VII

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Daniel blickte ihn verwirrt an, der schwarze Chihuahua saß auf seinem tätowierten Arm. "Dein Hund wäre gerade fast gestorben! Wo zur Hölle warst du?", Ardys Stimme überschlug sich vor Wut und Erregung. "Wow, beruhig dich mal", murmelte Daniel, dem die Lautstärke seines Gegenübers und die daraus resultierenden Blicke der Passanten sichtlich unangenehm waren. "Wie kannst du so etwas verlangen? Er wäre von der Brücke gefallen, wenn ich ihn nicht gesehen hätte." Plötzlich traten Ardy Tränen in die Augen und er widerstand der Versuchung, diese mit dem Handrücken wegzuwischen. Stattdessen blinzelte er heftig und atmete tief durch. "Wie bitte?", entgegnete Daniel sichtlich geschockt und drückte den Hund automatisch ein wenig fester an seine Brust. "Er steckte zwischen zwei Gitterstäben fest", Ardy deutete auf das Geländer, "und ich hatte echt Glück, dass ich ihn entdeckt habe. Ich habe es dann irgendwie geschafft, ihn wieder hoch zu ziehen." Daniel sah ihn lange schweigend an. "Danke."

"Dein "Danke" kannst du dir echt sparen!" Aufgebracht funkelte Ardy den Blauhaarigen an, der zusammenzuckte, als ihm diese Antwort entgegengeschleudert wurde. "Pass lieber auf, dass sowas nicht nochmal passiert." Einen Moment lang herrschte Stille, bevor Ardy nachhakte: "Was hast du eigentlich gemacht, dass du nicht bemerkt hast, dass dein Hund nicht da war?" Erst zuckte sein Gegenüber nur mit den Schultern, dann hob er seine Hand - in der sich ein Smartphone befand. "Dein ernst?!" Erneut spürte Ardy die Wut in sich aufsteigen, doch er kam nicht dazu, ihr Ausdruck zu verleihen. "Ja, es tut mir leid. Ich weiß, dass es das nicht entschuldigt, aber die Nachricht war wirklich wichtig", versuchte ihn Daniel zu beschwichtigen. "Wichtiger als das Leben deines Hundes?", war seine trockene Entgegnung, die Daniel endgültig die Farbe aus dem Gesicht weichen ließ. "Nein, natürlich nicht. Ich liebe Pi über alles. Und ich bin dir verdammt dankbar, dass du sie gerettet hast - auch, wenn dir das egal ist." Der Blauhaarige sprach zwar leise, doch seine Stimme bebte, als müsste er sich zusammenreißen, nicht zu brüllen. Oder zu weinen?

Ohne es wirklich wahrzunehmen, passte Ardy sich an die Pronomen an, die Daniel verwendete. "Ist sie wirklich in Ordnung? Taste sie mal ab, nicht, dass sie sich doch verletzt hat", forderte er, wobei er sich so um das Wohl des Hundes sorgte, dass ihm das Verhalten Daniels für einen Moment egal war. Zudem schien Daniel ehrlich geschockt und dankbar, die kleine Hündin bedeutete ihm wohl tatsächlich sehr viel. Dies wurde offensichtlich von ihr erwidert, denn kaum hatte sich Daniels Kopf ein wenig dem ihren genähert, begann sie damit, eifrig sein Gesicht abzulecken. Dieser Anblick ließ Ardys Wut endgültig abklingen und er beobachtete fasziniert, wie geschickt und umsichtig Daniels große Hände sich um Pi's winzigen Burstkorb legten und dort minimale Bewegungen ausübten, die dazu führten, dass die Handtattoos des Blauhaarigen immer wieder mit dem langen schwarzen Fell der Hündin verschmolzen. "Scheint alles in Ordnung zu sein", verkündete dieser schließlich und sah mit vor Erleichterung strahlenden Augen auf. "Dann haben wir alle nochmal Glück gehabt", murmelte Ardy und hob geistesabwesend seine Hand, um damit durch das weiche Fell Pipis zu wuscheln.

Eine Weile sagte keiner von beiden etwas, sie streichelten nur den Hund und überlegten dabei, wie dieses Gespräch weitergehen sollte. Dass Daniel gerade zum Sprechen ansetzen wollte, blieb von dem Jüngeren unbemerkt, der sich, zugegebenermaßen etwas ungelenk, verabschiedete. Er strich noch einmal über den kleinen Hundekopf und ging dann an Daniel vorbei, in Richtung anderes Brückenende. Verwirrt von dieser seltsamen Begegnung, brauchte Ardy etwas länger als sonst, um seine Kopfhörer wieder in seinen Ohren zu platzieren. Doch er kam gar nicht dazu, denn plötzlich vernahm er Daniels tiefe Stimme , die deutlich näher bei ihm war, als sie es der bereits von ihm zurückgelegten Strecke nach sein sollte, wenn Daniel ihm nicht gefolgt war. "Hey! Warte mal!" Ardy blieb stehen und obgleich er sich ingsgeheim darüber mokierte, wie vorhersehbar diese Aktion gewesen war, wusste er absolut nicht, wie er sich Daniel, der mittlerweile neben ihm angelangt war, gegenüber verhalten sollte. "Was?", rutschte ihm plump über die Lippen und er hätte sich sicherlich für seine Unhöflichkeit entschuldigt, hätte Daniel sich daran gestört. Dieser schien allerdings zu aufgeregt, um den barschen Ton Ardys zu bemängeln. Stattdessen wollte er wissen, wo Ardy hinginge, und als der als Zielort nur vage das Rheinufer nannte, nickte der Blauhaarige. "Hättest du etwas dagegen, wenn Pipi und ich dich begleiten?" Zum Einen überrascht von dem Angebot, zum Anderen von der Wortwahl verwirrt, blieb Ardy nichts Anderes übrig, als mit dem Schultern zu zucken.

"Weißt du, - wie heißt du nochmal?", brach Daniel das Schweigen, das sich über sie gelegt hatte, seit sie gemeinsam ihren Weg über die Brücke fortgesetzt hatten. "Ardy." "Ein Spitzname für Adrian?", hakte der Blauhaarige nach. "Fast, Ardian", wurde er korrigiert. Wieder sagte keiner ein Wort, bis diesmal Ardy die Stille unterbrach. "Was soll ich wissen?" "Wie bitte?", entgegnete Daniel ihm verwundert, wobei die Nervosität in seiner Stimme deutlich zu hören war. "Du meintest, ich solle irgendetwas wissen", half Ardy ihm auf die Sprünge. "Oh, ja. Das erzähl ich dir, wenn wir da sind." "Okay." Plötzlich wuchs die ohnehin schon herrschende Spannung zwischen den Beiden um ein Vielfaches an und so langsam wurde Ardy misstrauisch. Oder besser gesagt: Er hatte absolut keine Ahnung, von was Daniel sprach, oder eher sprechen würde, und das erzürnte ihn zunehmend. Dieser aprubte Stimmungswechsel blieb jedoch nicht lange ohne Folgen, denn Daniel seufzte leise, bevor er leise bekannt gab: "Mein Name ist nicht Daniel." Verwirrt blickte Ardy ihn von der Seite an, bereits zum zweiten Mal an diesem Tag waren jegliche negativen Empfindungen Daniel (oder wie auch immer) gegenüber auf einen Schlag verpufft - und diesmal trug der Hund, der vor ihnen herwuselte, keine Schuld daran. "Was?" In diesem Fall fand Ardy das Fragewort ausnahmsweise nicht zu unhöflich, frech oder hässlich, denn es beschrieb seine Verwirrung, wie es eine gehobenere Ausdrucksweise nicht vermocht hätte. "Ich heiße nicht Daniel." "Wie denn dann?" "Thaddeus."

"Aber nenn' mich bitte Taddl oder einfach T oder so. Und erzähl niemandem davon, bitte!" Der Blauhaarige sah den Kleineren durchdringend an und in seinen Blick legte er eine große Menge an Hoffnung, die er eigentlich gar nicht haben sollte. Warum sollte Ardy, ein Junge, den er kaum kannte, diese Information für sich behalten, wenn er doch Freunde hatte, die sich sicherlich brennend für den 'Neuen' interessierten? "Und warum nennst du dich Daniel?", wollte eben dieser Junge wissen, der ihn keineswegs neugierig, sondern eher einfühlsam musterte. Zu offensichtlich war die Tatsache, dass es einen Grund für den Decknamen gab, der für Thaddeus' Anspannung verantwortlich war. Der Blauhaarige seufzte erneut, doch diesmal klang es trauriger als beim ersten Mal. "Das ist eine lange Geschichte."

Pechjunge - [tardy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt