XVIII

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"Ich hab so krass Hunger", beschwerte Thaddeus sich lautstark, während er zwei Teller befüllte, "du nicht?"
"Mmh?", entgegnete Ardy, der damit beschäftigt gewesen war auf die Nachricht zu antworten, die er bekommen hatte.
Thaddeus hatte den ersten Teller bereits in die Mikrowelle geschoben und wartete nun auf das Piepsen, das ihn der Erlösung von seinem Hunger ein Stück näher brachte. "Was isst du eigentlich sonst so? Also wenn du nicht bei mir bist?", wollte der Blauhaarige wissen. "Manchmal koche ich mir was Einfaches, ab und zu kaufe ich mir auch was. Aber manchmal ess' ich auch gar nichts." "Mmh, deshalb bist du also so ein Weakling", kommentierte Thaddeus grinsend, doch auch er bemerkte, dass sein Grinsen es nicht vermochte, die Sorge zu überspielen, die in seiner Stimme mitschwang, weshalb er sich räusperte. "Du weißt, dass du essen musst, Ardy. Regelmäßig und gesund, okay? Wenn du das nächste Mal nichts zu essen hast, ruf mich an. Versprich's mir." Ardy zuckte nur mit den Schultern, stimmte jedoch widerwillig zu, nachdem er Thaddeus' verletzten Blick gesehen hatte.

Während Ardy das Chili aß, wanderte sein Blick immer wieder auf den Bildschirm seines Handys, was natürlich nicht unbemerkt blieb. "Was'n los?" Ardy zögerte, entschied sich dann jedoch einfach für die Wahrheit. "Mmh? Luna hat mich gerade gefragt, ob du mir jemals einen anderen Namen genannt hast."
Thaddeus sah auf. Er war schlagartig erblasst. "Wie? Wie kommt sie denn darauf?", stammelte der Blauhaarige verwirrt, doch Ardy konnte nur mit den Schultern zucken. "Ich hab ihr gesagt, dass du dich nie anders als "Daniel" betitelt hast." Als er Thaddeus' unzufriedenen Blick sah, fügte er hastig hinzu: "Und natürlich direkt gefragt, wie sie auf die Idee gekommen ist."
"Und?"
"Sie meinte, dass sie zufälligerweise ein Instagrambild gefunden hat, auf dem angeblich deine Handtattoos sind. Auf deinem Händepaar war niemand markiert, dafür aber auf den anderen beiden, die mit auf dem Foto waren. Und auf einem der Profile war wohl ein Bild, auf dem sie dich erkannt haben will", fasste Ardy Lunas Erklärung zusammen.
"Und was daran lässt sie glauben, ich hätte einen Decknamen?", hakte Thaddeus nach, wobei er etwas gereizter klang als er es eigentlich beabsichtigte.
"Jetzt wird's eng für dich. In den Kommentaren wird nie der Name Daniel genannt, auch wenn eindeutig über dich geredet wird. Stattdessen wirst du "Taddl" genannt."
Nun wich ihm auch der Rest an Farbe aus dem Gesicht. Leichenblässe umrahmt von erstarrtem Meerwasser stand Ardy gegenüber, welcher gegen den Impuls, den Blick abzuwenden, ankämpfen musste.
"Aber...das könnte doch auch ein Spitzname sein", entgegnete Thaddeus leise. Er klang wie ein verwirrtes Kind, das sich nicht traute, seine Gedanken auszusprechen und stattdessen einfach am Ende des Satzes die Stimme hob, um es wie eine Frage wirken zu lassen. Ardy, der schlagartig Mitleid für den sonst so souveränen Thaddeus empfand, nickte und murmelte, dass er Luna genau dies geschrieben habe, woraufhin Hoffnung in den blauen Augen seines Gegenübers aufblitzte. Doch so sehr es ihn auch schmerzte, Ardy musste auch diesen Funken sofort wieder erlöschen lassen.
"Ja. Aber, und das ist wirklich unverschämt, sie hat den Inhaber des Profils angeschrieben. Als sie dann nach dir gefragt hat, hat er ihr nicht mehr geantwortet. Also hat sie es mit den anderen Leuten auf dem Bild versucht. Die meisten haben sie ignoriert, manche sogar blockiert, sobald sie dich auch nur erwähnt hat. Aber einer hat es ihr dann doch gesagt. Zwar erst, nachdem er dich ziemlich heftig beleidigt hat, aber das hat ihr Vertrauen in dich nicht unbedingt vertieft."

Thaddeus hatte während des Zuhörens ins Leere gestarrt, doch nun regte sich etwas in seinem Blick. Und das gefiel Ardy ganz und gar nicht, im Gegenteil. Es jagte ihm eine Heidenangst ein. "Dieses verdammte Arschloch!", hauchte Thaddeus so leise, dass Ardy es fast nicht gehört hätte. Dann sprang er auf. "Dieser beschissene Wichser! Oh Gott, ich hasse ihn! Ich hasse dich so sehr, du dummer Spast!", schrie er schrill, während er rastlos in der Küche auf- und abtigerte. Dann, völlig unvermittelt, fegte er schwungvoll seinen Teller vom Tisch. Das weiße Porzellan zerschellte krachend an der cremefarbenen Wand, die vom Chili nun an einigen Stellen rotbraun gesprenkelt war. Pipi verließ mit in Panik aufgerissenen Augen fluchtartig den Raum und Ardy hätte es ihr am liebsten gleich getan. Zu sehr ähnelte dieses Bild dem, das er nur allzu oft Zuhause ertragen musste. Er machte sich kleiner und kleiner in seinem Stuhl, während Thaddeus immer heftigere Salven von Schimpfwörtern ausspie. Sich immer mehr in Hektor verwandelte. Ardy schlug sich schützend die Hände vors Gesicht und hoffte einfach, dass es bald vorbei sein würde.
Dann irgendwann, für Ardy fühlte es sich an wie eine halbe Ewigkeit, in Wahrheit waren es nur wenige Minuten, als dem Blauhaarigen schlichtweg keine Beleidigungen mehr einfallen wollten, ließ dieser sich erschöpft auf seinen Platz fallen. Vorsichtig ließ Ardy seine Hände in seinen Schoß sinken. Dann sah er Thaddeus einfach nur an. Und hätte dieser in jenem Moment den Blick erwidert, hätte er die bittere Enttäuschung gesehen, die in Ardys Augen ein Heim gefunden hatte. Doch er sah nicht hin.
Lange sagte keiner von ihnen etwas. Ardy schwieg, weil er Angst hatte, den anderen wieder in Rage zu bringen, und, weil er so enttäuscht war, dass er sich beinahe in einem schockähnlichen Zustand befand. Und Thaddeus, der schwer atmend an die Zimmerdecke starrte, war zu beschäftigt, das Gefühlschaos in seinem Inneren zu sortieren, als dass er Ardians Anwesenheit überhaupt wahrnehmen könnte.
Eine Weile würden sie so noch in der Stille der Küche ausharren. Doch natürlich konnten sie nicht ewig nichts sagen.

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Pechjunge - [tardy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt