Kapitel 27

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Ich hörte Kates schrillen Schrei. Der Mann zielte mit seiner Waffe auf Joe und Kate. Ich wollte etwas sagen: Nicht schießen, es gibt eine andere Lösung, aber es kam kein Wort aus mir heraus. Kate hatte sich hinter Joe versteckt und hielt eine blaue Geldkassette umklammert. „Was macht ihr hier?", rief der Mann mit aufgeregter Stimme. „Lasst alles fallen oder ich schieße." Ich hörte ein Klacken, das Entsichern einer Waffe, im nächsten Moment einen lauten Knall und einen Schrei. Ich krallte mich an Nates Arm fest. Er drehte sich zu mir um und sein Gesicht nahm langsam Joes Züge an. „Nichts sagen, niemand darf das erfahren!" Wie ein Echo erklang seine Stimme immer wieder. Irgend jemand schrie immer noch. Das Schreien erklang lauter und lauter.

Erschrocken setzte ich mich auf. Ezra weinte. Ich war völlig nassgeschwitzt. Es war ein Albtraum. Nur war dieser Albtraum tatsächlich passiert. Das war Beihilfe zum Mord, ich hatte mich mitschuldig gemacht. Fahrig strich ich mir mit der Hand übers Gesicht und ließ mich auf den Rücken fallen. Mir war immer noch übel, aber ich konnte wenigstens wieder klar denken. Ich hatte eine Straftat begangen. Ezras Kreischen riss mich aus meinen Gedanken. „Ich komm ja schon", stöhnte ich und hob Ezra aus seinem Bett. Schnell griff ich nach meinem Handy und ging mit Ezra auf dem Arm in die Küche herunter. Dort machte ich Milch warm und gab sie ihm. Noch während ich Ezra fütterte, wählte ich Brocks Nummer auf meinem Handy. Ich musste dringend mit jemandem über das Geschehene reden. In der Leitung erklang ein Piepton. „Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht erreichbar. Bitte hinterlassen sie eine Nachricht nach dem Signalton." Ich seufzte. „Hey Brock, ich bins. Ich hab' was ganz Dummes gemacht und muss dringend mit dir reden." Danach legte ich auf. War ja klar. Wenn ich Brock am dringendsten brauchte, war er nicht da. In meinem ganzen Leben war nie jemand da. Immer war ich auf mich allein gestellt. So schrecklich fühlte ich mich, dass ich meinte, ich würde gleich zusammenbrechen. Das Handy vibrierte, als ich Ezras Windel wechselte. Ich schaute auf das Display. Vergiss nicht, dass der Unterricht in 15 Minuten beginnt. „Scheiße!"

„Wenn du immer so zu spät kommst, verpasst du noch den Winterball", sagte Portia und lehnte sich an ein Schließfach, wärend ich mein Mathebuch in meinem suchte. Ich runzelte die Stirn. „Winterball?" Portia schüttelte den Kopf. „Das ist nicht dein Ernst oder? Der Winterball ist Thema Nummer eins hier, danach kommt das Basketballturnier." Basketball? „Der Ball findet am letzten Tag vor den Winterferien statt und ist eigentlich ein typischer Schulball, nur mit dem Thema Winter." Ich zuckte mit den Schultern. „Davon habe ich noch nie gehört." Portia zog einen zusammengefalteten Zettel aus ihrer Jackentasche und reichte ihn mir. Der Zettel war blau, mit aufgeklebten silbernen Sternen und in silberner Schrift stand Winterball darauf. In zwei Wochen, Beginn um 16 Uhr. „Das wurde letztens in den Gängen verteilt, wahrscheinlich hast du es nicht mitbekommen. Auf jeden Fall brauchst du ein Ballkleid und ein Date. Hey, wie wär's, wenn wir zusammen die Kleider kaufen gehen, ich hab' auch noch keins." Ich lächelte und nickte. Das würde bestimmt Spaß machen, mit Portia shoppen zu gehen. „Klar, gerne. Sag mal, gibt es hier ein Basketballteam?" Das musste ich einfach fragen. Wenn ja, wieso war ich nicht dabei? „Ja, aber nur für Jungen.", erwiderte Portia. Schade. „Wieso? Mädchen können doch auch Basketball spielen. Ich war in Amerika in einem Basketballteam und wir haben sogar zweimal die Schulmeisterschaften gewonnen", sagte ich und schloss meine Schließfachtür. Portia zuckte mit den Schultern. „Die Lehrer sehen das leider anders. Sie denken, dass es Geldverschwendung wäre, weil die Mädchen ja doch nicht richtig mitmachen würden. Deshalb gibt es nur ein Basketballteam für Jungen. Das wird allerdings richtig unterstützt." Das war ja mal sexistisch. „Stimmt es denn, was die Lehrer behaupten?", fragte ich und ging neben Portia in Richtung Klassenzimmer. „Nein, ich kenne viele Mädchen aus unserer Schule, die gerne in einem Basketballteam mitspielen würden", antwortete sie. In meinem Kopf begann eine Idee Gestalt anzunehmen. Gleichzeitig stiegen Zweifel in mir auf. „Wieso ändern wir das nicht und sorgen dafür, dass es ein Mädchen-Basketballteam gibt?"

Ich wiegte Ezra in meinen Armen hin und her und summte dabei ein Lied von MKTO vor mich hin. In der Schule konnte ich mich vor den Bildern und Gedanken des gestrigen Tages ablenken aber jetzt, als ich allein zu Hause saß und Ezra in den Schlaf wog, überkamen mich wieder alle Emotionen unserer abendlichen Aktion. Hätte ich das verhindern können? Ja, auf jeden Fall! Was würde passieren wenn herauskam, was wir getan hatten? Ich hatte das Gefühl, platzen zu müssen, wenn ich nicht bald jemand zum Reden fand und so griff ich nach meinem Handy. Vielleicht war Brock ja jetzt erreichbar. Als wieder nur seine Mailbox zu hören war, spürte ich ein leichtes Stechen in meinem Herz. Wieso ging Brock nicht ran? Machte er das mit Absicht, um mich zappeln zu lassen, oder war etwas passiert? Normalerweise war das nichts Dramatisches, wenn Brock nicht zurückrief, aber dieses Mal hatte ich ein komisches Gefühl. Es war nichts wirklich Greifbares, eher so etwas wie eine dumpfe Vorahnung. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass etwas passiert war. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe, ich musste mit jemand telefonieren, der mehr Kontakt zu Brock hatte. Seine Eltern. Sofort schüttelte ich den Kopf, um diesen Gedanken schnell wieder aus meinem Kopf zu verdrängen. Nie wieder würde ich ein Wort mit seiner Mutter wechseln. Aber da war noch seine Schwester, Janice. Ich schrieb ihr eine Nachricht.

Neun Monate ohne dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt