„Bist du bereit?" Ich schüttelte den Kopf und rieb aufgeregt die feuchten Hände an meiner Hose ab. Ich stand auf der halbwegs ordentlichen Koppel, die ich vorhin saubergemacht hatte und Coleen führte gerade Flash heran. Sie hielt ihn an den Zügeln und ließ ihn direkt vor mir stehenbleiben. „Das schaffst du schon", sagte sie und hielt mir ihre Hand hin. Ich war noch nie in meinem Leben auf ein Pferd gestiegen, geschweige denn geritten. Ich griff nach Coleens Hand und stieg mit einem Fuß in den Steigbügel. Mit einem Schwung saß ich auf. „Okay, jetzt greifst du dir die Zügel und ich führe ein paar Runden", sagte Coleen und führte Flash ganz nah am Zaun entlang. Aufgeregt krallte ich mich an den Zügeln und an der Mähne des Pferdes fest. „Das machst du schon richtig gut. Versuch mal, zu lenken", sagte Coleen und zeigte mir, wie ich die Zügel ziehen musste. Es dauerte nicht lange, da ließ sie die Zügel los und lief nur noch neben Flash her. „Das ging ja ziemlich schnell", sagte sie. Ich klopfte Flashs rotbraunen Hals und war stolz auf mich. „Du siehst aus wie ein Profi", rief Maria hinter dem Zaun und rollte den Kinderwagen mit Ezra hin und her. Ich spürte, wie es in meiner Hosentasche vibrierte. „Jemand ruft mich gerade an", sagte ich und Coleen half mir vom Pferd herunter. Als ich wieder den Boden unter mir spürte, hatte das Handy schon aufgehört zu vibrieren. Ich blickte auf das Display. Wesley hatte angerufen. Ich entsperrte den Bildschirm und rief ihn zurück. Bereits nach dem zweiten Freizeichen nahm er den Anruf an. „Hallo?" „Hey Wesley, ich bins, Amber." Mit einem Handzeichen bedeutete mir Coleen, dass sie Flash wieder zurück in den Stall brachte, da mein Dad bald nach Hause kam. Ich nickte. „Hey, wie geht's?" „Ganz okay, und dir?" „Ich weiß es noch nicht so wirklich." Sorge kam in mir auf. Was war passiert? „Wieso denn?" Ich runzelte die Stirn. „Ich wurde an der Universität von Kansas angenommen." „Was? Wirklich? Das ist doch toll. Ich freue mich für dich!" Coleen öffnete das Tor und führte Flash von der Koppel. Ich folgte ihnen, bleib aber bei Maria stehen. „Mhpf", kam es von der anderen Leitung. „Aber was ist denn los? Wieso freust du dich denn gar nicht?" „Doch, ich freue mich, aber ich weiß nicht so recht. Ich kann noch nicht... loslassen." Mir war klar, was er meinte. Er konnte sein bisheriges Leben nicht hinter sich lassen. Die Erinnerungen an seine Familie und Sophie in Miami. „Wenn du jetzt nicht loslässt, wirst du es niemals weiterbringen in deinem Leben. Es muss weitergehen", sagte ich und wunderte mich selbst über diese starken Worte, die aus meinem Mund kamen. „Aber es ist so schwer." Wesleys Stimme klang zittrig. Weinte er etwa? „Ich weiß, aber du musst es tun. Ich meine, du kannst aufs College gehen und ich sitze hier mit einem Baby und träume nur davon. Dieser Wunsch wird für mich niemals in Erfüllung gehen, aber du, du wurdest angenommen. Sag zu!" „Amber, du wirst es auch schaffen. Du musst dir nur Mühe geben und an dich glauben." „Du auch Wesley, ich werde mir Mühe geben, wenn du zusagst." „Okay, ich werde zusagen." Meine Mundwinkel zogen sich nach oben. „Das ist eine gute Entscheidung", sagte ich. „Danke. Sag mal, hast du mal wieder mit Brock geredet?" Die Sehnsucht nach ihm machte sich wieder bemerkbar. Ich wollte nicht an Brock denken, geschweige denn von ihm reden, wieso begriff das niemand? „Nein, ich habe auch nicht die Absicht, das in näherer Zukunft zu tun. Und jetzt los, sag zu, du darfst keine Zeit verlieren. Schreib mir, wenn alles geregelt ist, okay?" „Ja. Bis später." „Tschüss." Ich legte auf und steckte mir das Handy zurück in die Hosentasche. „War das dein Freund?", fragte Maria. Ich schüttelte den Kopf. Wieso dachten das alle? „Das war ein guter Freund von mir. Er ist an einer Universität angenommen worden." Es war still. Maria schob den Kinderwagen und wir gingen beide in Richtung Haus. „Du kannst dich glücklich schätzen, dass dein Freund nicht abgehauen ist. Der Freund meiner Cousine ist abgehauen, als sie mit 18 schwanger wurde", sagte sie ernst. „Es fühlt sich aber so an. Er hatte alles verpasst. Alles, was in den letzten sieben Monaten passiert war, hatte er nicht mitbekommen. Ich war sozusagen alleine." „Aber er kommt doch wieder." Ich zuckte mit den Schultern. „Und was, wenn nicht?"
