XII

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"Ach du heilige Scheiße, wie siehst du denn aus?"
"Wow, übertreib es ja nicht mit den Komplimenten!"
Tommy hob entschuldigend die Hände, starrte jedoch weiterhin auf Ardys violett gefärbte Wangenpartie.
"Ne ehrlich, das sieht echt übel aus. Warst du damit beim Arzt?", besorgt trat er einen Schritt näher und sah sich das geschwollene Jochbein an. Ardy zuckte nur mit den Schultern und senkte den Kopf, um Tommys Blicken zu entgehen.
"Ernsthaft, das könnte gebrochen sein. Oder zumindest geprellt. Wie hast du das denn hinbekommen?", fuhr dieser jedoch mit seiner Analyse fort, allerdings war er keineswegs so leichtsinnig, wie er vorgab zu sein.
"Mmh, mir hat vorgestern ein Jogger eine mit dem Ellbogen verpasst." Ardy war sich nicht einmal sicher, ob das überhaupt möglich war.
"Ah." Der Zweifel in Tommys Augen war nicht zu übersehen. "Hat er sich entschuldigt?", wollte der Ältere wissen, was Ardy bejahte.
"Hast du seinen Namen? Falls das behandelt werden muss, wäre das hilfreich. Dann muss er dafür aufkommen, solange es nicht deine Schuld war."
"Nein, er hat sich entschuldigt, mehr wollte ich auch gar nicht von ihm. Es ist auch erst über Nacht so angeschwollen", erwiderte Ardy leise.
"Warst du deshalb gestern nicht in der Schule? War es dir peinlich?", hakte Tommy weiter nach.
"Oh, du hast doch selbst gerade gesagt, dass es übel aussieht. Da ist es doch nachvollziehbar, wenn ich gestern nicht in dieses Höllenloch wollte. Ich hab weder Schmerztabletten noch sonst irgendwas zuhause und beim Arzt war ich auch nicht, also kann von mir niemand verlangen, dass ich zur Schule gehe!", wütend ließ Ardy seinen besten Freund hinter sich und betrat das Schulgelände, ohne ihn auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Mit einem lauten Seufzen setzte Tommy seinen Weg kopfschüttelnd fort. "Ach Ardy..."

"Oh mein Gott." Gleich mehrere seiner Mitschüler begrüßten ihn mit diesen Worten. Als ob er nicht wüsste, dass sein linkes Jochbein samt Unterlid violett geschwollen war. Der dumpfe Schmerz war erträglich, so lange er nicht lachen oder andere große Veränderungen der Mimik machen musste. Trotzdem fühlte sich die Verletzung unter den geschockten Blicken seiner Mitschüler viel schmerzhafter an, als sie eigentlich war. Luna kam besorgten Blickes auf ihn zugestürmt und umarmte ihn fest. "Was ist passiert?", fragte sie leise und er spürte die Bewegungen ihrer Lippen an seiner Schulter. "War ein Unfall, also alles okay", antwortete er und schob sie etwas von sich. "Das musst du mir erzählen", forderte sie eindringlich und er nickte, sah sich dabei jedoch bereits nach Thaddeus um. Dessen blauer Haarschopf war allerdings noch nirgends zu sehen, weshalb Ardy sich von Luna zu seinem Platz ziehen ließ und ihr die gleiche Geschichte auftischte, wie wenige Minuten zuvor Tommy.

Thaddeus kam fünf Minuten zu spät und wurde mit einem tadelnden Blick auf seinen Platz geschickt. Mit gesenktem Kopf huschte er durch den Saal nach hinten; als er jedoch an Ardys Tisch vorbeilief, sah er auf. Seine blauen Augen weiteten sich vor Schreck und die Bewegungen des Jungen gerieten ins Stocken, allerdings riss er sich von Ardys Gesicht los und ließ sich angespannt auf dem Stuhl neben Tom nieder. "Wow, warum hat er dich so angestarrt?", flüsterte Luna aufgeregt und Ardy zuckte zusammen, was sie als Schulterzucken missverstand. "Wobei wir ja alle gestarrt haben. Wahrscheinlich war er einfach überrascht." Und damit war die Angelegenheit für sie erledigt. Das war neben ihrem Drang, anderen zu gefallen, der Charakterzug, den Ardy am unerträglichsten fand. Luna dachte immer nur so lange über eine Sache nach, bis sie eine Lösung gefunden hatte. Für andere Sichtweisen oder Vorschläge war sie nicht mehr offen, sobald sie sich eine Meinung gebildet hatte - auch, wenn sie offensichtlich etwas missachtet hatte. Wie jetzt zum Beispiel, dass Thaddeus Hände zitterten, als er begann, mitzuschreiben. Oder, dass er zwischen den Blicken zur Tafel immer zu Ardy sah, und darauf hoffte und gleichzeitig fürchtete, dass dieser sich umdrehen würde.

Nichtsdestotrotz wurde Ardy in der Pause von ihr belagert, wobei sie mittlerweile zu vergessen haben schien, dass sie eigentlich besorgt um den Jungen war. Stattdessen erzählte sie von einem Mädchen, das sie gestern in der Stadt gesehen hatte und die sie um ihre "abgespacete" Jacke beneidete. Da sie jetzt einfach damit fortfuhr, über Kleidung zu reden, blendete Ardy ihre Stimme aus und sah sich suchend nach Thaddeus um. Dieser stand, wie er insgeheim vermutet hatte, in einer abgelegeneren Ecke des Schulhofes, umringt von Oberschülern, die teilweise immer noch Rauschmittel im Blut zu haben schienen. Anders konnte Ardy sich nicht erklären, wie man solche Musik laut in der Öffentlichkeit, noch schlimmer, in der Schule, hören konnte. Und das war sie - laut, denn obwohl Luna und er auf der anderen Seite des Platzes standen, konnte Ardy immernoch den Beat und die Stimme ausmachen, den Text allerdings konnte er nicht verstehen.

"Ich lass dich kurz alleine, okay?", unterbrach er Lunas Redeschwall und rauschte, ohne ihre Antwort abzuwarten, in Richtung der Oberschüler. Er näherte sich ihnen unbemerkt, so dass er Thaddeus anrempeln musste, als er diesen passierte.

Der Blauhaarige fuhr vom Kampfgeheul seiner Freunde begleitet herum, bereit einen unachtsamen Schüler zurechtzuweisen, doch da war niemand. Verwirrt sah er sich um und entdeckte schließlich Ardy, der vor der Tür der Jungentoilette lehnte und darin verschwand, als er Thaddeus' Blick bemerkt hatte. Thaddeus verabschiedete sich von Marley, Navy und Mokuba, da er nicht damit rechnete, ihnen in dieser Pause nochmal wiederzubegegnen. Dann lief er zügig in Richtung der Sanitäranlage, vor der wie immer die Hölle los war. Als er den Raum betrat, kroch ihm augenblicklich der Geruch von Urin in die Nase und er rang um Atem. Währenddessen lehnte Ardy an einer der schmutzig weißen Wände und starrte die verdreckten Fliesen an. Thaddeus näherte sich im zögerlich und kam kurz vor ihm zum Stehen.
"Hey."
Ardy blickte auf und lächelte schief, als er Thaddeus sah.
"Ich bin beeindruckt."
Fragend hob dieser eine Augenbraue.
"Du warst verdammt schnell hier", entgegnete Ardy grinsend und zuckte augenblicklich zusammen, da ihm Lachen wehzutun schien.
"Ich bin auch verdammt besorgt. Was zur Hölle war bei dir los?", wollte der Blauhaarige wissen und machte noch einen Schritt auf Ardy zu, um die Dringlichkeit seiner Frage zu unterstreichen.
"Ich denke, das weißt du", murmelte Ardy mit gesenktem Blick.
"Er hat dich geschlagen?", vermutete Thaddeus - und hoffte so sehr, dass Ardy den Kopf schütteln würde. Aber Ardy nickte.

[1044 Wörter]

Pechjunge - [tardy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt