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Freitag

Nachdem mich Fynn sozusagen zu ihm und Elias nach Hause eingeladen hat, sitze ich nun in Elias Auto. Eigentlich hatte ich mir vorgestellt, dass er einen alten, rostigen, Wagen fährt. Allerdings besitzt er einen sehr gepflegten und relativ neuen Wagen. 

Mittlerweile haben wir die Innenstadt Münchens verlassen. Der Wagen hat eine sehr gepflegte Gegend erreicht. Hier stehen nur beeindruckende Villen. 

„Hier wohnen wir", meint Elias und hält vor einem hellen Sandsteingebäude. Er drückt einen Knopf am Armaturenbrett und wenige Minuten später, öffnet sich ein imposantes schmiedeeisernes Tor. 

„Wow". Das ist wirklich beeindruckend. 

„Darf ich ihr mein Zimmer zeigen?", fragt Fynn vorsichtig.

„Aber sicher. Viel Spaß". Elias sieht uns grinsend hinterher. 

Jetzt bin ich richtig neugierig, was mich erwarten wird. Ich kann Fynn momentan noch schlecht einschätzen. Er könnte sich für alles mögliche interessieren. Nur hoffentlich nicht für Spinnen. Ich habe tierische Angst vor den achtbeinern. 

Fynn's Zimmer befindet sich in der oberen Etage des Hauses. Insgeheim frage ich mich, wie viele Zimmer es hier wohl gibt. Eins ist ganz deutlich zu erkennen. Hier ist es wie in einem Museum. Überall stehen Bilder von Fynn und seinen Eltern. Seine Mutter war wirklich hübsch. Bei Gelegenheit muss ich Elias mal nach der Unfallursache fragen. Dieses Detail hat Klara ausgelassen. 

Als die Zimmertür aufgeht, bin ich sofort beruhigt. Keine Spinnen und auch keine Schlangen. - die mag ich auch nicht. 

Fynn ist scheinbar ein großer Star Wars Fan. Gut, ich würde lügen wenn ich sagen würde, dass ich mich auf diesem Gebiet sehr gut auskennen würde, aber damit kann ich gut arbeiten.

„Wahnsinn, was ist das?", frage ich und deute auf ein großes, aus Lego, gebautes Teil. 

„Das ist der Sternzerstörer. Kennst du die Filme?", fragt er und öffnet einen seiner Schränke. Darin befinden sich noch mehr gebaute Dinge. Scheinbar alles von Star Wars. Faszinierend. Ich hab in seinem Alter vergebens versucht mit Lego ein Haus zu bauen, doch darin hatte ich weniger Erfolg.

„Ja, aber das ist schon ganz lange her. Vielleicht magst du mir ja ein bisschen erzählen, dann verstehe ich bestimmt vieles besser".

Fynn nickt begeistert und deutet auf sein Bett. Keine schlechte Idee. Wir machen es uns auf seinem Bett gemütlich. An die Decke wurde ein wunderschöner Sternenhimmel gemalt. Dieses Zimmer ist ein richtiger Traum.

Eine gute Stunde später, steckt Elias seinen Kopf durch die Tür und sieht mich grinsend an. Sein Neffe hat mir in den letzten Minuten begeistert alles über Sturmtruppen, Darth Vader, Luke Skywalker und R2D2 erklärt. Ich mag den kleinen Mann. 

„Magst du noch mit uns essen? Elias macht immer viel zu viel", erzählt mir Fynn grinsend.

„Gern. Vielleicht braucht dein Onkel Hilfe. Danke Fynn. Das war wirklich toll von dir. Ich mache mir mal ein paar Gedanken für deine Torte", gebe ich bekannt doch eigentlich, habe ich schon eine Idee im Kopf. Doch das wird meine Überraschung.

„Ich muss mich bei dir bedanken, Carolin. Fynn war schon lange nicht mehr so ausgelassen". 

„Caro reicht. Er ist ein toller Junge, nur ein bisschen zurückhaltend, aber das ist ja nicht schlimm". Mittlerweile stehen wir zwei in der Küche und schneiden Gemüse. Diese Küche hätte ich auch gern. Groß, hell. Ein Traum. Eigentlich ist das gesamte Haus ein Traum.

„Ja, früher war er ganz anders. Da hat er den ganzen Tag nur geredet und hat Quatsch gemacht. Wie alle in seinem Alter. Seit seine Eltern nicht mehr da sind, hat sich das geändert", meint Elias und hält für einen Moment inne.

„Magst du ... Magst du mir vielleicht erzählen was passiert ist?", frage ich vorsichtig und kaue auf meiner Unterlippe. 

„Vor zwei Jahren wurde Fynn eingeschult. Er ist ein paar Tage vorher gerade sechs Jahre alt geworden. Wir haben uns alle so auf seinen ersten Schultag gefreut. Auf dem Rückweg von der Schule, muss irgendwas passiert sein, mein Bruder hat laut den Ermittlungen die Kontrolle über den Wagen verloren und ist frontal in einen LKW gerammt. Meine Schwägerin ist noch am Unfallort gestorben. Mein Bruder wurde schwerverletzt in die Klinik geflogen. Fynn hatte sehr viel Glück. Er hatte lediglich ein paar Schrammen. Und einen Schock. Unsere Eltern sind schon relativ früh verstorben, also gab es nur noch mich und die Eltern von Anja, Fynn's Mutter. Wir haben vom Unfall nichts mitbekommen. Ich war mit den anderen schon hergefahren um das Essen zu machen, als ich einen Anruf von der Polizei bekommen habe. Seitdem hat sich mein Leben komplett geändert". Elias fällt es hörbar schwer darüber zu reden. Aber ich bin ihm sehr dankbar, dass er es macht. 

„Und was ist dann passiert? Ich meine mit deinem Bruder?", hake ich nach und lege instinktiv meine Hand auf seinen Arm. Das Gemüse kann warten. 

„Wir sind sofort in die Klinik gefahren. Anja's Eltern standen total unter Schock und wurden sofort von Kollegen betreut. Ich kann dir gar nicht sagen, was mir in diesen Minuten durch den Kopf gegangen ist. Niklas, damals war er ja auch schon in der Klinik, war einer der behandelnden Ärzte, hat mir erzählt, dass mein Bruder operiert werden würde und er in einem sehr kritischen Zustand sei. Danach hat er mich zu Fynn gebracht. Dieser Anblick hat mir mein Herz fast zerrissen. Ich hab mich sofort in meine Kindheit zurückversetzt gefühlt. Unsere Eltern sind gestorben als ich in genau demselben Alter war. Ben und ich sind dann bei unseren Großeltern aufgewachsen". Elias fährt sich durch die Haare und schenkt uns etwas Wein ein. Genau das brauche ich jetzt auch. 

„Ich war einfach nur froh, dass es wenigstens ihm soweit gut ging. Irgendwann kam dann Ben aus dem OP und ich durfte zu ihm. Ich hab funktioniert wie ein Autopilot. Ben sah wirklich schlimm aus. Sein Kopf bestand eigentlich nur noch aus Verbänden. Der Arzt, der ihn operiert hat, kam damals zu mir und erklärte mir, dass sein Gehirn irreparable Schäden hatte und die Chance, dass er jemals wieder aus dem Koma aufwachen würde unter 10 Prozent liegt. Die Ärzte haben mir geraten über eine Organspende nachzudenken".

„Und? Hast du es gemacht?", frage ich und trinke einen Schluck Wein. Doch ich kann mich nur richtig auf seine Erzählungen konzentrieren. 

„Ich hätte es gemacht, ja. Ben war immer für andere da und hätte das auch gewollt. Doch als ich in die Klinik kam, musste er reanimiert werden". Ich lege mir die Hand auf den Mund.

„Kurze Zeit später haben sie dann aufgehört und mein Bruder war..." Elias lässt den Satz unbeendet. Erst jetzt bemerke ich, dass ich weine. Elias und Fynn haben echt viel durchmachen müssen.

„Und jetzt bist du für Fynn da. Ihr seid eine Familie".

„Ja. Glaub mir, es viel mir nicht leicht anfangs. Ich meine, ich bin sechsundzwanzig und muss jetzt für einen achtjährigen sorgen. Das ist nicht immer leicht, aber ich denke, ich schlage mich gut". Elias lächelt tapfer und widmet sich wieder dem Gemüse.

Er macht das wirklich gut. Also nicht das mit dem Gemüse.

Auch flirten will gelernt seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt