7. Kapitel

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Ein verzweifeltes Rufen weckte mich aus meinem tiefen Schlaf. "Selina!!!!", schrie mein Bruder immer wieder auf's Neue. Sofort wach sprang ich aus meinem Bett und rannte die Treppen herunter. Unten erwartete mich schon James, der gläserne Augen und einen hochroten Kopf hatte. "Was ist?", fragte ich erschrocken. "Ich brauche die Tabletten.", außer Atem fügte er hinzu: "Die sollten noch im Auto sein." Ich rannte so schnell wie möglich zu dem Garagenschlüssel und eilte nach draußen. Dort angekommen öffnete ich das Tor und schob mich unter den kleinen Spalt hindurch, da ich nicht genügend Geduld hatte, um zu warten, bis sich das Tor weit genug geöffnet hatte. Im Auto fand ich nach ein paar Minuten schließlich die genannten Tabletten, mit denen ich zu meinem leidenden Patienten rannte. "Welche brauchst du?", fragte ich ihn, als ich ihn erreicht hatte. "Alle...", hustete dieser erschöpft. Ich brachte ihn noch ein Glas Wasser und half ihm, das Glas zum Mund zu führen, da seine Arme noch immer zu schwach waren, um es selbst zu halten. James war noch eine Weile danach erschöpft und klagte wegen der Schmerzen, doch schon bald ließen auch diese ihn in Frieden. "Danke...", murmelte er fast unverständlich. "Gerne. Naja... Aber eigentlich bin ich doch viel zu spät aufgewacht. Tut mir leid." Er lächelte mich beruhigend an, doch dann stöhnte er: "Man! Scheiß Leben." Daraufhin konnte ich ihn nur entsetzt anstarren, weshalb er den Blick abwendete und anschließend in sein neues Zimmer fuhr. Da fiel mir wieder ein, dass dieses noch hergerichtet werden musste, also ging ich hinter ihm her. "Ich werde dir jetzt dein Zimmer verschönern. Am besten putze ich noch ein bisschen das Fenster und so, dann kommt wieder Licht rein." James blickte sich nur emotionslos um, also tat ich einfach, was zu tun war und ignorierte ihn so gut es ging. Das Bett hatten mein Vater und ich bereits gestern Abend runter gebracht, wodurch mir das schwerste schonmal abgenommen wurde. Zuerst trug ich die Sachen raus, die James nicht brauchte, dann reinigte ich Regal, Kommode und Fenster.

Als ich endlich fertig war, sah die ehemalige Besenkammer aus, als wäre sie schon immer ein ganz normaler Raum gewesen. Es fehlten nur die Sachen aus James' Zimmer, dann wäre alles perfekt. Zuerst ging ich in das Zimmer meines Vaters und bat ihn um Hilfe, die er natürlich einwilligte. Wir trugen gemeinsam den Kleiderschrank nach unten, dann abwechselnd irgendwelche Gegenstände.

Nach einer guten Stunde war alles eingerichtet und der Raum gefiel mir sogar besser als das alte Zimmer. "Selina?", fragte James "Kannst du mir bitte die Schmerztabletten bringen?" Etwas bedrückt, dass er sich nicht bedankt hatte oder ähnliches, machte ich mich auf den Weg zur Küche, wo ich sie verstaut hatte. Als ich mit ihnen und einem Glas Wasser zurückkehrte, war der Kopf meines Bruders wieder leicht rot angelaufen, was unserem Vater sichtlich Sorgen bereitete. Behutsam ließ ich eine Tablette in das Glas plumpsen und bat den Besorgten, James zu helfen, während ich die Tabletten gegen den errötenden Kopf holen würde. Um sicher zu gehen, ob die Tabletten die richtigen waren, laß ich mir nochmal das ellenlange Geschriebene durch. Verzweifelt realisierte ich dadurch, dass es die Falschen waren und suchte noch verzweifelter die Richtigen. So viele Tabletten und nur eine war die, die ich dringend brauchte. "Selina?", etwas ängstlich drang die Stimme meines Vaters an meine Ohren. Ich musste mich wohl mit dem suchen mehr beeilen. Hektisch suchte ich die Wörter 'gegen zu stark durchblutenden Kopf und Angstzustände', die ich nach einer gefühlten Ewigkeit auf der letzten Schachtel auffand. Mit dieser hetzte ich zu meinem Bruder und Vater, die mich beide erleichtert empfingen. James' Zustand missfiel mir in dem Moment sehr, mit dem rosaroten Kopf und Schweiß an der Stirn. Ich ließ die Tablette in das Gefäß fallen und legte dieses an seine Lippen. Angestrengt trennten sich diese voneinander und machten für das Wasser und die Medizin Platz. Es war erkennbar, wie schwer es meinem Bruder viel zu schlucken, oder irgendwas anderes zu tun. Da fiel mir ein, wie viel Glück ich hatte, mit nur einem gebrochenen Arm, der jetzt schon fast komplett geheilt war, davongekommen zu sein. Das Klingeln der Türe ließ uns alle aufschauen, und mein Vater war der, der losging, um diese zu öffnen. Ich blieb bei James, da ich bemerkt hatte, dass er gerade kurz vorm zusammenbrechen war. Deshalb lehnte ich mich zu ihm und umarmte ihn, was er glücklicherweise erwiderte. "Ich meinte das vorhin Ernst.", flüsterte er "Es ist wirklich ein scheiß Leben." Mitfühlend streichelte ich seinen Rücken "Sag sowas nicht. Du kannst immernoch das Beste daraus machen." Alicias Stimme ertönte: "Guten Abend Frédéric. Selina ist schon da, oder?" "Ja. Klar. Sie ist in James' neuem Zimmer. Die ehemalige Besenkammer.", antwortete er. Sie erwartend setzte ich mich auf die Bettkante und stellte das Glas auf dem Nachttisch ab. "Hallo Selina. Hallo James.", begrüßte uns Alicia. "Selina, du erinnerst dich doch bestimmt noch an mein altes Handy, das ich verkaufen wollte, oder?" "Ja?", aufgeregt sah ich zu ihr. "Ich habe meine Eltern überredet, dass ich es dir schenken kann. Ist das nicht toll?" "Umsonst?!", ungläubig starrte ich meine beste Freundin an. Sie nickte begeistert und kramte in ihrer Tasche ein unbeschädigtes IPhone 5 heraus. Dieses hielt sie mir strahlend vor die Nase. "Nimm' schon.", forderte sie mich auf. "Außer du willst es natürlich nicht. Es gibt genug andere Leuten denen..." "Nein nein nein.", unterbrach ich sie. "Ich will es natürlich schon haben, nur bin ich dir dann mächtig was schuldig." Nach diesen Worten schnappte ich mir das IPhone und grinste wie eine Verrückte. Alicia lachte auf "Also... du könntest ja ein teureres Geburtstagsgeschenk besorgen, wenn es so weit ist.", schlug sie vor. Entsetzt sah ich sie an "Welches Datum ist denn heute?" "Der 21. Oktober. Donnerstag, um genau zu sein." "Du hast ja schon in neun Tagen Geburtstag!", erschrocken weiteten sich meine Augen um mindestens das vierfache. "Was würdest du denn haben wollen?" Angestrengt überlegte das Baldgeburtstagskind und antwortete begeistert: "Eine Pflanze." "Eine Pflanze?!" "Eine Pflanze. Um genau zu sein ein Drachenbaum. Die Pflanze erinnert mich an meine Uroma. Du weißt schon! Die Siliane. Sie war die einzige Uroma, die ich kennengelernt habe, aber auch die beste, die ich mir hätte erträumen können.", schwärmend blickte meine eindeutig verrückte Freundin in die Luft und versank sichtlich in ihren Gedanken.

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