Kapitel 33

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Mir rasender Geschwindigkeit fuhr ich durch die befüllten Straßen. Ich achtete nicht auf die Geschwindigkeitsbegrenzung, sondern wollte einfach so schnell wie möglich als erste am Ziel sein. Denn so machte man es nun mal bei einem Straßenrennen. Mein Gegner war gut. Natürlich nicht so gut wie Ghost - nein, das noch lange nicht - und dennoch schaffte ich es ihn zu besiegen. Langsam glaubte ich wirklich, dass keiner mehr gut genug war, um mich zu schlagen. Es wurde mir zwar nicht langweilig. Um Himmels willen, niemals! Aber mir fehlte die Herausforderung, der Kick und der Nervenkitzel. Seit Tagen fühlte es sich so an, als hätte ich all das verloren.
Rektor Stevens hatte mir einige Tage frei gegeben. Natürlich hatte er ebenfalls von Nicks Tod und meinem Verlust erfahren. Ich sah förmlich das Mitleid welches er für mich hegte. Mir hingegen gingen diese ganzen Blicke auf die nerven, daher hieß ich meine freien Tage für herzlich willkommen. Nur musste ich nun etwas mit diesen Tagen anstellen, denn zu Hause sitzen konnte ich einfach nicht. Ich musste mich beschäftigen, anstatt in der Trauer und der Wut, die ebenfalls in mir herrschte. Die Rennen und der Extrsport waren für mich daher die einzige Lösung. Nicht meine Freunde, nicht meine Familie und auch nicht Damien - mit dem ich bereits seit unserer Auseinandersetzung nicht mehr gesprochen hatte. Natürlich hatte er versucht mich zu erreichen.. Mehrmals sogar, aber ich hatte nicht darauf reagiert. Er war auch bei uns zu Hause, aber ich war nicht dort. Auch sonst war ich in den letzten Tagen zu selten in der Wohnung gewesen. Eigentlich schlief ich dort nur. Die Tage verbrachte ich draußen, auf meinem Bike oder sogar in der Luft. Fallschirmspringen, Skysurfen.. Ich versuchte alles um mich abzulenken. Und ich versuchte alles, um endlich etwas anderes zu fühlen. Ich musste und brauchte es, denn der Kick hielt mich in letzter Zeit beim Leben und beim Verstand.
Mit einem gezielten Drive und einem kleinen Stunt auf dem Hinterreifen, blieb ich schließlich vor der tobenden Menge stehen und setzte meine Helm ab. All diese Leute, die meinen Sieg und meine kleinen Showeinlagen feierten, waren mir irgendwie nicht mehr wichtig. Jedenfalls nicht so wie früher.
>>Also echt. Bei dir kriegt man immer wieder was zu bieten<<, lachte Jay als er aus der Menge trat und mich glücklich auf die Schulter klopfte. Da hatte wohl jemand gutes Geld verdient.
>>Ja, was soll ich sagen? Ich bin die geborene Entertainerin.<<
Jay lachte auf, ehe er mir den kleinen Umschlag mit dem Geld rüber reichte. >>Hast du dir verdient.<<
Ich lächelte, doch es war nicht echt. Es war schon seit Tagen nicht mehr echt gewesen. Jeder sprach mir seine Glückwünsche aus, andere feierten um mich herum. Für mich jedoch wurde das alles hier langsam zu viel. Ich fühlte mich eingeengt, als würde ich in einem winzigen Raum sitzen und man wurde mir die Luft zum atmen entziehen. Es war grauenvoll. Weshalb ich das Geld einfach ein steckte und von der Maschine stieg, um Jay kurz darauf den Helm in die Hände zu drücken.
>>Ich muss los<<, sagte ich nur und ging an ihm vorbei. Jay rief mir irgendetwas hinterher, aber ich hatte bereits auf Durchzug geschaltet und ging weiter. Ich wollte einfach nur von dieser Menschenmenge weg. Und zwar schnell, bevor ich noch wirklich ersticken würde.

Es war mittlerweile spät in de Nacht und ich begann müde zu werden, also machte ich mich auf dem Weg nach Hause. Und gerade weil es bereits spät war, bestand auch keine Gefahr, Kayla über den Weg zu laufen.
So leise ich konnte schlich ich mich rein und sperrte mich gleich im Zimmer ein - so wie ich es bereits seit der Beerdigung tat. Nachdem ich mir die Schuhe und Jacke ausgezogen hatte, ließ ich mich seufzend aufs Bett fallen. An die Decke starrend versank ich wieder einmal in meinen Gedanken.
Seit Nick weg war, fühlte es sich so an, als wäre unsere Gruppe auseinander zerbrochen. Jeder von uns ging auf ihre eigene Weise mit ihrer Trauer um. Die Zwillinge zum Beisiel stürzten sich in ihre Arbeit und hatten kaum noch Zeit für anderes. Kaden hatte in seinem Job so vieles gesehen, dass er bereits wusste, wie er weiter machen konnte, ohne ganz durchzudrehen. Und Kayla.. Nun sie war eben Kayla. Egal ob Wut, Trauer oder Stress. Sie kompensierte alles mit Sex.
Mir war es wirklich egal, ob sie sich wieder mit irgendwelchen Fremden Kerlen abgab. Aber, dass dieses mal mein eigener Bruder dafür herhielt, konnte ich nicht leiden. Die beiden waren bereits seit ihrer Kindheit befreundet. Sie waren wie Geschwister, doch jetzt hatte sich die Beziehung zwischen den beiden völlig gewendet. Ich wusste nicht, ob sie nun zusammen waren oder ob es ihnen nur um das eine ging. Keine Ahnung, dafür war ich viel zu selten zu Hause. Und dennoch mochte ich es nicht. Das alles war einfach nur merkwürdig für mich.
Kopfschüttelnd versuchte ich zu verdrängen, dass sich mein Bruder wahrscheinlich wieder einmal im Zimmer neben an befand und nahm mein Handy in die Hand, nur um festzustellen, dass kein Anrufe und Nachrichten eingegangen waren. Es überraschte mich ein wenig und doch war ich erleichtert darüber, dass man mich in Ruhe ließ. Dass Damien mich in Ruhe ließ, denn ich brauchte diese unbedingt.
Erschöpft schloss ich die Augen. Ich war ausgelaugt. Doch jedes mal, wenn ich kurz davor war richtig einzuschlafen, erschienen diese Bilde vor meinen Augen. Bilder, wie sich Nick in den Tod gestürzt hatte. Davon, wie er mich vor dem Sprung angesehen hatte. All dies hatte sich in meinen Gehirn eingebrannt und ich bekam sie nicht mehr los.
So dauerte es eine Ewigkeit bis ich wenigstens eine Stunde schlafen konnte. 

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