Kapitel 9: "Isabel, bitte rede mit mir..."

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Kapitel 9: „Isabel, bitte rede mit mir…“

Isabel

Wir stiegen alle aus dem Bus und es war zwar das größte Kaff auf Erden, aber in der Natur fühlte ich mich schon immer wohl. Die Taschen wurden ausgeteilt und wir gingen Klassenweise in den Wald zu dem Platz, an dem wir Zelten sollten.  In der Nähe war ein See und als ich die kleine Hütte zum Bezahlen sah, merkte ich, dass es ein Zeltplatz war, mitten im Wald. Wer kommt den bitteschön auf so eine Idee? Unsere Lehrer bezahlten mit dem Geld, das wir ihnen geben mussten und jedem von uns wurde Paarweise ein Zelt in die Hand gedrückt. David neben mir sah aus welchem Grund auch noch ziemlich verschlafen aus und das konnte ich nur zu gut verstehen.
Wir suchten uns einen Platz und ließen die Heringe und so weiter auf den Boden fallen. Ich war überrascht, wie selbstverständlich David das Aufbauen übernehmen wollte, aber ich musste einfach nur lachen, wie er schon eine halbe Stunde mit den Stangen kämpfte. „Gib mal her. Das kann man ja nicht mit ansehen.“, sagte ich immer noch lachend und nahm sie ihm aus der Hand. Er tut den ganzen Tag auf Macho - Arsch und was weiß ich noch alles und dann kann er nicht mal ein Zelt aufbauen. Nach einer guten viertel Stunde stand das Zelt und David sah mich verdutzt an. „Wieso zum Teufel kannst du sowas?“, fragte er mich fassungslos. Gott, so eine Kunst war das jetzt auch wieder nicht. „Du vergisst, dass ich mit vier Männern unter einem Dach lebe. Da muss man sowas können.“, lachte ich und stupste ihm in die Seite, damit er mich nicht mehr so beleidigt ansah. Aber jetzt kommt das Wichtigste: Das Zelt war klein. Sehr klein!
Unsere Taschen verstauten wir in dem ‚Vorraum‘ und dann war da noch eine einzige Kabine (!) zum schlafen. Ich beschwere mich ja nicht über das Zelt, aber mit ihm auf engstem Raum zu schlafen ist echt zu viel des Guten. Unsicher warf ich David von der Seite einen Blick zu, aber er wusste anscheinend auch nicht so ganz, wie er das finden sollte, weil er einfach nur mit den Schultern zuckte.

Unsere Lehrer hatten uns alle zu einer ‚Besprechung‘ geholt und uns so ungefähr erklärt, was wir in den nächsten Tagen alles machen werden, wo wir duschen konnten und das war der nächste Grund für mich zum Schreien. Die Duschräume waren nicht wirklich getrennt und vor den Jungs… nein Danke. Zum Glück hatte ich mir einen Bikini eingepackt und so hatte ich einfach beschlossen nachts in dem See zu baden. Er sah richtig sauber aus und wenn es dunkel war würden sowieso alle schlafen, also wieso nicht?
Der erste Punkt auf der Liste war, dass wir in den Zelt - Teams bestimmte Sachen suchen mussten mit einer Karte. Wieso waren diese Leute nur so versessen darauf, dass die Spanier und die Amerikaner sich so gut verstehen sollten? Es war ja schon eine Sache bei ihnen zu wohnen und den ganzen Tag in der Schule wie eine Klette an ihnen zu hängen, aber das übertraf alles. „Als hätten wir nichts besseres zu tun.“, murmelte mein Partner, als wir die Karte abholten. David hatte wirklich Recht. Sowas konnte man in den 5. Klassen abziehen, aber nicht in der 12.
Als wir die markierten Stellen sahen, wurde Davids Laune nicht wirklich besser. Sie waren schon auf der Karte ewig weit weg und ich fragte mich wirklich, wie lange dieser Fußmarsch werden würde. Immer wenn er auf den Fetzen Papier in seinen Händen starrte, runzelte er die Stirn und irgendwie sah das sü… Ich schüttelte den Kopf und wand den Blick ab. „Irgendwie sind wir vom Weg abgekommen.“, sagte er nach einer Weile. „Na toll. Gib mal kurz her.“, kam es von mir und ich riss ihm die Karte aus der Hand. Normalerweise sollte in der Nähe von uns ein kleiner Bach sein, aber es war weit und breit nichts zu sehen. Wir gingen noch eine Weile, aber immer noch war keiner zu sehen. „Verdammt, da ist keiner!“, fing ich an zu fluchen, weil es schön langsam dunkel werden würde. Also besser konnte es ja nicht mehr kommen. Mit meinem Handy beleuchtete ich die Karte und sah mich weiter um. „Also entweder sind wir total falsch oder…“, weiter kam ich nicht, denn mir fiel die Karte und mein Handy aus der Hand, als ein Eichhörnchen oder was das war über meine Füße flitzte. Ich schrie erschrocken auf, weil es eben schon dunkel war und ehe ich mich versah, stolperte ich und flog von irgendwo einen Abhang hinunter. Ich prallte mehrmals mit dem Rücken, dann wieder mit dem Bauch und dann mit dem Kopf bis die Steile zu Ende war. Mein ganzer Körper schmerzte und schweratmend versuchte ich mich aufzurichten. Es war vollkommen still um mich und mein Schädel tat höllisch weh. Ich sah Davids Augen über mir blitzen und konnte im Mondlicht erkennen, dass er seinen Mund bewegte, aber alles was ich hörte, war ein endloses Piepen und Rauschen. Ich versuchte die Augen offen zu halten, aber mein Gehirn befahl mir etwas anderes. Ich merkte, dass David mich Huckepack auf seinen Rücken nahm und sein Kopf verzweifelt hin und her zuckte. Ich spürte, dass unter meinen Händen sein Hals vibrierte, als er anscheinend etwas sagte, aber wieder hörte ich ihn nicht. Zügig ging er in irgendwelche Richtungen und sah sich immer wieder um. Ich ließ meinen Kopf auf seine Schulter sinken und wollte einfach nur meine Augen schließen und den Schmerz meines Körpers vergessen. Jeden Schritt, den er machte, bebte in meinem Kopf und ließ ihn schmerzhaft stechen. Ich zwang mich die ganze Zeit, meine Augen offen zu halten um mich wieder orientieren zu können, aber ich sah nur, wie Bäume an mir vorbeizogen, während David rannte.
Nach einer Weile sah ich ein paar helle Punkte und merkte, dass wir wieder beim Zeltplatz angekommen waren. Davids Stimmbänder vibrierten stärker als das letzte Mal und er ging auf etwas zu, das ich nicht erkennen konnte. Es war, als würde ich durch Milchglas sehen; immer nur verschwommen. Ich wurde von ihm an jemanden anderes weiter gegeben und auf einmal war es total hell. Geblendet schloss ich die Augen und spürte, wie ich auf etwas Weiches gesetzt wurde. Ein Mann, den ich nicht kannte wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum, aber ich konnte kein Wort verstehen.

Ass meets another Girl  ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt