III

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Dieses seltsame Verhalten und natürlich sein extraordinäres Aussehen machten Daniel noch interessanter, als er es als "Der Neue" ohnehin schon war. Trotzdem ging keiner seiner Klassenkameraden zu ihm, als die Stunde zu Ende war. Ardy bemerkte, dass der Blauhaarige sehr langsam seine Sachen zusammenpackte, als es klingelte und die meisten Schüler schon halb aus dem Raum gestürmt waren. Er zögerte einen Moment und überlegte, ob er zu Daniel hinüber gehen sollte, um ein Gespräch aufzubauen. Dann fiel ihm jedoch ein, dass er jedes Mal schrecklich nervös wurde, wenn er mit Fremden sprechen musste, und sofort war der Gedanke verworfen. Sollte der Neue nicht eher auf ihn zukommen, wenn er Anschluss suchte? Ardy hatte nicht wirklich Zeit, länger darüber nachzudenken, denn Luna hatte sich seinen Arm geschnappt und zog nun nicht gerade sanft daran, um ihn aus dem Raum zu befördern. Leider hatte sie die Seite erwischt, die am vorherigen Freitag in Mitleidenschaft gezogen wurde und so kostete es den Fünfzehnjährigen alle Mühe, nicht aufzustöhnen. Er folgte seiner Freundin also aus dem Klassensaal, ohne sich weiter um Daniel zu sorgen; das übernahm Luna an seiner Stelle. "Er ist total seltsam. Er sah aus, als hätte er Tom am liebsten zerfetzt, glaubst du, die kennen sich? Ich denke es nicht, woher denn auch. Mutig ist er ja schon, sich so viele Tattoos stechen zu lassen. Und die dann auch noch so offen zu zeigen, immerhin sind wir hier in der Schule!" "Musst du gerade sagen", entgegnete Ardy mit einem Blick auf Lunas violetten Plateauschuhe, die alles andere als ordinär waren. "Ja, aber er sieht ja beinahe schon gruselig aus! Wie ein Drogendealer oder ein Gangster oder so... Irgendwie aufregend." Endlich versiegte ihr wasserfallartiger Sprachfluss für einige Augenblicke, doch noch erfreulicher war für Ardy die Tatsache, dass sie endlich seinen linken Arm losgelassen hatte. Verstohlen rieb er sich die Schulter, was ihren aufmerksamen Augen natürlich nicht entging.

"Was hast du da eigentlich?", wollte Luna wissen, nun offensichtlich keinen Gedanken mehr an Daniel verschwendend. "Ach nichts, ich bin nur heute Morgen im Dunkeln gegen meinen Schrank gelaufen." "Haha, wie dämlich kann man sein", lachte sie, unwissend, dass der schillernd blaue Bluterguss, der von Ardys Schulterblatt bis zu den unteren Rippen seine Haut färbte, keineswegs von der Kante eines Möbels stammte. Schuld waren Hektors Stahlkappenstiefel, die er am Freitagabend in der Wohnung nicht auszuziehen gewollt hatte, und die mit voller Wucht die linke Seite des am Boden liegenden Jungen getroffen hatten. Viermal hatte Hektor noch auf seinen Sohn eingetreten, nachdem dieser bereits auf das Holzimitat niedergesunken war. Am nächsten Morgen hatte Ardy unter höllischen Schmerzen sechzehn Flaschen Bier und eine halbleere Flasche Wodka vom Wohnzimmertisch geräumt, während Hektor seinen Rausch ausgeschlafen hatte. So heftig war er schon lange nicht mehr ausgerastet, was ein Grund mehr für Ardy war, sich vor dem kommenden Dienstag zu fürchten. Vielleicht lag Hektors gesteigertes Aggressionspotential daran, dass das Datum, an dem seine Mutter ihn verlassen hatte, immer näher rückte. Oder daran, dass er einfach immer schlimmer wurde. Insgeheim wusste Ardy, dass er seinen Vater nicht ewig ertragen könnte, doch er traute sich nicht, allzu weit in die Zukunft zu blicken. Das Leben hatte ihn gelehrt, dass es unmöglich war, sein Leben wirklich zu planen. Es kam letztendlich immer anders, als es von wem auch immer vorhergesehen war.

