11. Kapitel

176 17 0
                                    

Ein Jahr später

Mit 15 Jahren war ich mittlerweile die unbeliebteste der neunten Klassen (gleich nach den übertriebenen Strebern). Meine Pausen verbrachte ich mit James und seinen Freunden. Seine Arme waren wieder so muskulös wie vor dem Unfall - wenn ich mich nicht täuschen sollte vielleicht sogar noch mehr. Seine Freunde sind ganz okay... Luis ist für sein Alter recht klein und zierlich, während Spencer ein riesiger Muskelprotz ist und nur trainiert. Luis' Haare sind dunkelbraun und fast schwarz, die von Spencer sind komplett schwarz. Dadurch stachen die dunkelblonden meines Bruders sehr hervor, wenn er nicht schon durch den Rollstuhl auffällt.

"Hallo, Selina!", begrüßten mich Spencer und Luis, als ich mich mit meinem Essen zu ihnen an den Tisch saß. "Hallo, ihr drei. Wie war euer Tag bisher?", erkundigte ich mich. James antwortete als erstes: "Naja, eigentlich wie immer. Bei euch?" Luis und Spencer stimmten ihn zu, also erzählte ich ihnen von meinem Tag: "Zuerst war bei mir alles okay, aber dann kam wieder Lisa mit ihrer Gruppe. Die gehen mir so auf die Nerven! Kann sie nicht bitte mal von der Schule fliegen?!" Aufgebracht schlug ich meine zu Fäusten geballten Hände auf den Tisch. Die Jungs sahen mich nur verständnisvoll an, als Spencer vorschlug, dass wir sie aufsuchen sollten, damit die drei dem ganzen ein Ende setzen könnten. Alle willigten ein, also machten wir uns auf den Weg, um sie zu suchen. Recht schnell fanden wir sie schließlich und Lisas Gruppe bemerkte mich auch sofort. "Selina, wie schön, dass du uns auch mal wieder Gesellschaft leistest. Sonst hast du ja niemanden.", meinte das kleine Biest mit einem schelmischen Grinsen. Als sie jedoch realisierte, dass mein Bruder mit Spencer und Luis aufrückte, verschwand ihr Lächeln. Ein paar Mädchen der Klique quietschten beim Anblick der Jungs. "Hör mir mal zu, Lisa.", fing mein Bruder an. "Du wirst sie ab sofort in Ruhe lassen, sonst werde ich wiederkommen und dir alles zurückgeben, was du ihr angetan hast!" Unterwürfig blickte sie auf den Boden und war sichtlich erleichtert, als wir schließlich zurückliefen.

Nach der Pause hatte ich Mathe bei meiner 'absoluten Lieblingslererin' Frau Hones. Ich saß gelangweilt an meinem Platz und kritzelte die Angaben in mein Heft. Im Unterricht saß ich immer alleine und ganz hinten, wodurch ich mich auch noch etwas mehr langweilen konnte.

Der Schultag verging total langsam, aber schließlich durfte ich das Gebäude verlassen. Wie immer wartete ich am Eingang, bis James anrollte. "Was machst du heute noch so?", fragte er, als wir uns auf den Weg nach Hause machten. "Ich glaube, dass ich noch zu der Grotte gehe. Es ist ja auch ein bisschen warm geworden. Was machst du denn?", antwortete ich. "Ach, ich würde bei dir mitkommen. Etwas Entspannung würde guttun." Beim Haus angekommen schloss ich auf und wir traten in den Geruch vom Mittagessen. "Hallo ihr zwei! Na? Wie war die Schule?", begrüßte uns unser Vater munter. "Wie immer.", antworteten James und ich wie aus einem Munde. "Was gibt es zu Essen?", erkundigte sich mein Bruder. "Nudelauflauf.", lautete die Antwort. Hastig zog ich Jacke und Schuhe aus, um so schnell wie möglich das kostbare Essen zu mir zu nehmen. Gierig nahmen wir uns etwas und wünschten den Anderen einen guten Appetit, dann schlugen wir uns alle den Bauch voll.

Als wir fertig waren erledigte ich die Sachen für die Schule, um dann Schwimmsachen für die Entspannungsgrotte einzupacken. Eilig ging ich die Treppen hinunter und trat ohne Klopfen in James' Zimmer ein. "Ich habe alles gepackt, und du?", platzte ich herein. "Wie wäre es mit anklopfen?", fragte dieser genervt, also klopfte ich gegen den Türrahmen. "Hast du jetzt gepackt oder nicht?" Augenrollend verneinte er dies. Daraufhin kramte ich aus seinem Schrank eine Badehose und eine Schwimmbrille, quetschte sie in meinen Rucksack und sah meinen Bruder dann erwartungsvoll an. "Gut! Ich komm' ja schon.", murrte er und bewegte den Rollstuhl hinter mir zur Tür hinaus. "Wo geht ihr denn hin?", ertönte die Stimme meines Vaters. "Nur zur Grotte", antwortete ich, doch er kam zu uns und meinte mit erhobenem Finger: "Ich weiß genau, wie es in eurem Alter ist! Ihr sucht Ausreden um dann doch in eine Bar oder ähnliches zu gehen!" "Schau halt in meinen Rucksack! Da sind nur Schwimmsachen drinnen!", entgegnete ich entsetzt darüber, dass er dachte, wir würden ihn wegen soetwas anlügen. "Nagut. Aber wehe ihr riecht nach Alkohol wenn ihr wieder da seid!" James öffnete die Tür und wir flohen beinahe nach draußen. "Oh Gott! Hat er das bei dir auch gemacht, als du 15 warst?", fragte ich noch immer entsetzt. "Leider ja. Es wird aber noch länger andauern..."

Am See angekommen zogen wir uns um und ich half meinem Bruder in das Wasser. Zur Zeit übten wir, dass er nur mit den Armen schwimmt, was eigentlich nicht schwer war, nur störten die unkontrollierbaren Beine. Er tauchte vor mir und ich versuchte die Beine zu zügeln. Es funktionierte sehr gut, dann tauchten wir auch schon auf und James hiefte seinen Körper auf die Kiesel. Ich tastete den Boden nach den Taschenlampen ab und reichte ihm eine. Wir schalteten sie gleichzeitig an und beleuchteten den Grund. Meine Gedanken drehten sich um den heutigen Tag, da kam mir eine Frage in den Kopf.
"James?"
"Hm?"
"Findest du, dass ich zu anderen irgendwie... blöd bin oder so?"
"Warum fragst du das?"
"Ich habe mich nur gewundert,  warum Lisa und ihre ganze Truppe mich nicht ausstehen können."
"Du bist anders als die anderen Mädchen. Stärker und selbstbewusster. Das stört Lisa. Sie hat ihre Anhänger nur auf dich gehetzt. Sie selbst haben keine wirkliche Meinung zu dir."
Die Steine musternd dachte ich darüber nach, und es ergab langsam Sinn. Doch als es etwas langweilig wurde, erleuterte James eine hervorragende Idee: "Wir könnten doch nach den Steinen tauchen!" Sofort willigte ich ein und legte die Taschenlampen so auf ein Sims, dass sie die Steine beleuchteten. "Wer zuerst einen hochgetaucht hat!", schrie ich und wir tauchten beide herab. Ich griff mir einen und stieß mich mit den Beinen vom Boden ab, während James sich mit den Armen nach oben katapultierte. Ich durchbrach als erste die Wasseroberfläche und reckte stolz das Kinn, als der Verlierer auftauchte. "Gute Arbeit", gratulierte er mir.

Ein etwas anderes LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt