Teil 19

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Wir setzen uns im Wohnzimmer auf die Couch. Wir schweigen. Toll. Obwohl, die Stille ist eigentlich auch ganz schön. So laufe ich wenigstens nicht die Gefahr etwas falsches zusagen. Alice guckt mich erwartungsvoll an. Was soll ich denn jetzt sagen? 
"Andreas, was ist los?" Ich sehe zu Alice. Sie hat Tränen in den Augen und legt eine Hand auf mein Bein. "Bitte! Bin ich an all dem hier Schuld? Bin ich Schuld das Chris weg ist? Bin ich Schuld das Sabine weg ist? Bin ich Schuld das du gerade hier sitzt, nicht mit mir redest und total weinst? Andreas! Rede mit mir! Bitte!" Jetzt weint Alice richtig doll. Und ich auch. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass ich angefangen habe zu weinen. "Alice, du bist an nichts Schuld! Das Chris weg ist, ist ganz allein seine Schuld. Und an dem Rest bin ich Schuld!" Ich schaue auf den Boden. Alice nimmt meine Hände in eine ihrer Hände und nimmt mit der anderen mein Gesicht in die Hand. Sie dreht meinen Kopf nach oben und ich muss ihr in die Augen sehen. Sie sieht mich etwas verzweifelt an. Ich sehe ihr kurz in die Augen und gucke dann an ihr vorbei. Ich kann ihr nicht in die Augen sehen. Diese Verzweiflung. Sie trifft mich eiskalt. Aber warum? Warum ist sie verzweifelt? "Andreas! Sie mich an!" Ernst. Wirklich ernst. So habe ich sie noch nie gesehen. Ich denke nach. Soll ich sie angucken? Oder doch lieber bleiben wie ich bin? Schließlich sehe ich ihr in die Augen. Ich blicke in ihre grasgrünen Augen. "Andreas. Warum glaubst du, dass du an allem Schuld bist?" Tja, was soll ich jetzt sagen? Meine Frau und Chris sind weg. Keine Ahnung wo. Alice sitzt neben mir und will Antworten. Da steckst du mal richtig in der scheiße Andreas. "Andreas?" Ich höre sie, aber ich reagiere nicht. "Andreas!" Oh... jetzt ist sie wütend. "Hmm?" Einfallsreich. "Andreas. Du sollst mir sagen, warum du denkst, dass du Schuld bist", sanft redet sie nun mit mir. Nagut, dann hau ich jetzt mal alles raus. "Okay... also. Ich rede jetzt einfach drauf los und du unterbrichst mich nicht. Okay?" Etwas schüchtern sehe ich sie an. Sie nickt mir zustimmend zu und sieht mir in die Augen. "Ich habe das Gefühl, dass ich an allem Schuld bin was passiert ist. Mit dem Unfall von dir und Budda angefangen. Als Chris mir gesagt hat, dass er dir endlich berichten möchte, dass er dich liebt habe ich ihn ermutigt und ihm geraten dich anzurufen. Daraufhin hattet ihr dann euren Unfall. Ich war natürlich geschockt. Der Unfall war direkt vor unserer Firma. Naja fast. Du bist ins Krankenhaus gekommen und hast dein Kind verloren. Budda saß dauerhaft an deinem Bett. Ihn hat es nicht so stark getroffen. Er hatte einen Beinbruch und einen Milzriss. Nichts dramatisches. Oft habe ich mich neben ihn gesetzt und ihn getröstet, wenn er wieder geweint hat. Oft ist er verzweifelt, weil er dir das eigentlich nicht antun wollte. Er hat so getrauert. Hätte ich gewusst, wie er sich fühlt, hätte ich mit ihm reden können. Er hat mir ja auch nichts gesagt. Wie man das sonst unter besten Freunden tut. Ich war einfach zu beschäftigt mit dem Erfolg von Chris und mir. Dann habe ich irgendwann gehört, wie Budda dir gebeichtet hat, wie er das Kind nicht haben wollte und so. Er erzählte dir, dass er sich umbringen möchte. Ich war total geschockt. Als Budda dann raus kam habe ich mit ihm gesprochen, doch er meinte nur, dass er die Last nicht auf sich tragen kann. Er ist raus gerannt und ich ihm hinterher. Doch ich habe ihn verloren. Ich bin durch ganz Bünde gelaufen. Auf eine habe ich gesehen, wie er gerade runter gesprungen ist. Ich bin zu ihm gerannt und habe den Rettungswagen gerufen. Aber es war zu spät. Er war schon tot. Ich bin zu Chris gelaufen und habe mich bei ihm ausgeheult. Bei ihm bin ich fast zusammengebrochen. Ich meine Budda war mein bester Freund seit der Grundschule! Ich hätte früher an der Brücke sein können. Ich hätte ihn aufhalten müssen oder irgendwas anderes tun. Naja, dann bist du aufgewacht und ich habe dir alles erzählt. Schließlich warst du bei uns in der Werkstatt und hast mitgeholfen. Das war ein riesen Fehler! Nur, weil du bei uns gearbeitet hast Wurdest du von diesem Typen angegriffen! Tja, meine Schuld! Du hattest einen scheiß Herzstillstand! Chris weiß das alles ganze nicht, aber als wir dann Zuhause waren lag ich im Bett und habe wie ein Verrückter geheult. Ich war mit den Nerven am Ende. Du durftest nicht auch noch gehen!
Als Chris und ich dann zu dir ins Krankenhaus gefahren sind und er dich gesehen hat, ist er in meinen Armen zusammengebrochen. An meiner Schulter hat er sich ausgeweint und ich habe ihn ermutigt dir zu sagen das er dich liebt. Hätte ich gewusst, dass das dann auf dem Dach endet, hätte ich ihn nie dazu ermutigt! Naja, auf dem Dach bin ich dann heulend zusammengebrochen, weil ich das alles nicht mehr aushalten konnte. Nun, dann bist du entlassen worden. Tja, Chris ist abgehauen! Ich habe ihn mitgeschleppt! Ich habe ihn dazu gebracht, dich mit abzuholen! Und jetzt? Ich habe keine Ahnung wo er ist. Ob ihm etwas passiert ist oder ähnliches. Als du dann nach oben gegangen bist habe ich mit meiner Frau gesprochen. Sie hat ihre Hand unter mein T-Shirt geschoben. Ich habe sie jedoch weg geschoben, weil ich gerade echt etwas anderes im Kopf hatte. Dann wurde sie wütend und meint, dass die Kinder mal nicht da seien und wir mal Zeit für uns haben. Ich wollte ihr alles erklären, aber dass ist sie weggelaufen. Tja, ich bin Schuld daran, dass meine Frau auch weg ist. Ich habe keine Ahnung wo sie ist. Vielleicht ist ihr ja etwas passiert! Siehst du? An allem bin ich Schuld! Nur ich! Niemand anderes! Nur ich! Ich alleine! Verstehst du? ICH!"

Ehrlich Brothers - Die überaschende WendungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt