Der Konflikt

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Vor dem nächsten Abend hatte sich Sophie gefürchtet, denn der Streit zwischen Surin und Samos war noch lange nicht ausgetragen. 

Der französische Jesuit ging sofort zum Angriff über: "Du, Samos, hast eine Philosophie für Sünder und schlechte Menschen erfunden, um die Seelen im Auftrag des Bösen zu verfinstern und zu verderben. Dein Ziel ist es, das Tier zu wecken, um Lüsternheit und Unkeuschheit zu fördern." 

Samos blieb ruhig: "Du hast überhaupt nichts verstanden. Ein epikureischer Weiser und Hedonist setzt den Trieben klare Grenzen. Es geht darum, Begierden zu stillen und das nicht mit dem Ziel, sie noch zusätzlich anzureizen. Die Besessenheit, mit der du von der Sünde sprichst,  ist viel mehr dazu geeignet, Menschen erst auf die Idee zu bringen, etwas Sündhaftes zu tun. Verbote machen oft begehrenswert, woran man ansonsten nicht einmal denken würde!" 

Surin beharrte auf seinem Standpunkt: "Die Lust erhebst du zum höchsten Gut. Der Weg zum ewigen Leben jedoch ist ein schmaler Pfad voller Schmerzen und Leiden, Prüfungen und Entbehrungen. Entsagung und Askese bringen den Lohn. Der ekstatische Rausch, Ausschweifungen und Ekzesse sind des Teufels und führen ins Verderben." 

Das reizte Samos nun wieder zum Lachen: "Mein Ziel ist einfach nur, dass Menschen auf kluge Weise schön und gerecht leben können. Statt Schmerzen und Leid sollen sie Freude und Lust empfinden dürfen." 

Sophie empfand es inzwischen als unfair, wie Samos immer wieder von Surin angegriffen wurde. Sie hatte sich einige Verse überlegt, in denen sie zum Ausdruck bringen wollte, wie sie die Absichten des griechischen Weisen verstand: 


"Du willst Seelenruhe erreichen, Begierden stillen,

Dir ist bewusst, dass Übermaß ins Elend führt.

Nicht Lüsternheit anzureizen entspricht deinem Willen,

Nur, dass jeder genießen darf, was ihm gebührt."


Was war denn jetzt passiert? Mit ihrem Gedicht hatte Sophie den Streit entschieden. Ihr wurde klar, dass sie den unterschiedlichen Stimmen nicht ausgeliefert war. Wie klug und weise sich deren Argumente auch anhören mochten, so war sie es doch selbst, die letzten Endes bestimmte. Über diese Erkenntnis freute sie sich sehr.





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