2. Kapitel

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Ich war dann wieder eingeschlafen, aber träumte nichts - beziehungsweise erinnerte ich mich nicht mehr daran, als ich aufwachte und niemand in meinem Zimmer war. James war auch nicht da. Niemand. Als ich geschlafen hatte, senkte sich James' Atmung verhängnisvoll, weshalb die Ärzte ihn weggebracht hatten. Ich habe keine Ahnung was sie dann gemacht haben, aber auf jeden Fall wurde er dann an den Beinen operiert, die gebrochen und gequetscht waren.

Ich machte Anstalten, irgendwie aufzustehen, um auf die Toilette zu gehen, die zum Glück nicht weit von meinem Bett weg war. Irgendwie hatte ich es auch geschafft mich hinzustellen, aber mein Kreislauf spielte von da an nicht mehr mit, wodurch mein Körper wieder in's Krankenbett fiel. Verdammt. Dadurch war ich gezwungen, den Schalter zu drücken, der die Krankenschwestern herbeirief. Schon bald kam eine junge Dame in das Zimmer spaziert und fragte mich höflich nach dem Anlass. Meine erste Frage war: "Wo ist James Millhauser?" Die Schwester sah mich ernst an und meinte mit lebhafter Stimme: "Wir mussten ihn kurz wegbringen in einen OP-Saal, aber bald wird er wieder hier sein. Gibt es sonst noch etwas?" "Ähmmm... Ja. Ich muss auf's Klo, aber schaffe es nicht, aufzustehen." Ich konnte spüren, wie mein Gesicht voller Scham rot anlief, aber konnte mich bei dem Gedanken, dass mir eine Fremde helfen würde, auf die Toilette zu gehen, gerade noch zurückhalten, völlig auszuflippen. Sie half mir hoch und setzte mich in einen bereitgestellten Rollstuhl, mit dem sie mich bis zu der Toilettenschüssel schob. Ihr war anscheinend aufgefallen, wie unangenehm mir diese Situation war, da sie meinte, sie könne auch so lange rausgehen bis ich fertig war und mich dann, wenn ich wieder fertig im Rollstuhl sitzen würde zum Bett bringen. Dankend nahm ich das Angebot an, und versuchte so lange stehen zu bleiben, bis ich die Hose heruntergezogen hatte. Alles klappte wunderbar, bis ich mich von der Schüssel lösen musste. Ich richtete mich auf, kippte nach vorne, wo der Rollstuhl zwischen mir und der Wand war und kam unsanft auf dem Boden auf. Als die Krankenschwester besorgt fragte, ob alles okay war, zog ich meine Hose hoch und berichtete ihr, dass ich Hilfe benötigte. Also kam sie herein, um mir aufzuhelfen, setzte mich im Rollstuhl ab und schob mich mit besorgtem Blick zum Bett, bei dem sie mir anschließend half, mich hineinzulegen. Schließlich fragte sie: "Hast du dich verletzt? Bist du gegen den gebrochenen Arm gestoßen?" "Nein alles okay, danke..." ich holte tief Luft "Wollte zufällig jemand zu mir? Jemand der mit mir befreundet ist?" "Da muss ich nachfragen. Ich bin gleich wieder da. Bleib am besten so liegen, wie du bist.", und schon war sie wieder weg.

Nach einer Weile kam sie wieder zu mir und hatte folgende Neuigkeiten: "Eine Alicia Schulz und ein Timo Graf wollten dich gestern besuchen." Timo war einer meiner Mitschüler, mit dem ich eigentlich nichts zu tun hatte. Deshalb staunte ich über diese Nachricht noch mehr. Er hatte so lange gebettelt, bis der Sicherheitsdienst ihn rausschmeißen musste. Dass Alicia mich besuchen wollte überraschte mich weniger. "Wann dürfen sie mich besuchen kommen? Ich würde mich über die Beiden freuen." "Wenn du dich fit genug fühlst, dürfen sie auch schon heute kommen. Wie fühlst du dich denn jetzt?" Nach ein paar Atemzügen verstand ich das Gesagte auch schließlich. "Ich fühle mich gut. Von mir aus können sie mich besuchen, wann immer sie wollen." Die Schwester lächelte mich an und ging mit einem "Wir kümmern uns darum." wieder aus dem Raum. Lange Zeit langweilte ich mich nur und starrte Löcher in die Luft, bis sich die Türe öffnete und ein Bett hereingeschoben wurde. In diesem Bett war jedoch nicht mein Bruder, sondern eine junge Frau - um die 20 - weshalb ich fragte: "Warum ist mein Bruder James Millhauser nicht mehr in meinem Zimmer?" woraufhin einer der Ärzte zu mir kam und erklärte: "Die Zimmer sind eigentlich immer nur mit dem gleichen Geschlecht besetzt, aber weil die anderen Zimmer überfüllt waren, mussten wir bei euch eine Ausnahme machen. Jetzt haben wir für deinen Bruder wieder einen Platz gefunden, weshalb du jetzt mit Joulina in einem Zimmer sein wirst." Meine neue Zimmergenossin schlief noch, also bekam sie zum Glück nicht mit, wie entsetzt ich wegen dieser Situation war. Joulina kam damals gerade von der OP, da sie von einem Autofahrer, der Fahrerflucht begang bei einem Zebrastreifen angefahren wurde und durch den Aufprall innere Blutungen erleiden musste.

Die Frau wurde an James' alten Platz geschoben, die Ärzte verabschiedeten sich und verließen den Raum. Ich blickte noch eine Weile zu Joulina hinüber und fuhr dann wieder mit der Beschäftigung zuvor fort.

Nach einer guten Stunde öffnete sich die Tür und Alicia spazierte herein und sofort an mein Bett. "Hey, Selina. Du tust mir so leid! Ist ja schrecklich, dass dir so etwas passieren musste!", sorgte sie sich um mich. "Es ist alles halb so schlimm", log ich. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste meine Freundin nicht, dass ich keine Ahnung von meinem Verlust hatte. "Dann ist ja gut.", sie grinste mich aufgesetzt an. "Wie geht es dir?" Mit einem kurzen Blick auf meinen Arm antwortete ich nur leichtfertig: "Eigentlich ganz gut. Kann nur nicht stehen, laufen oder irgendetwas Anderes aktiveres als herumliegen machen." Alicia schaute besorgt, dann kam aber auch schon die nächste Frage: "Wer ist das?" sie nickte zu Joulina. "Meine neue Zimmergenossin Joulina. James wurde in ein anderes Zimmer gebracht, damit sich die Geschlechter nicht vermischen." "Und sonst noch irgendwas?", wollte sie mich zum reden bringen. "Ähm... Das letzte woran ich mich erinnern kann sind quietschende Reifen...", ich überlegte kurz und schluchzte leise. "... und Schreie." Eine Träne kullerte meine Wange bei der schrecklichen Erinnerung herunter. "Nein. Nicht weinen." Alicia beugte sich zu mir und streichte die Träne weg. Eigentlich hatte ich jedoch jeden Grund zu weinen... "Es geht schon wieder.", brachte ich schluchzend heraus, wobei sich noch eine Träne den Weg bahnte. Meine beste Freundin beugte sich noch tiefer zu mir herunter und umarmte mich tröstend. Dabei kullerten immer mehr und mehr Tränen bis ich schließlich weinend in Alicias Armen hing und es dauerte lange, bis ich mich wieder einkriegen konnte. Ich löste mich langsam von meiner Freundin und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Alicia schaute mich noch immer besorgt an, aber ich schaffte es, die Erinnerungen in die hintersten Ecken meines Gehirns zu verbannen und versuchte, nicht mehr zu zittern. Mit einem Blick auf die Uhr meinte meine Besucherin traurig, sie müsse jetzt leider gehen und verließ mich erschüttert.

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