Kapitel 4

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Es muss kurz nach Sonnenaufgang sein, als ich wieder wach werde, weil der Himmel noch leicht orange durch das Fenster scheint. Im ersten Moment bin ich ein wenig verwirrt, weil ich nicht in meinem Bett liege. Etwas verunsichert schaue ich mich um und erkenne neben mir den nur spärlich bedeckten Männerkörper, der dort tief und fest zu schlafen scheint.

„Scheiße!" fluche ich leise vor mich hin und schlage die Hände vor dem Gesicht zusammen. Was habe ich mir nur dabei gedacht gestern mit ihm aufs Zimmer zu gehen? Ein Blick durch den Raum lässt mich erkennen, dass ich nirgends mein Kleid entdecken kann und nur verzögert kommt die Erinnerung, was wir auf dem Balkon des Hotels so getrieben haben. Es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht und ich beschließe, dass ich hier schnellstens verschwinden muss.

Also versuche ich so geräuschlos wie mir möglich aus dem Bett zu steigen und auf leisen Sohlen schleiche ich mich zum Balkon und schnappe mir mein Kleid und streife es in einer fließenden Bewegung über meinen Körper. Ich erspare mir die Mühe mir meine Schuhe anzuziehen und greife nur schnell nach ihnen und meiner Tasche und verlasse dann fluchtartig die Suite. Erst zu spät bemerke ich, dass ich wohl meinen Bolero drinnen liegen gelassen habe.

Im Aufzug schlüpfe ich dann in meine High-Heels und versuche im Anschluss das Foyer so unauffällig, wie mir mein Gala-Look es erlaubt zu durchqueren. Vor dem Hotel stehen zum Glück ein paar Taxis bereit und ich lassen mich erleichtert auf die Rückbank von einem der Autos fallen und hoffe, dass mich niemand aus der Firma hier gesehen hat.

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich die ganze Zeit den Atem angehalten habe und ich lehne mich zurück, um erst mal wieder zu mir zu finden. Diese Nacht war verrückt. So etwas habe ich noch nie gemacht und wenn ich ehrlich sein soll, kenne ich mich so auch nicht. Das war der erste One-Night-Stand in meinem Leben und die Konsequenz daraus ist, dass ich danach noch nie still und heimlich abgehauen bin. So sehr es mich auch erschreckt... Es war toll. Diese Anonymität war glaube ich auch dafür verantwortlich, dass ich so sehr aus mir herausgegangen bin und mich vollkommen auf ihn eingelassen habe.

Schon komisch, was so ein bisschen Alkohol mit einem anstellen kann. Ich hoffe nur, dass ich ihm nie wieder begegnen muss und wenn doch, dass er mich nicht wiedererkennt. Es wäre mir einfach zu peinlich, da es ja entweder ein Kunde oder Kollege von mir sein muss.

Nach einer kurzen Fahrt kommen wir an meinem Apartment an und ich geben dem Fahrer ein ordentliches Trinkgeld, weil er meine Flucht so schnell ermöglicht hat. Ich springe aus dem Taxi und sprinte schnell die paar Treppen nach oben, um schnellstmöglich durch die Türe zu schlüpfen, damit mich auch ja keiner der Nachbarn in diesem Aufzug erwischt. Es kommt ja schließlich nicht alle Tage vor, dass ich in einem Galadress durchs Haus laufe.

Das erste was ich mache, als ich zur Tür hineintrete ist, dass ich mich auf direktem Weg zum Telefon begebe und meine Schwester anrufe... Die ist natürlich total aus dem Häuschen und ihre regelrechte Euphorie, dass ich mal nicht so brav wie sonst war, beleidigt mich auf eine gewisse Art schon ein bisschen.

„Oh Charlotte, ich wusste doch, wir bekommen dich noch hin... Und wie war es? Wie heißt er? Seht ihr euch wieder?" Sie löchert mich mit ihren Fragen und quietscht vergnügt vor sich hin. „Sophie, ich weiß nicht wie ich es sagen soll, aber ich bin heute Morgen einfach abgehauen. Ich wusste einfach nicht, wie ich ihm gegenübertreten soll und außerdem habe ich keine Ahnung, wer er eigentlich ist." Beantworte ich ihr die Fragen ehrlich. „Aber wenn du es genau wissen willst... Ich hatte die beste Nacht meines Lebens. Dieser Kerl weiß eindeutig was er tut und wie man eine Frau glücklich macht."

