Kater

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Ich erwachte in meinem Bett. Es war ein ganz normaler Morgen. 

Die Erinnerung an den chaotischen Abend gestern war wieder da. Sie war eigentlich nie fort gewesen, ich hatte schließlich vergebens versucht sie zu verdrängen, doch wie ich es auch drehte und wandte, das lila Paillettenkleid war der widerspruchslose Beweis dafür, dass das alles tatsächlich passiert war. Auch das blutdurchtränkte Klopapier, welches unverändert um meine Hand gewickelt war, half nicht gerade dabei.

Ich richtete mich auf und schob meine Beine über den Rand meines Bettes, um aufstehen zu können. Bevor ich das jedoch tat, rieb ich mir den Schlaf aus den Augen.

Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits zwölf Uhr Mittags war. Ein Seufzen entfuhr meiner Kehle. Nun richtete ich mich vollends auf und schleppte mich ins Bad, um endlich dieses scheußlich kratzende Kleid loszuwerden. 

Ich spritzte mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht, um wach zu werden und verließ schließlich mit Klamotten, die nicht kratzten, das Badezimmer.

Heute fiel mir alles schwer. Das Treppensteigen sowieso, aber selbst das Atmen gelang mir nur schwerfällig. Ich war schwach und müde und verspürte keinerlei Lust heute irgendwas zu tun. Dennoch war mir klar, dass es mir guttun würde eben das zu tun, worauf ich am wenigsten Lust hatte: Laufen.

Als ich nach einigen schweren Schritten das untere Ende der Treppe erreicht hatte und meinen Bruder erblickte, der sofort besorgt zu mir eilte, missfiel mir der Gedanke gleich mit ihm sprechen zu müssen. Maulfaul war ein Ausdruck, der mir gerade sehr vertraut vorkam, obwohl es mir sonst immer fern lag, mich damit zu identifizieren.

"Alles okay?", fragte Jin mit besorgt gerunzelter Stirn. "Du bist gestern wohl ziemlich hart auf dem Kopf gelandet. Taehyung war so freundlich dich ins Bett zu tragen. Du weißt ja, wie mein Rücken ist..."

"Schon gut", entgegnete ich müde und setzte mich auf das Sofa, welches gestern offenbar noch zur Genüge benutzt worden war. Darauf wies zum Einen der große Fleck hin, der von Rotwein oder ähnlichen alkoholischen Substanzen ausgelöst worden war und zum Anderen der vollgestellte Beistelltisch. Dort waren nicht nur leere Flaschen und Gläser (wobei die Gläser wohl hauptsächlich von meinem peniblen Bruder benutzt worden waren), sondern auch leere Pizzakartons abgestellt.

In meinem normalen Zustand wäre ich jetzt unglaublich sauer auf Jin gewesen, doch ich war im Moment einfach zu schwach, um mich darüber aufzuregen. Im inneren tobte ich, doch nach außen war davon nur die gedämpfte Version zu spüren. Die sehr gedämpfte Version. Die, in der man halt nichts davon spürte.

Jin sah mich erwartungsvoll an. Ich wusste, wenn ich ihm jetzt keinen Beweis für meine geistige Anwesenheit gab, würde er sofort den Notarzt verständigen. Also gab ich ihm ein Zeichen. Ein gewagtes Zeichen, aber er war immerhin mein Bruder.

"Ihr habt euch wohl auch ohne mich prächtig amüsiert", sagte ich mit einem, für mich typischen, gereizten Unterton. Ich konnte Jins Erleichterung förmlich riechen.

"Taehyung hat darauf bestanden, nachdem er dich hochgebracht hatte. Er hat sich wegen deinem Schnitt die Schuld gegeben und sich dann betrunken." Wer weiß, vielleicht war es ja seine Schuld gewesen, vielleicht war dieser eine Teller zu viel gewesen, vielleicht hatte dieser eine Teller eine Kettenreaktion von Unglück meinerseits verursacht... "Ich hab ihn hier pennen lassen, weil er mit dem Auto hier war und keiner ihn mitnehmen wollte."

Jetzt wurde ich hellhörig. Der Kerl war noch hier? Ich musste hier weg. Als ich jedoch aufstehen wollte, drückte Jin mich zurück in die fluffigen Kissen auf dem Sofa. Als hätte er es vorausgesehen.

"Ich möchte, dass du dich bei Taehyung entschuldigst!", sagte Jin und sah mir dabei ernst in die Augen.

"Bitte was?!" Ich sollte mich bei ihm entschuldigen? Für was denn? Dafür, dass ich die Teller fallen gelassen habe, ohne auf den ausdrücklichen Befehl dazu zu warten? Das war ja wohl ein Witz!

"Tut mir leid, das war unglücklich ausgedrückt. Ich wollte sagen: Du sollst ihm sagen, dass es nicht seine Schuld war. Dann kann er in Frieden sterben." Ich sah meinen Bruder einfach nur ungläubig an. 

Da kam er auch schon die Treppe herunter. Er sah aus, wie ein Häufchen Elend, in dem offenbar zu großen Schlafanzug von Jin, mit strubbeligen Haaren und krassen Augenringen. Er schleppte sich genau so mühsam die Treppe herunter wie ich. Als er mich erkannte blieb er wie angewurzelt stehen und rannte dann auf mich zu, um mich zu umarmen. Das fühlte sich ziemlich unangenehm an, doch als ich versuchte ihn wegzustoßen, wurde sein Griff nur noch fester. 

"Ich dachte schon du wärst tot!", nuschelte er in meinen Rücken. Ich zog eine Augenbraue hoch.

"Es war doch nur ein kleiner Schnitt. Zu denken, dass ich wegen sowas sterbe ist fast so dumm, wie zu denken, man könnte vom Küssen schwanger werden." Er schüttelte übertrieben heftig den Kopf.

"Ich hab geträumt, dass du von einem Bus überfahren wurdest!" Ich verdrehte die Augen. Dieser Kerl war echt unmöglich.

"Jetzt setz dich erst mal und komm runter. Ich bin, wie du hoffentlich durch deine Fahne sehen kannst, noch lebendiger als du. Du solltest dir also lieber Sorgen um dich machen, als um mich."

Hoffentlich würde ich mich irgendwann an diese seltsame Person gewöhnen. Schließlich gab es tausend verschiedene Möglichkeiten ihn wieder zu treffen...

A bus stop story || k.th ff ||Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt