Kapitel 20

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Little Barn. Der Schriftzug prangte auf dem Schild, das an einem Haus zwei Gebäude neben meiner zukünftigen Schule hing. Ich war mit Ezra ein bisschen spazierengegangen und hatte keine Lust, anschließend zu kochen, weil ich es nicht konnte. Ich hatte zufällig das kleine Restaurant entdeckt und kurz darauf beschlossen, dort etwas zu essen. Das Haus sah sehr alt aus und bestand aus Feldsteinen. Orangefarbene Blumen wuchsen in Kästen vor den Fenstern. Neben der Eingangstür stand eine schwarze Tafel, auf der mit weißer Kreide die Angebote des heutigen Tages aufgeschrieben waren. Heute gab es Lasagne im Angebot. Das klang gut. Ich drückte die Glastür auf, auf der ein Schild aufgeklebt war, dass es freies W-Lan gab. Ich schob den Kinderwagen durch die Tür und trat ein. Die Tür schloss sich mit einem leisen Klicken hinter mir. Wärme empfing mich und der Geruch einer Mischung aus Kaffee und fritiertem Fleisch stieg mir in die Nase. Die Wände sahen schmutzig-weiß aus und waren mit dunklen Regalen und vergilbten Tüchern ausgeschmückt, auf denen Tassen und Kaffeemarken abgebildet waren. Über den Raum verteilt standen dunkle Holztische und Stühle. An einer Wand vor einer weißen Tür stand ein Pult, auf dem sich eine Kasse befand. Das Restaurant war leer. Nur hinter der weißen Tür, hinter der wahrscheinlich die Küche lag, war leises Geklapper von Geschirr und Zischen zu hören. Ich schob den Kinderwagen an einen freien Platz am Fenster und setzte mich an den Tisch daneben. Dann schälte ich mich aus meiner Jacke und griff nach der Speisekarte, die schon auf dem Tisch lag. Nachdem ich sie durchgeblättert hatte, entschied ich mich für eine Lasagne und ein Glas Wasser. „Darf ich Ihnen schon was bringen?" Erschrocken drehte ich mich um. Hinter mir stand eine rundliche Frau Anfang 60, mit kurzen, roten Haaren und einem langen, orangefarbenen Poncho, der bis zum Boden reichte. „Ich hätte gerne eine Lasagne und ein Glas Wasser, bitte." Die Frau nickte, lächelte und verschwand hinter der weißen Tür. Ich nahm mein Handy aus der Jackentasche und stellte das freie W-Lan an. Mrs. Walters hatte gesagt, ich sollte mir eine Community aus jungen Müttern im Internet suchen, weil mir die Gemeinschaft vielleicht helfen konnte. Ich fand die Idee nicht schlecht und jetzt hatte ich die Zeit, um danach zu suchen. Ich gab so viele Suchbegriffe bei Google ein, wie sie mir spontan einfielen, Teenie Mütter Community, Teen Mutter, junge Mütter Austausch, aber ich fand nichts, außer Statistiken über Teenager- Mütter. „Bitte sehr." Die Poncho-Frau stellte eine Keramikform mit Lasagne auf meinen Tisch und ein Glas Wasser daneben. „Danke." Ich griff nach der Gabel und wollte in die Lasagne stechen, als ich bemerkte, dass die Frau immer noch dastand und mich schräg ansah. Ehe ich mich versah, setzte sich die Frau auf den Stuhl neben mir. „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Wohnst du hier?" Ich wollte nur in Ruhe meine Lasagne essen und nickte. „Ich bin vor einem Monat hierher gezogen." Nun fing ich an, die erste Portion aufzugabeln. Um die dampfende Lasagne abkühlen zu lassen, blies ich auf die Gabel. „Ich habe auch deine Eltern gar nicht gesehen. Komisch, wir sind eine Kleinstadt, normalerweise kennt jeder jeden und es spricht sich schnell herum, wenn wir neue Stadtbewohner bekommen." Ich steckte mir die Gabel in den Mund und ließ die warme Lasagne auf meiner Zunge zergehen. Sie schmeckte. „Ich bin alleine hier hergezogen. Mein Dad ist der Verlobte von Coleen", sagte ich, als mein Mund wieder leer war. Die Frau klatschte in ihre Hände. „Ach soo, du bist Amber." Sie kannte meinen Namen. Das bedeutete, auch ganz Redford Woods kannte meinen Namen. Wussten die Leute noch mehr von mir? „Das kleine Baby da, ist das dein Geschwisterchen?" Die Frau nickte in Richtung des Kinderwagens, in dem Ezra schlief. Mein Hunger war auf einen Schlag verschwunden. Wieso war sie so neugierig? Ich konnte einfach nicken und sie würde vielleicht gehen, doch ich schüttelte den Kopf. „Das ist mein Sohn", krächzte ich. Die Frau reagierte ganz anders, als ich erwartet hatte. „Ooh wie süß. Wie alt ist er denn?" Völlig verdutzt schaute ich sie an. „Einen Monat und zwei Wochen." Ich nahm den nächsten Bissen von der Lasagne. „Na, dann lass ich dich mal in Ruhe weiteressen", sagte sie und stemmte sich vom Stuhl hoch. „Sie können ruhig sitzen bleiben, Mrs", sagte ich schnell, ohne weiter darüber nachzudenken. Sie war nett und ich konnte ein bisschen Gesellschaft gebrauchen. Die Frau lächelte und setzte sich wieder. „Nenn mich Debby, Schätzchen. Wie schmeckt die Lasagne?" Ich nickte, weil ich mit vollem Mund nicht antworten konnte und hielt beide Daumen hoch. Das war die beste Lasagne, die ich je gegessen hatte. Mrs Debby und ich unterhielten uns noch lange und sie bot mir sogar Hilfe an, falls ich Probleme mit Ezra hätte. Sie war selbst schon vier Mal verheiratet und hatte einen 30-jährigen Sohn, der in London wohnte. Sie war echt nett und ich wollte auf jeden Fall wiederkommen.
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„Tschüss Mrs Debby, bis bald." „Ich bin nur Debby!", rief sie mir hinterher und ich musste grinsen. Ich konnte nicht aufhören, sie Mrs Debby zu nennen, statt einfach nur Debby. Die Zeit mit Mrs Debby hatte mir wirklich gut getan und ich fühlte mich wieder wohl. Ich hatte das Gefühl, alles schaffen zu können und ohne weiter darüber nachzudenken, griff ich nach meinem Handy und erst als ich auf die Nummer meiner Mom drückte, realisierte ich, was ich gerade tat. Ich wusste, dass ich mit ihr reden musste, ihr sagen musste, dass ich Angst hatte wegen ihr. Dass ich wegen ihr innerlich fertig war. Aber doch nicht jetzt! Mein Herz hämmerte. Am liebsten hätte ich mein Handy wieder eingesteckt, doch das ging nicht, es war wie an meinem Ohr festgewachsen. Das Freizeichen schien meinen ganzen Körper zu durchdringen. Es knackte. „Hallo?" Ich zuckte zusammen. Moms Stimme versetzte mir einen Stich. Plötzlich konnte ich nicht mehr weitergehen, ich musste auf der Straße stehenbleiben und zitterte am ganzen Körper. Meine Beine weigerten sich, unter diesem körperlichen Stress weiterzuarbeiten. „Mom, hier ist Amber, ich muss mit dir über was wichtiges reden." Meine Stimme bebte und das Pochen meines Herzens schien mir die Kehle zuzuschnüren. „Und das wäre?" Sie klang genervt. Störte ich sie gerade? Ich schluckte und suchte mit meinen Augen etwas auf der Straße, das mich von diesem Moment retten konnte. Wenn ich ihr das jetzt sagte, würde sie mich anschreien und noch mehr hassen. Vor lauter Anspannung drückte ich die Fingernägel in die Handyhülle und versuchte den Schmerz, der durch meine Finger schoss zu ignorieren. „Ich... ich wollte dir sagen, dass... dass ich von der Schule angenommen wurde und bald wieder zur Schule gehen werde." „Schön." Sie klang verbittert. „Oh, Ezra ist gerade aufgewacht, ich muss auflegen, tschüss." Schnell drückte ich auf Aus. Das konnte ich nicht. Ich konnte nicht mit meiner Mom reden. Dafür war ich noch nicht bereit. Ezra schlief noch. Nachdenklich steckte ich mein Handy ein. Zwar konnte ich nicht mit meiner Mom reden, aber ich konnte eine eigene Website erstellen und eine Community für Teenager-Mütter schaffen. Als ich wieder zu Hause war, erstellte ich eine Website. Ich schrieb einen Blogeintrag, in dem ich ein bisschen von mir erzählte, und wie mein Leben bis jetzt verlaufen war. Am Ende erstellte ich eine neue E-Mail-Adresse, über die mich die Mädchen kontaktieren konnten, wenn sie ihre Geschichten teilen wollten.

Neun Monate ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt