"Also... Willst du mir jetzt erzählen, was los ist?", brachte Zara mich zum reden. Mit einem Nicken erklärte ich zusammengefasst: "Vor einem Jahr hatte meine Familie einen Autounfall. Dabei starb meine Mutter, mein Vater erlitt innerer Blutungen, mein Bruder landete im Rollstuhl und ich bin seit kurzem auf dem rechten Auge blind." Verständnisvoll blickte sie mich an. "Es ist hart, zu erleben, wie Familienangehörige einen verlassen. Mein Vater starb vor meiner Geburt an Krebs. Als ich 10 war begang meine Mutter Selbstmord. Seitdem lebe ich bei meiner großen Schwester." Es tat gut mit jemandem zu reden, der einen so gut verstand. Damit das nicht verloren ging, fragte ich nervös: "Wollen wir uns vielleicht mal treffen?" "Sehr gerne.", kam sofort ihre Antwort.
Zara und ich waren wieder in der Turnhalle. Da nahm sie plötzlich meine Hand und zog mich auf die Tanzfläche. Überrumpelt versuchte ich mich zwischen den vielen Personen zurechtzufinden, was mir meine neue Freundin erleichterte. Sie legte ihre Hände auf meine Hüfte, also ließ ich meine auf ihre Schultern nieder. Zara führte mich in Kreisbewegung durch das Tanzgetümmel. Aufgeregt musterte ich ihre entspannten Augen, deren weiches Braun wundervoll strahlte.
"Selina!", ertönte James' Stimme in meinem Rücken. Sofort drehte ich mich zu ihm um, stellte mich dann aber neben meine Tanzpartnerin. "Ich würde gerne gehen.", teilte er mir mit. Entschuldigend sah ich zu Zara und steuerte daraufhin auf den Ausgang zu. Beide waren mir gefolgt. "Darf ich noch deine Nummer haben?", fragte sie mit ihrem Handy in der Hand. "Klar.", ich tippte die Zahlen in das Smartphone und lächelte schüchtern. Wir verabschiedeten uns und James wartete mit mir auf unseren Vater, der uns abholen sollte. "Bist du verknallt?", platzte er heraus. "Was? Nein. In wen sollte ich denn verliebt sein?", versuchte ich mich rauszureden. "Na, in Zara!", bohrte er weiter. "Also, liebst du sie jetzt oder nicht?" "Was weiß ich denn schon?!", maulte ich mit verschränkten Armen. "Wie lief es denn eigentlich bei dir?", wechselte ich flüchtig das Thema. Freudestrahlend ging mein Bruder darauf ein: "Sehr gut! Wir werden uns auf jeden Fall wieder treffen."
Nachdem unser Vater uns nach Hause gefahren hatte, machte ich mich fertig zum schlafen und ließ mich müde in mein Bett fallen.
Am nächsten Morgen verließ ich verschlafen mein warmes Bett und duschte mich schnell. Danach frühstückte James mit mir und wir machten uns auf den Weg zu der Bushaltestelle.
An der Schule angekommen trennte ich mich von meinem großen Bruder und hielt Ausschau nach Zara. Schon bald fanden wir uns und sofort wurde ich wieder nervös. "Hey! Wie geht's?", begrüßte sie mich glücklich. "Gut und dir?" "Auch. Was machst du heute noch so? Wollen wir uns vielleicht treffen?", fragte Zara strahlend. "Nach der Schule muss ich zum Arzt, wegen meinem Auge. Wenn du willst kannst du mitkommen oder wir treffen uns danach.", erklärte ich, während wir das Schulgebäude betraten. "Dann komme ich mit.", meinte sie knapp und bestimmt. Wir liefen an James und seinen Freunden vorbei. Als sich unsere Blicke trafen wackelte mein Bruder mit den Augenbrauen. Ich schenkte ihm einen bösen Blick und ignorierte seinen vielsagagenden.
Die Schulstunden vergingen schleppend, jedoch war dann doch noch Schulschluss. Ich traf mich mit meinem Bruder und Zara an der Bushaltestelle der Schule, wo wir schließlich auf den Bus warteten, der zu James und meinem Arzt fuhr.
Zu dritt saßen wir gelangweilt im Wartezimmer, bis mein Name genannt wurde. "Guten Tag, James und Selina. Wie geht es euch heute?", fragte der Arzt wie üblich. James antwortete als erstes: "Mir geht es sehr gut. Ich bräuchte nur wieder ein paar Medikamente, die letzten sind schon fast leer." Der Doktor nickte wissend und schaute dann fragend in meine Augen. "Bei mir ist eigentlich auch alles gut...", überlegte ich. "Manchmal tut nur das blinde Auge weh." Jetzt nahm der Ausdruck in den Augen des Mannes Schock an. "Das dürfte eigentlich nicht passieren.", murmelte er und kontrollierte mein Auge genauer. "Kommt euer Vater noch?", erkundigte sich Dr. Martins. "Eigentlich wollte er nicht kommen, aber er ist zu Hause. Sie können ihn anrufen.", erklärte mein Bruder mit besorgtem Blick.
Unser Vater und der Arzt besprachen etwas im Nebenraum, während ich mit James und Zara nervös und besorgt zugleich wartete. Endlich öffnete sich die Türe und Dr. Martins erklärte: "Ich muss zuerst schauen, ob es etwas ernstes sein könnte. Je nach Ergebnis werden wir dich entweder in das Krankenhaus weiterleiten oder dir nur etwas gegen die Schmerzen verschreiben."
Wieder warteten wir, wieder besprachen mein Vater und der Doktor etwas im Nebenraum. Daraufhin betraten sie wieder den Raum. "Selina, du musst in das Krankenhaus. Vielleicht muss dein Auge aus deinem Gesicht herausoperiert werden.", meinte mein Vater.
Zara war zum Krankenhaus mitgekommen und blieb stets an meiner Seite. Eine Träne kullerte meine Wange herunter. Als James diese bemerkte nahm er mich tröstend in den Arm. "Alles wird gut. Wenn dich irgendjemand beleidigen sollte, weil du nur ein Auge hast, komm zu mir. Zeig' mir die Person und die hat dann auch nur noch ein Auge... und meine Faust im Gesicht.", scherzte er. Da kamen ein paar Ärzte. "Es ist jetzt sicher. Ihre Tochter muss operiert werden.", erklärte einer meinem Vater. Zu mir gewandt fügte er hinzu: "Kommen Sie bitte mit." Bedrückt löste ich mich von James und folgte mit meinem Vater den Ärzten. Vor dem OP-Saal musste mein Begleiter stehen bleiben. Er nahm mich noch schnell in den Arm und flüsterte: "Du schaffst das." In dem Raum sollte ich mich mit Schutzhaube auf eine weiße Unterlage legen. Dann wurde ich in Halbnakose versetzt. Beunruhigt versuchte ich die Stimmen der Ärzte auszublenden, da ich keine Wörter wie 'Verdammt' oder 'schnell, machen Sie das und das' hören wollte.
Später wachte ich in einem Krankenbett auf. Links waren James und unser Vater. Als ich meinen Kopf nach rechts drehte erkannte ich Zara. Erleichtertes Aufatmen von meiner Linken ertönte, dann James' dazugehörige Stimme: "Na endlich bist du wieder wach! Ich dachte schon wir müssen hier übernachten." Ich lächelte leicht und betastete dann mein Gesicht. Rechts neben meiner Nase ging es weit nach unten, dann spürte ich eine Naht, die quer durch meine Augenhöhle führte.
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Ein etwas anderes Leben
Teen FictionSelina ist erst 14 Jahre alt, hat aber schon jetzt viele Erlebnisse hinter sich gebracht, die man lieber vermeiden würde: ihre Familie erlebt einen schweren Unfall mit Verlusten. Jeder von ihnen muss lernen, mit den Folgen umzugehen und wieder ein n...