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Ein Klingeln ertönte von unten. Schnell schloss ich die letzten Knöpfe von Ezras Strampler. Dann nahm ich ihn in den Arm und ging so schnell, wie es eben mit einem Baby auf dem Arm ging, die Treppen herunter. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Vor mir stand mein Dad im Anzug, neben ihm Coleen. „Dad", sagte ich, froh, ihn endlich mal wiederzusehen. Er nahm mich kurz in den Arm. „Schön, dich zu sehen", sagte er und sah den kleinen Ezra an. „Kann ich ihn mal kurz nehmen?", fragte er. „Klar", antwortete ich und legte Ezra vorsichtig in Dads Arme. Er betrachtete Ezra, der ihn aus seinen süßen Augen, an seinem Schnuller nuckelnd, ansah. „Er hat so viel von Brock und gleichzeitig so viel von dir." „Ich möchte hier nicht die familiäre Atmosphäre zerstören, aber das Essen wird kalt, wenn ihr nicht gleich kommt", sagte Coleen. Ich zog mir schnell meine Schuhe an und beobachtete aus den Augenwinkeln, wie vorsichtig Dad mit Ezra umging. Ich legte Ezra in seinen Buggy und wir gingen gemeinsam zu Coleens Haus hinüber. Wir saßen zu dritt am Esstisch und aßen ein Originalrezept von Coleens Mutter, mit Käse überbackenen Nudelauflauf. Ich musste meinem Dad alles von der Geburt erzählen und er war sehr besorgt, als ich ihm von dem Wodka und den Schlaftabletten erzählte. „Es hätte alles Mögliche passieren können", sagte er. Aber so, wie er das sagte, klang es ganz anders, als bei Kathleen oder Mom. Dann erzählte Coleen, wie ich mich so in den letzten zwei Tagen gemacht hatte. Wie ich fleißig den Hof gesäubert hatte und wie ich für das erste Mal schon ziemlich gut reiten konnte. Danach war es eine Weile still. „Coleen hat mich gestern angerufen und mir erzählt, dass du wieder zur Schule gehen möchtest", sagte Dad. Ich sah von meinem Teller hoch. „Ich habe dann mit deiner Mom darüber gesprochen." Na toll. Sie hatte bestimmt nein gesagt und Dad mit irgendwelchen Geschichten davon überzeugt, auch nein zu sagen. „Ich finde diese Idee eigentlich gar nicht schlecht. Ich meine, es ist wichtig, dass du Kontakte knüpfst und mit anderen zusammen lernst. Deine Mom war nicht damit einverstanden." Das überraschte mich jetzt gar nicht. „Sie meinte, du hättest dir das mit dem Baby und all deinen Entscheidungen selbst eingebrockt und du solltest schön aus deinen Fehlern lernen. Dein Leben sollte sich nur noch um Online-Schule und Ezra drehen. Ich weiß aber, dass du aus deinen Fehlern gelernt hast und deswegen konnte ich deine Mutter überzeugen, zuzustimmen. Aber dafür musst du auch etwas tun. Wir wollen, dass du mit jemandem über deine Probleme sprichst und regelmäßig zu einem Psychologen gehst. Wir denken, dass die letzten Monate zu viel für dich waren und du dir alles von der Seele reden solltest. Außerdem musst du die Frau, die auf Ezra aufpasst, mit deinem eigenen Geld bezahlen. Denn es ist deine Aufgabe, für dein Kind zu sorgen." War das gerade sein Ernst? Er hatte ja gesagt und Mom auch? Begeistert klatschte ich in die Hände. „Danke, Danke, Danke!" Ich sprang auf und fiel meinem Dad um den Hals. „Hey, das war noch nicht alles", sagte er. Oh, oh, was kam jetzt? Ich setzte mich wieder auf meinen Platz. „Wir möchten, dass du mit Brock redest. Seine Mom war ja schon sauer auf uns, aber sie ist es noch mehr, seit sie weiß, dass er Kontakt zu dir haben will, aber du nicht mit ihm redest, wenn er versucht, dich anzurufen. Und wir alle haben es satt, die Vermittler zu spielen." Die Luft, die ich angehalten hatte, atmete ich heftig aus. Alles in mir verkrampfte sich. Ich wollte Brocks Stimme nicht hören. Das würde alles nur noch schlimmer machen. „Und da wir alle wissen, dass du so schnell wie möglich wieder in die Schule gehen möchtest, haben wir dir auch schon Termine für die nächsten vier Wochen bei einer Therapeutin vereinbart. Jeweils am Montag und am Donnerstag. Ich lächelte. Also durfte ich wieder ein halbwegs normales Teenagerleben führen. Aber dafür musste ich mit Brock reden.
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„Amber Shivers!" Es war Montag Vormittag und ich saß in einem kleinen, weißen Flur mit drei Stühlen. Vor mir befand sich eine Tür, in der eine Frau, ungefähr Mitte fünfzig, mit kurzgelockten, goldbraunen Haaren. Sie hatte hellblaue Augen und rosafarbene, mit Lipgloss angemalte Lippen. Ich stand auf. „Hallo, ich bin Mrs Walters." Sie reichte mir die Hand und bedeutete mir, in den Raum einzutreten. Der Raum war weiß und mit vielen Bildern behängt. Es waren seltsame Bilder, alles voller Farben. Moderne Kunst eben. Es gab ein großes Fenster, vor dem sich ein braunes Ledersofa befand. Neben dem Sofa stand ein Stuhl. „Setz dich doch", sagte Mrs Walters und deutete auf das Sofa. „So, erzähl mir mal ein bisschen von dir", sagte sie, als ich mich hingesetzt hatte und nahm ein Klemmbrett mit Zetteln und einem Kugelschreiber vom Schreibtisch, der neben dem Stuhl stand. „Ich heiße Amber, bin 17 Jahre alt, komme aus den USA und spiele gerne Basketball. Meine beste Freundin hieß Sophie. Außerdem habe ich einen festen Freund, sein Name ist Brock. Brock ist vor sieben Monaten nach Afghanistan gegangen, er ist bei der Army Kurz bevor er in den Einsatz geschickt wurde, habe ich erfahren das ich schwanger war. Inzwischen habe ich einen Sohn zur Welt gebracht, mit dem bin ich letzte Woche hierher gezogen." Mrs. Walters hatte alles aufgeschrieben und schaute mich erstaunt und etwas verwirrt an. „Was meinst du damit, deine beste Freundin hieß Sophie?" Ich starrte auf meine Hände und versuchte, das Brennen in meinen Augen wegzublinzeln. Der Schmerz in mir ließ sich nicht unterdrücken, aber ich wollte jetzt nicht zusammenbrechen. Am liebsten würde ich nicht weiter ins Detail gehen. Es war, als würde man fast verheilte Verletzungen wieder aufmachen, nur dass diese Verletzung nie verheilt war. „Sie ist gestorben. Wir hatten zusammen einen Autounfall. Sie war im Koma und war anschließend hirntot. Sie ist nicht mehr aufgewacht." Eine Weile war es still. Vor meinem inneren Auge erschien das Bild von Sophie, wie sie in ihrem Krankenbett lag und ich versuchte schnell, den Eindruck wegzublinzeln. Nur das leise Kratzen des Kugelschreibers auf dem Papier drang an meine Ohren. „Und dein Freund? Weiß er von dem Baby? Seid ihr noch zusammen?" Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe seit vier Monaten nicht mehr mit ihm gesprochen." Ehe ich begriff warum und wieso, fiel es mir plötzlich leichter, darüber zu reden. Ich schüttete alles, was mir Sorgen und Probleme bereitete vor ihr aus. Sie saß nur da, machte sich Notizen, nickte und stellte ab und zu ein paar Fragen. Ich wusste nicht, wie lange ich geredet hatte, aber irgendwann war ich fertig und saß da, knetete meine Hände und versuchte, nicht in Tränen auszubrechen. „Amber, ich möchte das wöchentlich dreimal kommst. Du hast viel durchgemacht und es fällt jedem Menschen schwer so viel auf einmal zu verarbeiten. Außerdem möchte ich, dass du jedes Mal, wenn dir negative Gefühle oder Gedanken kommen, die in ein Notizbuch schreibst und ich möchte, dass du bis Donnerstag wenigsten einmal mit Brock redest, okay?" Wieder fühlte ich nichts. „Ich will nicht mit Brock reden." Meine Stimme klang abgehackt. Mrs Walters legte den Stift zur Seite und schaute mich mitleidig an. „Brock ist vielleicht einer der Gründe, warum du dich so fühlst. Du musst ihm erzählen, wie du dich fühlst." Fühlen. Ich fühlte doch gar nichts außer Schmerzen, und die konnte ich nicht einmal beschreiben. Aber sie hatte Recht. Nur - was war, wenn das Gespräch das letzte zwischen uns wäre? Wenn danach alles vorbei war?
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Neun Monate ohne dich
Teen FictionEr kämpft für sie- Sie kämpft mit sich Amber Shivers lebt das normale Leben einer 16 Jährigen. Bis der Junge, den sie liebt, als Soldat nach Afghanistan in den Krieg zieht und ihr ein riesiges Abschiedsgeschenk hinterlässt. Ein Baby. Brock kann nich...