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Luna schien von dieser Vorstellung furchtbar begeistert zu sein, was vielleicht an den High-School-Romanzen lag, die sie sich regelmäßig ansah und in denen neue Schüler stets ein beliebtes Ziel waren. Ardy zuckte lediglich mit den Schultern und stellte eine Frage nach: "Woher weißt du das?" "Frau Altspecht war vorhin schon einmal hier und hat uns davon erzählt. Sie meinte, es sei ein Junge namens Daniel oder so ähnlich. Und dass er älter ist als wir." Ardy seufzte leise. "Also ein Dummkopf oder ein asozialer Typ, dem seine Zukunft egal ist. Oder er ist einfach verdammt faul." Zu einem anderen Zeitpunkt hätte der Fünfzehnjährige sich nun für sein schnelles und unberechtigtes Urteil geschämt, doch an diesem Morgen war er schlichtweg schlecht gelaunt. Vielleicht war es der der frühe Montag, der ihm die Stimmung verdarb, viel eher jedoch war es der Ausblick auf den Dienstag. Die Dienstage waren immer am schlimmsten.
"War ja klar, dass du wieder nur das Schlechte siehst, du kleiner Pessimist. Wahrscheinlich ist er mehrfach umgezogen oder war oft krank", kommentierte und entkräftete Luna Ardys Thesen sofort, wobei ihr Tonfall keine Widerworte zuließ. "Wir werden sehen", entgegnete der Junge trotzig, seine Laune war nun beinahe unterirdisch schlecht und es war auch keine Besserung in Sicht, als ihre Klassenlehrerin, die sie in Deutsch und Geschichte hatten, den Raum betrat.

"Entschuldigt bitte, dass ich zu spät bin, aber später wird ein neuer Schüler zu uns stoßen und da musste noch so Einiges geklärt werden", sagte sie und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich. Ardy wusste nicht so recht, ob er sie mochte oder nicht. Die Frau war bereits etwas älter, knapp 1,55m groß und aufgedreht wie ein Kolibri. Ihre Bewegungen ähnelten des Öfteren denen eines Koboldes, der um einen Goldkessel herumtanzte und dem ein Bein amputiert worden war, doch war sie auch sympathisch und auf eine seltsame Art und Weise höchstinteressant. Ardy wusste, dass sie eigentlich Psychologie studiert hatte, dann aber Lehrerin geworden war, und, dass ihr Mann vor etwa zehn Jahren an Krebs gestorben sein musste. Was er sicher sagen konnte, war, dass Frau Altspecht ihn sehr gut leiden konnte, was ihm vor allem in Geschichte zugute kam, da er sich schlichtweg nicht die Mühe machte, sich zu melden. Trotzdem trug sie ihm regelmäßig die Epochalnote ein, die er im Fach Deutsch erarbeitete - und die war fast immer eine Eins.

Frau Altspecht setzte sich ans Lehrerpult und schaffte es zunächst sogar, Fragen über den neuen Schüler zu ignorieren, indem sie einfach von ihrem Wochenende erzählte. Doch als ihr Sprachfluss versiegte, konnte selbst sie sich nicht mehr vor der Sintflut an Bemerkungen und Fragen retten, die die Schüler auf sie einstürzen ließen. "Er heißt Daniel und wiederholt die 10. Klasse. Er hat sie eigentlich schonmal abgeschlossen, ist dann aber umgezogen und da er aus einem anderen Bundesland kommt, soll er sie nochmal absolvieren." "Er kommt, soweit ich weiß, aus Hamburg." "Wahrscheinlich kommt er in der zweiten Stunde, wen habt ihr da denn? Ach, mich? Das ist ja super." "Seid nett zu ihm."

Mehr Informationen gab sie nicht preis. Und mehr brauchte Ardy auch gar nicht zu wissen, denn der neue Schüler war ihm eigentlich egal. Und was, wenn du dich mit ihm anfreunden könnest? Dazu müsste er ihn jedoch erst kennenlernen, diesen Daniel. Dies zögerte sich jedoch immer weiter hinaus. Die zweite Stunde brach an und verstrich zur Hälfte, doch der Junge war noch immer nicht erschienen. Während die meisten Schüler immer nervöser wurden und die Spannung die Geschwindigkeit aller Gespräche zu hemmen schien, hatte Ardy bereits vergessen, dass er eigentlich auf etwas wartete. Dementsprechend überrascht war er, als es leise an der Tür klopfte.

"Herein." Dieses kleine Wort, das eigentlich eine Aufforderung war und trotzdem wie eine Frage betont wurde; Ardy hasste es.
Ebenso ging es wohl dem, der geklopft hatte, denn er machte keine Anstalten, die Tür zu öffnen. Stattdessen wartete er ein zweites "Herein!" ab, welches diesmal deutlich weniger fragend klang. Als er dann den Raum betrat, verstummte die Stille, die zuvor bereits geherrscht hatte, endgültig. Tatsächlich war auch Ardy sprachlos, was ihn selbst ein wenig verwunderte, doch er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Viel zu sehr war er damit beschäftigt, den Jungen zu betrachten, der dort vorne stand.

Seine Haare waren hellblau. Wahrscheinlich hatte er sie vor längerer Zeit gefärbt, denn sie hatten bereits einen leichten Grünstich, der es aussehen ließ,  als wäre sein Gesicht von Meerwasser umrahmt. Er war verdammt groß. Und obwohl er ein weites Shirt trug, war zu erkennen, dass er sehr schlaksig war. Doch das Auffälligste an dem Jungen, der vor der Tafel stand und dessen blaue Augen die Klasse musterten, waren die unzähligen Tattoos, die seine Arme zierten. Es waren viele, doch sie waren klar voneinander getrennt, weshalb es auch aus größerer Entfernung nicht so aussah, als wären seine Arme komplett schwarz. Noch immer hatte der Junge kein Wort gesagt. Er war den Blicken der Klasse ausgesetzt, die ihn beinahe aufzufressen drohten, so hungrig starrten sie ihn an, vor allem seine Arme waren ein Blickfang für die überraschten Jugendlichen. Ardy merkte, wie unwohl der Blauhaarige sich fühlte, als dieser den Versuch unternahm, seine Arme lässig hinter seinem Rücken verschwinden zu lassen. Plötzlich fiel Ardy auf, dass selbst Frau Altspecht noch nichts gesagt hatte, was äußerst ungewöhnlich für sie war. Und auf einmal tat der Junge ihm furchtbar Leid. Also suchte er dessen Blick und vezog die Lippen einem kleinen Lächeln. Er wusste nicht, ob der Andere es überhaupt wahrgenommen hatte, doch jener begann endlich zu sprechen.

"Hi." Frau Altspecht räusperte sich und gewann schließlich ihre Fassung zurück. "Hallo, du musst Daniel sein. Freut mich sehr, dass du hier bist." Der Blauhaarige nickte und strich sich eine Strähne aus der Stirn. "Willst du noch irgendwas loswerden?", fragte die Lehrerin nun lächelnd und sah Daniel aufmerksam an. "Ich wüsste nicht, was." Sie nickte sichtlich unzufrieden und deutete auf die letzte Reihe, wo noch zwei freie Plätze waren. "Dann setz dich doch einfach neben Tom", schlug Frau Altspecht vor. Ardy war sich ziemlich sicher, dass Daniel bei der Erwähnung des Namens zusammengezuckt war, doch da Niemand sonst es bemerkt zu haben schien, dachte er nicht weiter darüber nach. Erst als Daniel sich auf den Stuhl fallen ließ, der ganz außen in der Reihe stand, und so zwischen Tom und ihm ein Platz frei blieb, fragte sich Ardy, ob die Beiden sich kannten. Wenn ja, dann konnte es keine besonders positive Verbindung zwischen ihnen geben, denn Daniel sah aus, als hätte er sich in diesem Moment am liebsten mit Desinfektionsmittel abgeduscht.

Pechjunge - [tardy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt