aussen aufgerissen wird. „Es geht weiter. Bist du bereit?“ ruft ihm jemand vom Set zu. Elyas springt auf, zieht sich schnell um und geht zum Set.
Es ist schon dunkel, als er im Auto nach Hause sitzt. Aicha und er wohnen in einer Produktionswhohnung. Fast der ganze Komplex wurde von Universal Studios gemietet um dort Schauspieler unterzubringen und gerne treffen sie sich abends mal zum grillen und Bier trinken. Elyas hat Glück, dass Aicha fast immer mit ihm mitreisen kann, da sie als Modedesignerin von überall auf der Welt arbeiten kann. Sie arbeitet für eine grosse Modemarke und macht ausschliesslich Entwürfe und schickt ihre Zeichnungen an die Schneiderinnen. Sie liebt ihren Job und würde ihn auch für Elyas nicht aufgeben wollen.
Elyas überrascht Aicha gerne mit Geschenken. Manchmal beschwert sie sich sogar, dass er sie mit Geschenken überhäuft, da sie selbst gut verdient und sie sich alles selbst kaufen könnte. Heute betritt er die Wohnung mit einem Strauss rosaner Rosen. Aicha steht in der Küche und bereitet gerade das Essen vor. Er küsst sie zärtlich und überreicht ihr die Rosen. Aichas Augen glänzen und sie bedankt sich mit einem Kuss. Beim Essen verzieht Aicha schmerzverzehrt das Gesicht. Elyas fragt besorgt, was los ist. „Keine Ahnung, ich habe Unterleibsschmerzen und meine Brüste spannen. Und Probleme mit dem Kreislauf hatte ich heute früh auch. Ich habe schon einen Termin beim Arzt gemacht, für morgen mittag.“ sagt sie schlecht gelaunt. „Ich habe morgen Nachtdreh und muss erst abends ans Set, ich komme mit.“ sagt Elyas und streichelt ihr Gesicht. „Das ist schön. Aber ich gehe jetzt ins Bett. Ich fühle mich echt nicht gut. Räumst du bitte den Tisch ab? Gute Nacht!“ spricht Aicha während sie aufsteht, ihm einen schnellen Kuss gibt und im Schlafzimmer verschwindet. Elyas ist verwirrt und zutiefst besorgt. Normalerweise hat Aicha nie schlechte Laune, wenn er mit ihr zusammen ist.
Natürlich räumt er den Tisch ab und sucht dann nach dem Drehbuch um schon mal für morgen Text zu lernen. Während er die Seiten des Drehbuchs durchblättert, läuft im Hintergrund Musik. Plötzlich lässt er das Drehbuch auf seine Knie sinken und denkt laut: „Warte mal, Aicha ist doch nicht etwa ... schwanger?! Nein, kann nicht sein, sie nimmt die Pille. Aber die Symptome würden ganz genau passen...“ Seine Gedanken rasen. Geplant war es ja nicht, aber nett wäre es schon, eine Familie zu haben. Er ist sich aber nicht sicher, ob sie schon Kinder möchte. Sie ist ja noch recht jung. Er steht auf, macht sich eine Zigarette an und sucht nach einer Flasche Rotwein. Ihm wird bewusst, dass sich Einiges ändern würde, wenn so ein Kind da wäre. Wahrscheinlich müsste auch er sich ändern. Er sollte vielleicht aufhören zu rauchen, zumindest hier in der Wohnung. Könnten sie mit einem Kind noch so viel reisen? Es ist eine grosse Verantwortung und er bekommt weiche Knie. Während er an der Küchentheke steht, am Weinglas nippt und an der Zigarette zieht, spürt er plötzlich, wie es wackelt. „Fuck, Erdbeben!“ Das Glas fällt runter und anstatt nach draussen zu laufen, rennt er ins Schlafzimmer, rüttelt Aicha wach und zieht sie hinter sich her.
Nach wenigen Sekunden stehen alle Bewohner des Hauses unten auf der Rasenfläche und gucken sich erschrocken an. „Ich wette, das war ein 6,7.“ sagt ein Amerikaner. „Nee, mehr, bestimmt 7,5.“ meint der Nächste. Elyas guckt in Aichas verschlafene Augen und fragt: „Alles OK?“ Sie nickt und kuschelt sich in seine Arme.
Sie warten noch 20 Minuten auf Nachbeben, gehen dann aber alle wieder in ihre Wohnungen um aufzuräumen. Ein paar Bücher sind aus dem Regal gefallen, der Wein hat den Küchenboden rot verfärbt und ein paar Scherben liegen rum, aber ansonsten gibt es keine Schäden. Elyas und Aicha gehen ins Bett und können nicht gleich einschlafen, aber die Gedanken an möglichen Nachwuchs sind wie weggefegt.