Meine Gesichtsfarbe hat sich in ein dunkles Pink verändert und ich bin so froh, dass mich meine Schwester im Moment nicht sehen kann. Ich schlendere zum Kühlschrank und hole mir eine Flasche Wein heraus. Normalerweise trinke ich selten Alkohol und wenn dann schon gar nicht am frühen Vormittag, aber jetzt brauche ich dringend einen Schluck von dem süßen Getränk, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.

Nach gut einer dreiviertel Stunde beenden wir unser Telefonat und ich entschließe mich ein Bad zu nehmen und den Tag vollends gemütlich ausklingen zu lassen und dann früh ins Bett zu gehen, weil Tom angedeutet hat, dass uns morgen eine große Ankündigung gemacht werden wird.

Kurz vor 22 Uhr schaffe ich es endlich mein Buch zur Seite zu legen und das Licht auszumachen. Bevor ich jedoch komplett in den Schlaf verfalle denke ich nochmal an blaue Augen und die großen, weichen Hände, die sanft über meinen Körper fahren und obwohl das nicht wirklich passiert bekomme ich am ganzen Körper eine Gänsehaut und wünsche mir sogar ein bisschen, dass der schöne Mann von gestern Nacht wieder neben mir liegen würde.

Eigentlich sollte mich das Ganze nicht so verwirren, aber irgendwie hat mich der mysteriöse Unbekannt in seinen Bann gezogen. Es verwirrt mich unheimlich, dass ich eine solche Anziehungskraft spüre und da diese gewisse Verbundenheit zwischen uns herrschte. Außerdem bin ich schon ein wenig neugierig wer er ist, weil kein normaler Angestellter einer Firma sich den Luxus eines solchen exquisiten Hotelzimmers zukommen lassen kann. Er muss also zumindest eine höhere Position haben, wenn nicht sogar auf der Führungsetage zugange sein.

Immer wieder drehe ich mich unruhig hin und her und in dieser Nacht ist nur schwer an Schlaf zu denken.

Am nächsten Morgen sieht man mir das leider auch an und die Ringe unter den Augen lassen sich auch mit dem teuren Concealer nicht wirklich überdecken. Nachdem ich mich fürs Büro fertig gemacht habe schlüpfe ich in mein blaues Kostüm und schnappe mir schnell die Tasche von der Kommode. Wenn ich mir noch einen Kaffee holen will muss ich mich jetzt wirklich beeilen, da ich leider schon ein bisschen Verspätung habe.

Ich entschließe mich heute mal die Tube zu nehmen, weil ich zu Fuß niemals rechtzeitig ankommen würde und ohne Kaffee würde ich heute wahrscheinlich nicht gut funktionieren. Im vorbei gehen schnappe ich mir das koffeinhaltige Heißgetränk und gehe schnellen Schrittes in das große Bürogebäude, in der unsere Firma untergebracht ist.

Nadine, die Empfangsdame, steht schon ganz aufgeregt hinter ihrem Tresen und als sie mich kommen sieht nimmt sie mir meinen Mantel ab und schiebt mich ohne Vorwarnung zu einen der Konferenzräume. „Du bist zu spät... Sie haben schon angefangen!"

Ich bin völlig perplex und sie dirigiert mich durch die Türe und schließt diese hinter mir. Als ich nach vorne blicke schauen mich ausnahmslos alle im Raum an und Tom schüttelt kaum merklich mit dem Kopf. Shit, das ist nicht unbedingt die Art, wie man in so eine Besprechung platzt.

Mit hochrotem Kopf entschuldige ich mich und setze mich auf den einzigen freien Platz am Tisch, um mich dann ganz dem Mann zuzuwenden, der dort vorne gerade die zu besprechenden Punkte verliest.

Es geht hier wohl um die Übergabe vom Senior- an den Juniorchef und ein kleines Raunen geht durch die Runde, als Mr. Hyde aufsteht und sich uns umdreht und alle nacheinander anschaut ehe er mit seiner Rede beginnt. Ich kann seinen Worten nur nicht folgen, als er seinen Sohn zu sich bittet und dieser Einzig und Allein mich ansieht... Mit diesen unfassbar blauen Augen!


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