Während Luna und er sich auf dem Pausenhof daran machten, ihr mitgebrachtes Essen zu verspeisen, betrat Thaddeus den Hof, wo er sich zunächst ratlos umblickte. Er kannte hier niemanden. Aus seiner neuen Klasse hatte sich keiner der Schüler oder Schülerinnen die Mühe gemacht, ihm Gesellschaft zu leisten, was er äußerst unhöflich fand. Er war sich zwar ziemlich sicher, dass er sie schnell wieder vergrault hätte, aber, dass sie nicht einmal den Versuch unternahmen, mit ihm zu reden, versetzte ihm doch einen kleinen Stich. Er schlenderte über den grau gepflasterten Platz und sah sich interessiert um, wobei sein Blick schließlich bei einigen Schülern hängen blieb, die sich in einer Ecke des Pausenhofes aufhielten, und aus deren Richtung Musik ertönte. Langsam steuerte er auf sie zu und wandte sich dann einem Jungen mit bloden Locken zu, der ihn gründlich musterte.

"Hi, guter Musikgeschmack", begrüßte der Blauhaarige den Anderen, der ihn angrinste. "Endlich versteht's mal einer", er bedachte Thaddeus mit einem letzten prüfenden Blick, "Du bist neu, oder? Marley mein Name." Thaddeus nickte und war einen Moment lang versucht, seinen echten Namen zu nennen, entschied sich dann aber doch für seinen verhassten Decknamen. "Daniel. Welche Klasse?" "Zwölfte, du?" "Zehnte", der Blauhaarige verzog angewidert das Gesicht, "musste zweimal wiederholen." Marley schmunzelte und deutete auf einen Jungen, der an der Wand lehnte und dessen Haare sein Gesicht verdeckten, das ohnehin auf einen Handybildschirm gerichtet war. "Das ist Navy, der musste auch einmal wiederholen", erklärte der Blonde und bei der Erwähnung seines Spitznamens sah der Junge an der Wand tatsächlich auf, was nicht wirklich etwas daran änderte, dass sein Gesicht kaum zu erkennen war. Erst als er sich ihnen näherte und sich dabei durch die Haare fuhr, konnte Thaddeus Navys Gesicht ausmachen, der nun vor ihnen zum Stehen gekommen war. "Jo, ich bin Navy. Nice Tattoos!" Seine Stimme war unerwartet hoch und nasal, doch irgendwie hatte sie etwas ausgesprochen Rythmisches. "Danke. Ich bin Daniel und die Leute aus meiner Klasse sind nicht wirklich daran interessiert, mich kennenzulernen." Navy lachte trocken auf und schlug ihm aufmunternd auf die Schulter. "Wer braucht die denn schon? Hier bist du genau richtig, das spür ich sofort." Thaddeus lächelte. Es stimmte, er fühlte sich sehr wohl bei diesen Menschen, die er eigentlich gar nicht kannte. "Hast du Bock, heute Mittag mit uns ein bisschen was zu rauchen?", wollte Marley wissen und schien ehrlich gespannt auf Thaddeus' Antwort. "Auf jeden Fall." Marley nickte und nannte ihm Ort und Zeit, dann klingelte es auch schon und Thaddeus verabschiedete sich von den beiden Unbekannten, die er von an als seine Freunde bezeichnen würde. Zurück im Klassensaal stürzte die Realität tsunamiartig über ihm zusammen. Er war isoliert und nach wie vor unternahm Niemand etwas dagegen. Seufzend stützte er das Kinn auf die Hände und ließ seine Gedanken schweifen. Was sollte der Blauhaarige auch sonst tun? Er hatte weder Schulbücher noch einen Sitznachbarn, bei dem er mitlesen konnte, was blieb ihm also anderes übrig, als zu träumen?

Pechjunge - [tardy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt