Die Zeit vergeht rasend schnell und quälend langsam zugleich, was wirklich eine komische Mischung ist. Immer wieder habe ich Wutausbrüche gehabt, bei denen mich niemand stoppen konnte, nicht einmal die Ratsmitglieder, die eigentlich über jedem, sogar über Königen, stehen. Ich muss zugeben, wahrscheinlich ist es ein wenig gruselig gewesen, denn ich habe sogar Feuer gespuckt, etwas, was die wenigsten Hexen können. Wut stellt etwas in mir an, doch eigentlich macht sie mich eiskalt. Ich könnte jetzt ohne mit der Wimper zu zucken töten, so viel weiß ich. Nicht, dass es passiert wäre, ich kann mich gut zurückhalten. Außer, ich habe einen Ausbruch. Aber ich habe nicht nur Wutausbrüche, sondern auch seelische Zusammenbrüche. Lyriam weiß nicht, wie schlecht es mir geht, in Briefen kann man nämlich richtig gut lügen. Wenn ich ihm gegenüberstehe, weiß er sofort, das was nicht stimmt, doch das ist generell nicht schwer zu sehen, da ich starke Augenringe habe, weil ich in den Nächten nicht mehr schlafen kann und meistens auf dem Dach verbringe. Auch meine Augen strahlen nicht mehr, es sind einfach nur mehr gewöhnliche hellblaue Augen. Ich bin gebrochen und es macht mir nicht einmal mehr etwas aus. Nichts macht mir mehr was aus, denn in ein paar Tagen wird die Verlobung von mir und Gabriel verkündet. Vor dem Tag fürchte ich mich eigentlich richtig, doch inzwischen ist es mir auch gleichgültig geworden. Meine Maske lässt kein Gefühl mehr durch und seit ich hier bin, was inzwischen seit zwei Monaten ist, habe ich noch keinen Ausritt gemacht, auf das ich mich am Anfang darauf gefreut habe. Auch ein Schwert habe ich nicht angefasst, auch ein paar Kilos habe ich verloren. Ich mache meinem Vater und wohl auch Lyriam im Vampirsein inzwischen ernsthafte Konkurrenz, wie ich im Spiegel sehe.
Wie inzwischen jeden Tag stöbere ich durch den Garten, ohne einen Plan, was ich überhaupt mache. Und wie jeden Tag pflücke ich eine Blume, ohne Plan gewählt. Ich habe, wie man vielleicht merkt, von nichts mehr einem Plan. Und jeden Tag wird der Schmerz in meinem Inneren größer, ohne dass es jemand bemerkt. Denn Lucifer und Gabriel sind beide völlig besessen von Pallisander. Wenn ich einen Mord ohne Folgen frei hätte, ich würde nicht einmal eine Sekunde zögern. Ich würde sie noch vor meinem Vater umbringen und das will was heißen. Ich lege mich auf den Rücken, starre direkt in die Sonne doch schrecke nicht davor zurück. Ein Vampir bin ich dann wohl eher doch nicht, doch es ist mir egal.
Am Mittagstisch kümmert sich wieder niemand um mich. Gabriel hat den Arm um Pallisander gelegt und lacht herzlich. Ihm ist es noch gar nicht aufgefallen, wie krank ich inzwischen ausschaue. Plötzlich spüre ich einen stechenden Blick auf mir und hebe den Blick. Blutrote Augen mustern mich und mein Herz bleibt stehen. Denn es ist Lucifer, der sich aus Pallisanders Bann gelöst hat und mich nun besorgt mustert. Ich schaue ihm unverwandt in die Augen, versuche all meinen Hass in meinen Blick zu legen, doch weiß nicht, ob nicht vielleicht etwas Schwerz darin zu sehen ist. Denn das ist der Grund, Schmerz. Ich bin nicht wütend auf Lucifer, noch hasse ich ihn. Ich bin verletzt, auf einer Ebene, auf der man mich noch nie verletzt hat. Denn es ist die eine Sache, dass mein Vater über meinen Kopf hinweg entschieden hat, aber es ist eine andere Sache, dass er mich angelogen hat und so getan hat, als wäre es wirklich wichtig, dass ich mich für ihn entscheide, wo die Wahl doch gar nicht da ist. Denn verdammt, hätte ich die Wahl gehabt, ich hätte ihn gewählt. Und wie ich ihn gewählt hätte, mein Herz schlägt für ihn. Für ihn, nicht für Gabriel. Der kümmert sich ja noch nicht einmal um mich, denn es ist Lucifer, der mich im Gang schon des Öfteren gefragt hat, ob wirklich alles in Ordnung sei. Jedes Mal habe ich ein Lächeln aufgesetzt, so falsch, dass es wehgetan hat und gesagt, dass alles in bester Ordnung sei. Ist es ja auch, wenn man meine Gefühle einfach vergisst, denn dann läuft alles nach Plan. Und ich passe, wie immer, nicht dazu.
In der Nacht liege ich auf dem Dach, betrachte die Sterne und mache mir die Gedanken. Ich bin inzwischen zwar schon fast zwanzig, doch führe mich auf wie ein dreizehnjähriges Mädchen, welches zum ersten Mal ein bisschen Liebeskummer hat und so tut, als würde die Welt unter gehen. Vielleicht haben ich und Pallisander ja die Rollen getauscht, denn sie verhält sich, egal in welcher Situation, immer sehr reif und kann alle verzaubern. Und ich habe das Gefühl, dass die Welt wirklich untergeht, ohne zu übertreiben. Denn mein Herz schlägt nicht mehr richtig, was nicht mehr normal sein kann. Aber eigentlich bin ich wirklich nur dieses junge Mädchen, welches zum ersten Mal in ihrem Leben ein gebrochenes Herz hat. Vielleicht ist es doch nicht gut von meinem Vater gewesen, alle Männer von mir fernzuhalten. Vielleicht hat mein Vater auch einfach kein Händchen für Entscheidungen. Denn egal, für was er sich bis jetzt entschieden hat, es ist immer gegen mich und gegen meine Gefühle gewesen. Inzwischen kann ich Gabriel nicht einmal mehr ausstehen, ich kann den freundlichen Kollegen, den ich am Anfang in ihm gesehen habe, nicht mehr sehen. Für mich ist er jetzt einfach nur noch der Mann, den ich heiraten soll. Aber das ist kein gutes Zeichen, nein. Ich verabscheue ihn. „El", ertönt plötzlich eine raue, tiefe Stimme neben mir. Beinahe wäre ich vom Dach gerutscht, vor allem, weil ich weiß, dass es Lucifer ist. „Geh weg", krächze ich, zu mehr bin ich nicht fähig. Ich habe lange nicht mehr geredet, vor allem nicht mehr als drei Worte. „Mir geht's gut", ist das einzige gewesen, was ich die ganzen zwei Monate lang gesagt habe. „Ich weiß, dass es dir nicht gut geht", fängt er vorsichtig an. Ich hole tief Luft, atme dann wieder aus. „Es tut mir leid, El", seine Stimme ist nur ein Flüstern, doch es ist diese Entschuldigung, die mich zum platzen bringt. „Es tut dir leid?! Lucifer, dass mein Vater für mich entschieden hat bin ich schon gewohnt, aber du hast mich angelogen und mir etwas vorgespielt! Wärst du gar nicht erst hier gewesen, hätte ich mich auch gut in das fügen können, aber du hast nichts Besseres zu tun, als mit mir zu spielen! Weißt du, wie bescheuert sich das anfühlt?!", ich brülle es fast, doch fühle mich sogleich besser. Endlich habe ich alles rausgelassen, was sich die ganze Zeit über in mir angesammelt hat. Lucifer ist stumm, es sieht so aus, als habe ich ihn sprachlos gemacht. Er öffnet den Mund, schließt ihn wieder. „Wow", bricht es irgendwann aus ihm heraus, „Hör' mir bitte zu, okay? Ich habe nicht mit dir gespielt, Elena. Eigentlich habe ich mir selbst etwas vorgemacht. Ich habe mir selbst eingeredet, dass ich deinen Vater umstimmen könnte. Als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, mitten in der Nacht und du sofort zum Dolch gegriffen hast, um dich zu verteidigen, habe ich etwas gefühlt, was ich noch nie gefühlt habe. Jedes andere Mädchen wäre weggerannt oder hätte geschrien, aber du hast versucht, dich zu verteidigen, ganz ohne Furcht. Ich bin vor Begeisterung fast ausgeflippt, Elena. Und ich wollte unbedingt, dass du meine Frau wirst und dass Gabriel dich nicht will, wenn er sieht, wie sehr wir zusammenpassen. Ich habe aber vergessen, wer dein Vater ist, Elena und ich habe vergessen, dass Gabriel alle will, was ich habe." Es ist still. Ich kann nichts sagen, jetzt hat er mich sprachlos gemacht. „Weißt du, Elena, ich wünschte, wir könnten abhauen, aber wir sind keine unbekannten Personen. Wir fallen auf wie bunte Hunde in einer schwarz-weißen Welt. Und es tut mir weh, dich so verletzt zu sehen", flüstert er, legt seine Hand in meine. Alles steht still, ich vergesse augenblicklich alles, was mir jemals durch den Kopf gegangen ist. „Aber bald wird deine und auch meine Verlobung bekannt gegeben und Pallisander und Gabriel sind unsere Partner", ich flüstere und merke, wie ich weine. All die Zeit habe ich es geschafft, die Maske aufrecht zu halten und ausgerechnet jetzt, ein paar Tage vor der Verlobung, bricht sie. Lucifer nimmt mich in seine Arme. Minutenlang sitzen wir einfach nur da, ich genieße die bittere Aura, die ihn und jetzt auch mich umgibt und wünschte mir, ich könnte ein Stück dieser Aura immer mit mir herumtragen. Ich wünsche mir zugleich auch, dass er mich niemals loslässt. Doch nur eine Sekunde später tut er das. „Ich kann das nicht", flüstere ich hoffnungslos, „Ich habe mich jedes Mal gefügt, aber das macht mich kaputt!" „Ich weiß", flüstert Lucifer leise, dann zieht er mich an sich und küsst mich. Ein Feuer fängt an, in mir zu brennen. Ich stehe in Flammen und genieße es, mein Herz schlägt wieder, wenn auch etwas zu schnell. Und gleichzeitig weiß ich, dass dieser Kuss kein Anfang einer romantischen Liebesgeschichte ist, wie sie in den ganzen Büchern beschrieben wird. Dieser Kuss ist ein Abschied und zugleich das Ende der wohl noch tragischeren Liebesgeschichte als die von Romeo und Julia.
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Witches fight. || Abgeschlossen.
FantasíaEngel oder Teufel? Die Frage, die Elena sich jetzt stellen muss. Eine Entscheidung, die für die Hexe lächerlich erscheint, da sie doch eigentlich Königin von Elysia werden sollte, einem kleinen Königreich. Sie sollte doch nicht über Himmel und Hölle...