Flucht

Kapitel 1 - Weg! Weit weg!

„Was ist das, Greta?"

Norwin stand breitbeinig vor ihr, die Arme vor der Brust gekreuzt.

Er war heute mit Norak und Fjolnir vor Dag und Kal nach Hause gekommen. Sie waren wirklich sehr früh dran und Greta vermutete, dass sie die anderen zwei abgehängt hatten, damit sie Greta quälen konnten.

Greta senkte den Kopf.

Sie hoffte, dass er nicht den Zettel meinte. Bitte nicht!

Er kam schnell näher und legte seine Pranke auf ihr Genick. Unsanft zog er sie zum Herd und verstärkte den Druck, so dass ihr Gesicht nahe ans Feuer kam.

„Warum ist es hier so dreckig, mh? Bekommst du denn gar nichts fertig?"

Sie konnte nicht sehen, was ihn so erzürnte, sagte aber nichts. Wahrscheinlich war da auch nichts. Aber Norwin suchte immer etwas, nur um sie zu quälen. Der kleinste Fussel war für ihn Anlass genug, ihr eine Ohrfeige zu verpassen.

„Ich wusste schon immer, dass du unnütz bist. Du bist schuld an der ganzen Scheiße, in der wir nun stecken. Wir können nur froh sein, dass Dag endlich heiraten wird. Endlich wird eine Frau hier sein, die man auch so nennen kann. Und sie wird ihre Arbeit gewissenhafter erledigen als du es je getan hast!"

Oh ja. Die drei hier würden froh sein, wenn Greta endlich zu Thorstan kam und für ihr angebliches Vergehen bestraft wurde.

Aber Greta hatte andere Pläne. Sie würde es bestimmt nicht zulassen, dass ihr ein Mann zu nahekam und sie vielleicht umbrachte.

Norwin betrachtete ihr Gesicht. Dann schmiss er seinen Ring ins Feuer. Greta ahnte Schlimmes. Norwin legte den Siegelring, den er angeblich von Vater hatte, nie ab. Greta konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Vater Norwin so etwas gegeben hat. Der Siegelring hatte die Form eines Totenkopfes und keiner der Männer, auch ihre anderen Brüder nicht, hatte je bestätigt, dass er wirklich von Vater war. Aber Norwin blieb dabei. Immer noch hielt er Greta nach unten, ganz nahe beim Feuer.

„Dein Gesicht ist so wunderschön! Eigentlich eine Verschwendung. Thorstan wird dich sowieso umbringen. Ich habe das schon mit ihm geklärt. Du hast unsere Eltern auf dem Gewissen."

Norak schüttelte leicht den Kopf, während Fjolnir zustimmend lachte.

„Tu es nicht Bruder! Dag..."

Norwin sah seinen Bruder böse an.

„Dag wird es nicht erfahren. Er ist schon bei Freya. Bis er hier ist, wird die kleine Schlampe hier verschwunden sein. Ich bringe sie persönlich noch heute Nacht zu Thorstan. Er wartet auf sie!"

Fjolnir lachte noch lauter, als Norwin den Ring mit einer Zange aus dem Feuer holte.

„Ja, tu es! Sie hat es verdient!"

Norak versuchte es noch einmal.

„Bitte! Lass es sein!"

Norwin nahm die Zange, ohne den Blick von seinem Bruder zu lassen.

„Du hast einfach ein zu weiches Herz. Ich wollte sie schon vor langer Zeit umbringen. Aber du hast mich immer davon abgehalten. Das geht jetzt nicht mehr. Aber ich kann sie noch anders bestrafen!"

Er senkte die Zange und Greta schrie laut auf, als sich der Totenkopf in ihr Gesicht brannte.

Fjolnir lachte dämlich und Norwin schmiss den Ring in den Wassereimer, der eigentlich für die Wäsche dastand. Dann hob er ihr Kinn nahe zu sich.

„So! Jetzt bist du endlich nicht mehr schön. Du bist endlich so hässlich, wie du es sein solltest!"

Er schmiss sie wieder in die Asche und es war ihm dabei egal, dass ihr Gesicht wieder nahe dem Feuer landete. Dann nahm er den Ring aus dem Wassereimer und zog ihn sich über den Ringfinger.