Kapitel 2

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„Du musst es ihnen sagen, sie werden dir bestimmt helfen, es sind deine Eltern!" „Ganz genau, es sind meine Eltern! Du weißt ja, wie die drauf sind." Ich warf meinen Blick auf den Beifahrersitz auf dem mein Handy lag. Ich lenkte meinen Blick wieder auf die Straße. Ich fühlte mich gefangen. Ich war eingezäunt von allen Seiten und das einzige, was mich befreien konnte, war die Wahrheit. Aber es würde alles nur noch schlimmer machen. „Ich muss es gar nicht sagen, ich lass das Ding abtreiben und es wird nie jemand irgendwas erfahren." Ich bog in meine Einfahrt ein. Sofort tauchte ein Engegefühl in meiner Brust auf und es fiel mir schwer, zu atmen. „Amber, du wirst dieses Baby nicht abtreiben, hörst du? Es gibt so viele Leute die sich dadurch kaputt machen. Das zerstört einen." Sophies Stimme kam laut aus den Handylautsprechern. „Ich bin da", flüsterte ich und starrte mein Haus an. Es war das hässlichste Haus in der Straße. Die Farbe war eigentlich weiß, aber es sah eher grau aus und vom schwarzen Dach und den schwarzen Fensterrahmen musste ich gar nicht erst anfangen. „Amber? Hallo? Bist du noch da?" Ich versuchte meine trockenen Stimmbänder durch mehrmaliges Schlucken anzufeuchten, was aber nicht sofort funktionierte. „Amber, du wirst es ihnen jetzt sagen! Du schaffst das!" Je länger ich hier saß, desto schneller wurde mein Puls. Meine Hände waren eiskalt und zitterten. „Okay, ich tu es", sagte ich und legte auf. Ein Atemzug, zwei Atemzüge, der dritte... Ich drückte die Autotür auf und stieg mit stark pochendem Herzen aus dem Auto. In meiner einen Hand hielt ich meine Tasche, in der anderen das Ultraschallbild. Mein Körper zitterte leicht und meine kalte Hand schwitzte. Der Schlüssel in ihr Hand drohte runterzufallen. Mit einem leisen Klacken fiel die Haustür hinter mir zu. Der Geruch von warmem Käse schlug mir ins Gesicht und löste Übelkeit in mir aus. Vielleicht lag es aber auch an der Aufregung. „Amber, du kommst gerade rechtzeitig zum Abendessen", begrüßte mich meine Mutter, nachdem ich ins Wohnzimmer eingetreten war. Mein Herz klopfte so laut, dass meine Ohren schmerzten. Ich durfte ihr einfach nicht ins Gesicht sehen. Ich schaffte das nicht. Ich konnte es nicht sagen. So unauffällig wie möglich schmuggelte ich das Ultraschallbild in meine Tasche. Ich war eine Riesen versagerin. „Kommst du an den Tisch?" Ich drehte mich zu meinem Dad um, der am Esstisch saß. Als sich unsere Blicke trafen, schaute ich schnell auf den Boden. Ich klammerte mich an meine Tasche. Ich war eine riesige Enttäuschung. Mein schlechtes Gewissen versuchte, mich zu erdrücken. Ich spürte, wie meine Augen anfingen zu brennen. Wenn ich jetzt nicht verschwand, würden meine Eltern sehen, dass ich weinte und sie würden alles erfahren. „Ich hab' keinen Hunger", presste ich mit dünner Stimme hervor. Ich drehte mich um und spürte, wie die ersten warmen Tropfen meine Wange hinunterliefen. Bevor meine Eltern noch was sagen konnten, rannte ich die Treppe rauf in mein Zimmer und schloss die Tür leise ab. Alles in mir brannte. Ich hielt das nicht aus. Ich legte mich in mein Bett, griff mir mein Kissen und schluchzte hinein. Alles kam mir so unwirklich vor. Meine Lunge schmerzte, ich bekam keine Luft mehr. Ich biss in das Kissen hinein und es kostete mich eine große Überwindung, nicht loszuschreien. Mit lautem Keuchen drehte ich mich auf den Rücken und presste das Kissen an mich. Ich musste es meinen Eltern erzählen und auch Brock. Ich setzte mich auf und wischte mir die Tränen von der Wange. Ich fischte mein Handy aus meiner Handtasche. Mein Herz hämmerte wieder gegen meine Rippen und alles in mir sträubte sich dagegen, mein Handy zu entsperren. Was war schlimmer, es meinen Eltern zu sagen oder Brock? Ich entsperrte mit zitternden Fingern mein Handy und öffnete die Messenger-App. Meine Hand war immer noch feucht und auf dem Bildschirm wurden Schmierflecken sichtbar. Bist du da? Ich starrte auf die Uhrzeitenanzeige. Es vergingen drei Minuten. Nachdem ich mir sicher war, dass er mir nicht antworten würde, schloss ich meine Augen. Das Gesicht von Brock tauchte vor meinen Augen auf. Seine kurzen blonden Haare, seine eisblauen Augen und seine schmale lange Nase. Wie konnte sich alles so schnell verändern? Vor zwei Wochen noch war er bei mir gewesen. Und dann war er mit der U.S. Army nach Afghanistan geflogen. Ich konnte ihn nicht davon abhalten. Und seitdem musste ich jeden Tag mit der Angst ins Bett gehen, dass er dort drüben sterben würde. Und jetzt war ich schwanger von ihm und er war nicht da. Er wusste noch nicht mal was davon. Er würde mich ganz bestimmt verlassen, wenn er es erführe. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren könnte. Ich atmete laut auf, so als könnte ich all diese schrecklichen Gedanken wegpusten, doch das ging nicht. Und mein schlechtes Gewissen meldete sich wieder. Ich musste mit meinen Eltern reden. Sofort, sonst würde ich das nie machen. Ich atmete ruhig ein und aus und öffnete meine Augen. Schlimmer konnte es sowieso nicht werden. Ich versuchte mir diesen Satz immer wieder durch den Kopf gehen zu lassen und es half ein bisschen. Meine Eltern standen im Wohnzimmer und waren gerade dabei, ein paar neue Sachen einzuräumen. Ich stand auf der letzten Treppenstufe und beobachtete die beiden. Schlimmer kann es nicht werden. Ich atmete tief ein und trat vor meine Eltern, die mich verdutzt ansahen. Mein Herz pochte. „Mom, Dad... ich... ich bin schwanger!" Jegliche Farbe wich aus dem Gesicht meiner Mom, während mein Dad zusammenzuckte. „Du bist was?" Mein Vater setzte sich auf den Sessel und schaute geschockt auf den Boden. Meine Mutter setzte sich mit bebenden Lippten auf das Sofa. „Mom, es tut mir leid, ich...", meine Stimme brach. „Wie konnte das nur passieren!", brüllte sie und fuchtelte mit ihren Händen herum. „Du hast deine Zukunft zerstört und...", den Rest konnte ich nicht verstehen, da die letzten Worte in einen Fluss aus Fluchen auf Spanisch übergingen. „Wer ist der Vater?", schrie meine Mom. „Brock!" Meine Tränen flossen still und ich schaute beschämt zur Seite. Mein Vater stand auf und verschwand in seinem Zimmer. Das versetzte mir einen Stich durch meinen ganzen Körper. „Ich möchte jetzt sofort, dass du zu Brocks Eltern gehst und es ihnen erzählst!" Moms schreiende Stimme wurde immer heiserer und zerfetzte mein Herz. Ich nickte nur und rieb mir mit meinem Handrücken über meine brennenden Augen. Ohne ein weiteres Wort ging ich aus dem Haus zu meinem Auto. Wieso war mein Leben nur so beschissen? Wieso hatte mein Vater nichts gesagt? Hatte ihn die Nachricht meiner Schwangerschaft verletzt? War er Enttäuscht? Die Übelkeit, die ich den ganzen Tag schon verspürt hatte, wurde von Minute zu Minute schlimmer. Ich fühlte mich schrecklich, wie ein Häufchen Elend und jetzt sollte ich auch noch mit Brocks Eltern reden. Ich fuhr immer geradeaus. Alles in mir schrie danach, einfach anzuhalten und umzukehren, aber ich musste es tun. Es war alles meine Schuld, ich hatte alles zu verantworten. Neben meinem Fenster tauchte die Universität auf. Ein weiterer Tränenschleier tauchte vor mir auf und ich blinzelte, bis die Tränen meine Wange hinunterliefen und ich wieder klar sehen konnte. Ich konnte noch auf die Uni gehen. Ich würde dieses Baby abtreiben lassen. Mein Wagen bog in die Einfahrt vom Hamlin-Haus. Erst als der Motor des Autos aus war, spürte ich, wie mein Puls sich wieder beschleunigte. So schlimm wie zu Hause konnte es doch gar nicht werden, war der nächste Satz, der mir durch den Kopf ging. Jeder Schritt, den ich auf die Tür zu tat, nahm mir immer mehr von dem bisschen Würde, das ich noch hatte. Ich atmete aus und drückte auf die Klingel, auf der der Name Hamlin stand. Nach ein paar Sekunden ging die Tür auf. Kathleen Hamlin, Brocks Mom, stand vor mir. Die eisblauen Augen von Brock schauten mich an und das versetzte mir einen Stich durchs Herz. „Amber, ist alles in Ordnung mit dir?" Sie bedeutete mir mit einem Kopfnicken einzutreten. Mich empfing sofort der leicht würzige vanilleartige Geruch, der mich betörte und schwindelig machte. Es war der Duft von Brock. Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte, mich auf die jetzige Situation zu konzentrieren. Meine Hände waren wieder feucht geworden und meine Autoschlüssel fielen auf den Boden. Ich ging in die Knie und hob sie auf. Als ich wieder stand, zog sich mein Magen krampfhaft zusammen und ich spürte einen extremen Druck im Kopf. Ich schaute Kathleen nicht an, ich blickte auf den Boden. Ich schämte mich für mein ganzes Sein. „Ich... bin schwanger, von Brock", eröffnete ich das Gespräch. Jegliche freundlichen Gesichtszüge wichen aus Kathleens Gesicht. „Was?", schrie sie entsetzt. „Nein, das darf nicht sein! Nein, nein!" Ihre Stimme überschlug sich. „Schwanger, schwanger, nein! Du zerstörst die Zukunft meines Sohnes! Schwanger, du bist so dumm, eine richtige Idiotin, wieso hat sich mein Sohn bloß auf so eine Schlampe wie dich eingelassen?!" Ihre Worte zerfetzten mich noch mehr. Ich biss heftig auf meine Unterlippe um mich auf die Schmerzen konzentrieren zu können. Sie hatte mich noch nie so beleidigt oder angeschrien. Meine Wangen brannten. „Kathleen, ich...", versuchte ich mit ihr zu reden. Ich wollte ihr sagen, dass es mir leidtat, dass ich das Baby loswerden würde und dann alles wieder normal werden würde, doch sie schüttelte nur mit düsterer Miene den Kopf. Sie zeigte mit ausgestrecktem Arm auf die Tür. „Bitte verlasse mein Haus! Jetzt sofort!" Ich ließ mir das nicht zweimal sagen. Hinter mir hatte sie die Haustür zugeschlagen. Ich ging heulend zum Auto und setzte mich hinein. Wieso ich? Zuhause wechselte ich kein Wort mit meinen Eltern, sondern ging direkt in mein Zimmer. Da sich mein Zimmer im Dachgeschoss befand, konnte man aus dem Fenster aufs Dach klettern. Immer wenn ich Probleme hatte oder nachdenken musste, setzte ich mich aufs Dach. Ich nahm meine Ultraschallbilder mit und setzte mich raus. Ich zog meine Beine an und blickte hinunter. Die anderen würden mich nie wieder normal behandeln. Ich hatte alles kaputt gemacht, alles war meine Schuld. Die Sonne am Horizont ging langsam unter und färbte den Himmel in ein helles Orange. Wäre ich doch nie auf Ciaras Party gewesen, dann wäre das alles nicht passiert. „Das ist ein schöner Sonnenuntergang", hörte ich die Stimme meines Dads hinter mir. Er setzte sich neben mich. Ich starrte stur weiter geradeaus. Ich konnte ihn nicht ansehen, das würde alles von mir zerstören. In meinen Augenwinkeln konnte ich sehen, wie er auf die Bilder neben mir schaute und sie dann in die Hand nahm. In meiner Brust tauchte wieder das Engegefühl auf und der Tränenschleier vor meinen Augen löste sich schnell wieder auf. Die Tränentropfen landeten auf meiner Hose und ich beobachtete, wie sie verschiedene Formen hinterließen. Ich wollte Dad fragen, was er jetzt von mir hielt, ob er mich hasste, aber ich traute mich nicht. „Was sagt denn Brock dazu?" Ich riss meinen Kopf hoch und schaute ihn verdutzt an. Er wusste es noch nicht. Ich hatte versucht, diese Aufgabe zu verdrängen. Ich wollte nicht, dass er es wusste; ich wollte, dass nichts zwischen uns kaputt ging. Mein Vater legte die Bilder wieder zurück und stand auf, kletterte durch das Fenster zurück und schaute dann noch einmal nach draußen. „Ich würde ihn sofort kontaktieren." Mein Vater verließ mein Zimmer. Ich musste es tun. Seufzend stand ich auf und kletterte zurück in mein Zimmer. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und legte die Bilder neben mich. Brock und ich, wir liebten uns. Noch nicht einmal der Krieg konnte uns trennen, wieso sollte es jetzt ein Baby tun. Ich klappte meinen Laptop auf und betete innerlich dass Brock nicht online war und ich ihm das ein anderes Mal sagen könnte. Ein anderes Mal, wenn ich stärker war als jetzt. Er würde definitiv mit mir Schluss machen. Wir waren beide noch nicht bereit für ein Baby. Ich würde es sowieso abtreiben lassen. Ein grünes Wölkchen mit einem Haken erschien neben Brocks Profilbild. Ich atmete kurz ein und versuchte, mein Herzklopfen zu beruhigen. Mit zusammengekniffenen Augen klickte ich auf den Anrufen-Button. Ich rieb meine kalten Hände aneinander, um sie zu wärmen und mein Körper zitterte leicht. Im nächsten Moment erschien sein traumhaft gutaussehendes Gesicht auf dem Bildschirm. „Hi Amber!" Der Computer verzerrte seine Stimme. Brock saß in einem halbdunklen kleinen Raum mit dunkelgrüngrauen Wänden. An den Seiten konnte man zwei Hochbetten sehen. Im Hintergrund hörte ich leises knallen, wahrscheinlich Schüsse. Bei den Geräuschen lief mir ein kalter Schauer über die Arme. Ob er wohl mit diesen Geräuschen einschlafen musste? Ich konnte zwar nur Brocks Oberkörper sehen, trotzdem bemerkte ich, dass er viel muskulöser geworden war. Es kostete mich große Überwindung, nicht über den Bildschirm zu streicheln. Er fehlte mir so unendlich. Das Beste war, es gerade heraus zu sagen. „Ich weiß nicht, ob es dir deine Eltern schon gesagt haben, aber...", meine Stimme brach. „ich bin schwanger und das Kind ist von dir!" Ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und zeigte das Ultraschallbild in die Kamera. Ich legte die Bilder wieder hin und schaute auf den Bildschirm. Brock schaute nach unten, ich hörte ihn laut ausatmen. Meine Hände zitterten und mein Herz pochte so laut, dass ich das Gefühl hatte, selbst die Leute in Afghanistan könnten es hören. Würde er gleich mit mir Schluss machen? Warum dauerte es so lange? War seine Reaktion gut oder schlecht? Es dauerte ein paar Sekunden, bis er wieder hochschaute. „Ich bin ein bisschen geschockt, ich meine, ich habe nicht damit gerechnet, jetzt in dieser Zeit... Meine Mom hat mich eben schreiend und weinend angerufen und es mir erzählt, ich habe ihr zuerst nicht so wirklich geglaubt; ich meine, sie versteht vieles falsch und... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll." Er schaute hilflos in die Kamera. „Hör zu, ich will das Kind abtreiben lassen, ich kann das noch in den nächsten zwei Wochen machen, danach geht's nicht mehr." Ich war auf einmal so unglaublich ruhig. Alles in mir hatte sich beruhigt. „Es tut mir alles sehr leid. Ich habe deine Zukunft zerstört und... Ach Brock, ich weiß insgesamt nicht was ich tun soll! Ich habe das Gefühl, die ganze Welt hasst mich! Meine Eltern sind total enttäuscht von mir. Deine Mutter hat..." Ich schluckte und eine Träne lief mir über die Wange. Ich wischte sie weg und sammelte dadurch neue Kraft. „Deine Mutter hat mich sogar als Schlampe beleidigt, und sie hat mich aus eurem Haus geworfen... Ich meine, bin ich eine Schlampe? Du bist doch der einzige... ich weiß nicht, ob es dein Vater und deine Schwester schon wissen, aber sie waren glaube ich noch nicht da, als ich es deiner Mom gesagt habe... Brock deine ganze Familie hasst mich!" Ich redete wirres Zeug. Brock hatte seine Stirn in Falten gelegt. „Bitte treibe das Kind nicht ab, du würdest nicht nur das Leben des Kindes nehmen, sondern dein Seelenleben mit und ich könnte das niemals ertragen", sagte er so leise, dass es mir fast so vorkam, als wäre das alles nur meine Einbildung gewesen. „Ja, aber was soll ich denn sonst machen? Ich kann mich doch nicht um ein Baby kümmern, ich bin erst 16!" Ich blickte auf die Ultraschallbilder, die auf meinem Schreibtisch lagen und ich spürte, wie sich weitere Tränen in meinen Augen sammelten. „Gib mir eine Nacht zum Überlegen, ich verspreche dir, dass ich dich morgen anrufe. Meine Schwester und mein Vater unterstützen mich und sie werden auch dich unterstützen. Ich habe meiner Mom schon gesagt, dass sie sich bei dir entschuldigen soll, schließlich ist es ja auch meine Schuld. Ich meine, wir hätten..." Ich hörte in seiner Stimme einen riesigen Anflug von Verzweiflung. Ich blickte hoch und schaute ihm wieder ins Gesicht. Ich würde ihn jetzt so gerne in den Arm nehmen. Er würde seine Arme um meine Taille schlingen und mir zum Trost einen Kuss geben. „Amber, es tut mir so leid", sein verpixeltes Gesicht schaute mich traurig an. „Ich liebe dich, Amber." Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenzog und hatte das Gefühl, dass dieser Schmerz auch meine Kehle zuschnürte. „Ich vertraue dir", antwortete ich. Ich vertraute ihm, dass er mir half, die richtige Entscheidung zu treffen, dass er mich unterstützte und mich nicht alleine ließ. Das bedeutete mehr für mich, als ich liebe dich. „Ich leg jetzt auf, ich muss gehen." Mit diesen Worten war der Bildschirm wieder dunkel geworden. Ich schloss meine Augen und wischte mir die restlichen Tränen aus meinem Gesicht. Brock war traurig und ich auch. Ich brauchte ihn jetzt hier bei mir. Dumpfe Stimmen drangen an meine Ohren. Sie wurden immer lauter. „Wir können ihn anzeigen, er ist 19 und sie erst 16, das ist Unzucht mit Minderjährigen." Ich sog scharf die Luft ein. „Patricia, das kannst du nicht machen, das haben die beiden zu verantworten." „Das einzige, was ich in dieser Sache machen werde, ist Amber zum Abtreibungstermin zu fahren, Michael." „Patricia, sie ist deine Tochter!" „Ja, sie ist auch deine!" Die lauten Stimmen wurden immer leiser. Mein ganzer Körper schmerzte und mich überfiel eine heftige Müdigkeit. Ich legte mich zitternd ins Bett und weinte mich in den Schlaf.
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Ein Klopfen riss mich aus meinem Schlaf. Müde rieb ich mir meine mit Schlaf verklebten Augen. Mein Vater steckte seinen Kopf durch die Tür. „Kommst du gleich runter, frühstücken?" Ich nickte und er verschwand wieder. Sofort tauchten wieder die Erinnerungen an den gestrigen Tag vor mir auf. Eigentlich wollte ich den Kontakt zu meinen Eltern meiden, aber das war wohl nicht so leicht. Ich war eine riesige Last für alle. Schnell zog ich mich an. Ich strich mit meiner Bürste über die braunen langen Haare Anschließend ging ich langsam die Treppen hinunter ins Esszimmer. Ich nahm einen intensicen Geruch war, eine Mischung aus Kaffee, warmem Käse, Fleisch, Eiern und noch irgendetwas anderem. Ich setzte mich an meinen Stammplatz. Mein Vater saß mir gegenüber. Es war unangenehm still. „So, hier ist euer Frühstück." Mom kam mit einem Tablett voller Essen herein und setzte sich neben Dad. „Guten Appetit!", sagte sie und wir fingen an, uns das Essen auf die Teller zu füllen. Nach ein paar Sekunden hatte ich zwei Brötchen, Butter, Rührei und Erdbeermarmelade auf meinem Teller. Es war unheimlich still. Man hörte nur das Kratzen der Bestecke auf den Tellern. Nach dem ersten Bissen fing mein Dad an zu reden. „Deine Mom und ich waren gestern noch lange wach, um über deine Situation zu sprechen..." Mein Magen drehte sich wieder um. Ich aß trotzdem weiter. „Wir haben beschlossen, dich zu unterstützen. Du bist unsere Tochter. Wir werden dir helfen, mit was immer du auch brauchst. Und wir werden jetzt diese gemeinsame Zeit am Frühstückstisch nutzen, um über deine Zukunft zu reden, Amber." Na toll. „Ich werde das Baby nicht abtreiben lassen, ich bin keine Mörderin." Es hatte mich viel Überwindung gekostet, diesen Entschluss zu fassen und ihn auszusprechen. Sophie und Brock hatten recht, ich würde einen kleinen Menschen töten. Tief im Inneren war mir das auch nicht egal was damit passieren sollte, trotzdem hatte Brock eine große Rolle im Entscheidungsprozess gespielt. Meine Mom schnaubte, dabei wippte ihr brauner Pferdeschwanz auf und ab. Die kleinen Falten in ihrem Gesicht zuckten. „Okay, wenn du das so möchtest." Mein Dad nickte. „Brock hat gesagt, er wollte mir heute noch sagen, was er möchte", fuhr ich fort und nahm den nächsten Bissen. „Warum muss er sich entscheiden? Er wird sie sowieso verlassen oder da drüben sterben!" Meine Augen brannten. „Mom!" Ich war entsetzt und es tat weh, so etwas aus dem Mund meiner Mom zu hören. Er liebt mich. „Patricia, er ist der Vater des Kindes und hat ein Recht darauf, mitzuentscheiden. Amber? Alles okay mit dir? Du siehst so blass aus." Wut und gleichzeitig starke Übelkeit stieg in mir auf. Ich rannte so schnell ich konnte zum Klo, hatte gerade noch Zeit, den Deckel hochzuklappen, bis ich mich erbrach. Da schwamm also mein Frühstück. Es kam mir so vor, als hätte ich mein gesamtes Innenleben ausgekotzt. Ich fühlte mich schwach und mir war schwindelig. Ich klammerte mich am Rand des Toilettenbeckens fest und zog mich daran hoch. Ich wusch meinen Mund mit kaltem Wasser und ging zum Sofa, wo ich mich hinlegte. Sicherheitshalber stellte meine Mom einen Eimer neben mir hin. Mir war immer noch schwindelig, aber ich konnte klar denken. Meine Eltern räumten den Tisch ab. Ich lag auf meinem Rücken und hörte dem ungleichmäßigen Knurren meines Bauches zu. Es war schon komisch, da drin war ein Mensch. Sozusagen. Ich schnappte mir mein Smartphone vom Sofatisch, der neben mir stand und erinnerte mich dran, dass Sophie doch bestimmt wissen wollte, wie mein Tag gestern zu Ende gegangen war. Ich drückte in der Kontaktliste auf ihren Namen und hielt mir das Handy ans Ohr. Es klingelte nur einmal und sie war schon am anderen Ende der Leitung. „Hey, wie war's? Ich will alles wissen!", sagte sie sofort. Ich erzählte ihr alles von meinen Eltern, Kathleen - wobei ich weinte - bis jetzt. „Hey, das mit Kathleen wird schon wieder, Brock wird bestimmt bald antworten und mit deiner Mom würde ich nochmal reden", sagte sie am Ende. Das tat gut. Ich war so froh, Sophie als beste Freundin zu haben. Wir kannten uns schon seit der Middleschool und waren vom ersten Tag an beste Freundinnen. Ich hörte im Hintergrund Sophies Vater rufen. „Amber, ich muss auflegen, mein Vater ist gerade nach Hause gekommen und hat das ungewaschene Geschirr entdeckt." Ich musste lachen. So war Sophie eben. „Alles klar, tschüss!" Ich legte auf. Mit einem Ton meldete mein Handy, dass ich eine neue SMS bekommen hatte. Mit klopfendem Herzen drückte ich auf die Nachricht. Bitte von Brock, Bitte von Brock, dachte ich. Meine Ohren dröhnten und ich zitterte vor Aufregung als ich sah, von wem die neue SMS war. Sie war von Brock. Gespannt und aufgeregt zugleich klickte ich auf Öffnen. Ich möchte das Kind haben. Wenn du es nicht haben willst, kannst du es zu meiner Mutter bringen. Sie übernimmt das Sorgerecht. Hab dich lieb. Brock. Ich lag völlig perplex da und langsam legte ich das Handy aufs Sofa. Er wollte das Ding behalten. Ich aber nicht. Und was hieß das jetzt für mich? Ich würde ein Baby bekommen und es Brock geben. Und was wurde dann aus uns? „Mom, Dad!" Beide steckten ihre Köpfe aus der Küchentür und schauten mich stirnrunzelnd an. „Ich habe eben eine Nachricht von Brock bekommen, er will das Baby behalten." Meine Mutter schüttelte nur den Kopf. „Ich finde das nicht in Ordnung, aber na gut. ihr werdet heiraten. Ich werde mit Kathleen darüber reden. Wenn ihr euch schon so groß fühlt und so etwas macht, könnt ihr auch gleich heiraten. Euer Kind braucht verheiratete Eltern." Die Wut, die ich in diesem Moment verspürte, tat weh. „Mom, denkst du nicht, dass es unsere Sache ist, ob wir heiraten wollen, oder nicht? Schließlich ist das unser Leben." „Amber hat Recht, Patricia. Ihr könnt den beiden nicht vorschreiben, dass sie heiraten sollen", sagte mein Vater, nachdem er die ganze Zeit still dagesessen hatte. „Ich kann ja gar nichts mehr im Leben meiner Tochter tun", schrie meine Mom. „Alles was sie tut ist falsch und jetzt denkt sie, dass Brock sie unterstützen wird, wenn er wiederkommt und dass sie eine glückliche Familie werden können..." „Mom!" unterbrach ich sie. „Er hat gesagt, dass ich Kathleen das Sorgerecht geben soll und seiner Familie gehört dann das Baby. Ich habe danach nichts mehr damit zu tun." Meine Mutter schüttelte immer noch den Kopf. Ihre Mundwinkel verzogen sich verächtlich. „Und was machen wir mit deiner Schule? Der Universität? Ich dachte, du wolltest eines Tages studieren." Dieses Baby machte mir einen fetten Strich durch die Rechnung. „Das wird dann wahrscheinlich alles nichts mehr", sagte mein Vater. Sein enttäuschter Gesichtsausdruck verstärkte sich. „Wir können ja morgen mit deiner Schuldirektorin darüber sprechen und eine Lösung finden." Ich nickte. „Gehst du bitte zu Grandma und bringst ihr das Essen!", rief meine Mutter mir noch zu, bevor sie wieder in der Küche verschwand. Noch jemand, dem ich meine Schwangerschaft gestehen musste. Toll! Mein Bauch zog sich wieder zusammen. Ich schnappte mir mein Smartphone und schrieb Sophie. Brock will das Baby behalten.

Neun Monate ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt