15. Kapitel

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"Sehe ich beknackt aus?", fragte ich unsicher. "Nein, Selina. Du siehst nicht so aus wie die anderen, das ist wahr. Aber dennoch bist und bleibst du auf deine Art und Weise wunderschön.", antwortete mir Zara. Da stellte ich mir die Frage, ob sie flirtet und mich näher kennenlernen will, wie ich sie. Das konnte ich nur hoffen. Wie es scheint könnte mein Bruder recht haben, mit seiner Vermutung, dass ich etwas von ihr will und demnach lesbisch bin.

Die Tür öffnete sich und die Stimme eines Arztes ertönte: "Guten Morgen alle miteinander. Selina, wie geht es dir? Gab es Beschwerden bei der Naht?", erkundigte er sich kurz. "Guten Morgen. Mir geht es gut, aber ich habe bis vor ein paar Minuten noch geschlafen, also kann ich noch nicht so viel dazu sagen. Jetzt habe ich keine Schmerzen.", beantwortete ich die Fragen. "Das hört sich gut an.", bemerkte der Arzt. "Wenn es so bleibt kannst du heute wieder nach Hause. In die Schule solltest du noch nicht gehen, wegen dem vielen Bewegen. Da kann schnell die Naht reisen oder sie entzündet sich. Zu Hause darfst du dich demnach natürlich auch nicht so viel bewegen. Du brauchst viel Ruhe und Schlaf. In einer Stunde komme ich wieder und sehe nach dem Rechten." Er wollte sich gerade umdrehen, da fiel sein Blick auf Zara. "Junge Frau, ich kann mich nicht daran erinnern, dass du zu dieser Familie gehörst. Ich muss dich leider nach draußen begleiten." "Nein, bitte nicht!", flehte ich ihn an. "Ich fühle mich doch schon so gut, dass Sie sagen, dass ich nach Hause darf. Warum kann sie dann nicht bleiben?" Kurz überlege mein Gesprächspartner, dann nickte er langsam. "Das ergibt Sinn. Ich muss mich entschuldigen, du darfst bleiben." Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und Zara sah mir lächelnd mit ihrem sanften Blick in mein Auge.

Wie versprochen kam der Arzt eine Stunde später zurück. "Hallo.", berüßte er uns erneut. "Geht es dir immernoch so gut wie vor einer Stunde?" "Ja. Man könnte sagen, dass es mir sogar besser geht.", berichtete ich strahlend. "Das habe ich mir schon gedacht. Wenn dein Zustand bleibt, wie er ist, darfst du nächste Woche wieder in die Schule gehen.", er wendete sich meinem Vater zu. "Ihr könnt gleich beim Ausgang die verschiedenen Dinge unterschreiben. Auf Wiedersehen."

Zara war wie erwartet mit nach Hause gekommen und saß jetzt mit mir auf dem Bett. "In deiner Famillie passaieren viel spannendere Sachen als in meiner. Das Schlimmste, das jemals geschehen ist, war der Moment, bei dem wir keine Butter im Haus hatten.", meinte sie lachend. Ein klingelndes Handy ertönte. "Da muss ich dran gehen.", meinte meine neue Freundin entschuldigend. "Hallo, Lex. Was ist denn? --- Okay, und was soll ich machen? --- Ich will jetzt aber lieber bei einer Freundin bleiben, ist es denn so wichtig? --- Na gut. Ich mache mich auf den Weg. Bis gleich.", sie legte auf und sah mich traurig an. "Das war meine Schwester. Sie ist alleine zu Hause und will etwas essen, kann aber nicht kochen. Lexa hat nämlich eine Krankheit, die auch Schmtterlingshaut genannt wird, vielleicht hast du ja schonmal davon gehört." "Warum hast du mir das nicht gleich erzählt?", fragt ich leicht verwirrt. Beschämt starrte Zara auf den Holzboden. "Ich weiß nicht... Ich denke, ich war noch nicht bereit dazu, was komisch ist, aber... egal." "Ist schon okay. Du musst jetzt aber los und deiner Schwester helfen.", erinnerte ich sie. Lächelnd stand meine Freundin auf und umarmte mich dankend zum Abschied. "Tschüss", verabschiedete sie sich und verließ mein Zimmer.

James, mein Vater und ich aßen zu Mittag und unterhielten uns über meine Operation. "Jetzt wirst du deine Behinderung nicht mehr verstecken können.", neckte mich mein Bruder, der einen bösen Blick als Antwort bekam. Gespielt beleidigt aß ich mein Rührei in Kombination mit Kartoffelbrei. Das Klingeln der Türe unterbrach mich bei meiner Beschäftigung, also stand ich auf und öffnete diese. Der Postbote drückte mir Briefe und ein Paket in die Hände, den Blick die ganze Zeit auf mein fehlendes Auge gerichtet. Ignorierend bedankte ich mich und schloss die Haustür. Die Sachen legte ich auf dem Boden ab und hungrig wendete ich mich wieder dem Essen zu. "Der hat nur auf meine Augenhöhle gestarrt.", regte ich mich auf. "Daran musst du dich gewöhnen.", meinte James. "Du musst lernen darüber hinwegzusehen und diese Leute zu ignorieren."

Nach der Mahlzeit gab ich die meisten Briefe meinem Vater und einen meinem Bruder. Als ich sah, dass das Paket an mich adressiert war, nahm ich mir verwundert ein Messer um den Inhalt ausfindig zu machen. Ich nahm mir einen Zettel, der oben platziert wurde und las ihn laut vor: "Liebe Selina, wir wünschen dir gute Besserung und hoffen, dass es dir nicht schwer fallen wird, dich mit nur einem Auge zurechtzufinden. Liebe Grüße, deine Klasse. Wow, wie persönlich." Den sarkastischen Unterton versuchte ich nicht zu verbergen. Ein Korb gefüllt mit Keksen und eingehüllt in durchsichtigem Geschenkpapier kam zum Vorschein. "Lecker, Kekse!", freute sich James. "Von meiner Klasse habe ich nicht einmal einen Brief bekommen." "Armer, kleiner, James.", ich tätschelte tröstend seinen Kopf und machte einen Schmollmund.

Ich saß mit den Keksen vor mir in meinem Bett, als jemand an der Tür klopfte. "Ja?", erlaubte ich das Eintreten. Zara kam herein und begrüßte mich: "Hallo, Selina." "Hallo, Zara.", erwiderte ich strahlend. "Willst du auch einen Keks haben? Ich habe die von meiner Klasse geschickt bekommen." "Liebend gerne! Ich liebe Kekse.", erläuterte sie lächelnd. "Das ist gut. Ich kann die schon gar nicht mehr sehen. Sogar James hat schon genug und das soll mal was heißen!", erklärte ich erleichtert. Glücklich nahm sie den Korb zu sich und probierte einen. "Hattest du mal einen Freund?", tastete sich meine Besucherin vorsichtig an ein Gespräch dieser Art heran. "Nein. Ich war aber auch noch nie in einen Jungen verliebt. Wie ist das denn bei dir?", antwortete ich. "Ist bei mir genauso. Ich war aber schon ein paar mal in Mädchen verliebt.", gestand sie schüchtern und suchte in meinem Auge meine Reaktion. Mein Blick musste um einiges glücklicher geworden sein, da ein erleichtertes Aufatmen ihrerseits ertönte.

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