Kapitel 10: Pro und Contra
Bis vor einer Stunde hatte Harry nicht darüber nachgedacht, überhaupt Zukunftspläne zu haben. Doch nun hatte die Erkenntnis, dass Hogwarts wieder eröffnen würde und Kingleys Angebot Auror zu werden ihn völlig aus der Bahn geworfen. Er musste sich entscheiden zwischen dem einzigen Beruf den er sich jemals für seine Zukunft hatte vorstellen können und dem einzigen Ort der je sein zu Hause gewesen war.
Er sah zu Ron herüber, der noch immer vorsichtig Hermines Arm tätschelte. Sie zuckte ein wenig zusammen und ihre Gesichtszüge wurden hart und nachdenklich. Ron hatte schon seit einer Weile von der Möglichkeit gewusst, Auror zu werden. Harry fragte sich, ob er wohl bereits zu einer Entscheidung gekommen war. Dabei war Harry sich recht sicher, dass Rons Dilemma mehr mit der schlauen, braunhaarigen Hexe neben ihm zu tun hatte, als mit dem Verlauf seiner Karriere. Ron würde sicherlich nie freiwillig ein weiteres Jahr zu Schule gehen wollen. Vor allem wenn er damit seine Chance riskierte Auror zu werden. War es nicht von Anfang an Rons Traum gewesen diesen Beruf zu ergreifen? Er war es doch gewesen der Harry vor Jahren davon erzählt und davon geschwärmt hatte. Würde sich Ron da diese Gelegenheit entgehen lassen? Zumal er genau wusste, dass unter anderen Umständen seine Noten niemals ausgereicht hätten, um auch nur für die Auroren-Akademie in Betracht gezogen zu werden. Verdammt nochmal, auch Harry würde die erforderlichen fünf ‚Erwartungen Übertroffen' kaum erreichen können. Vor allem nicht in Kräuterkunde oder Zaubertränke, zumindest nicht ohne die Hilfe des Halbblutprinzen. Harry seufzte schwer und Ron echote ihn von der anderen Seite des Tisches. Die Entscheidung hing für Ron eindeutig voll und ganz an Hermine. War er bereit Hermine allein nach Hogwarts zurück gehen zu lassen? Es war bestimmt nicht einfach eine Beziehung zu führen, während sie beide ihre Ausbildung an verschiedenen Orten absolvierten. Harry sah auf Rons unsichere Hände. Führten die beiden eigentlich eine Beziehung? Harry musste sich eingestehen, dass er natürlich keine Ahnung davon hatte was zwischen den beiden in den letzten Monaten, nach dem Krieg vorgefallen war. Gut, sie hatten sich geküsst und das vor Harrys Augen. Aber das war zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, mitten während der Schlacht geschehen. Danach war Harry weg gewesen und hatte sich nicht für das Liebesleben seiner besten Freunde interessiert. Harry hatte ihre Beziehung schon seit Jahren für selbstverständlich erachtet. Jeder Blinde sah, dass sie Gefühle für einander hatten. Aber scheinbar waren Ron und Hermine tatsächlich die Letzten die es begriffen. Ob ihnen die Distanz da hilfreich wäre?
Harry blickte von Ron fort und traf erneut Ginnys Blick.
‚Was willst du tun? ', hatte sie ihn gefragt und sie sah ihn an, als würde sie noch immer auf eine Antwort warten.
„Ich weiß es nicht!", flüsterte Harry wahrheitsgemäß. Ginnys Schultern sackten herab. Plötzlich fragte Harry sich, ob denn seine Beziehung mit Ginny es überstehen würde, wenn er nicht in Hogwarts mit ihr zusammen sein konnte. Sie hatten sich grade erst wiedergefunden, sollte es da nicht seine oberste Priorität sein, so nah bei ihr zu sein wie möglich? Wirkte sie deswegen so geknickt? Es war zum verzweifeln. Harry versuchte eine Antwort für Ginny zu finden, die sie weniger verletzen würde. Doch als er den Mund öffnete, stammelte er bloß vor sich hin. Zu seiner Erlösung kam in diesem Moment Arthur Weasley an den Tisch des Geburtstagskindes.
„Ginny Liebes!", trällerte er vergnügt. „Deine Mutter schickt mich, dir zu sagen, dass sie findet dass es angebracht wäre, wenn du herumgehen und deine Gäste begrüßen würdest." Arthur verdrehte kaum merkbar die Augen und sah sich nach seiner Frau um. "Zumindest ein wenig, damit alle zufrieden sind. Du weißt ja wie deine Tanten sind." Der stattliche Mann hielt sich an der Lehne von Ginnys Stuhl fest und grinste in die Gesichter der Kinder. Harry zwinkerte er zu und beugte sich dann über die Schulter seiner Tochter. „Du solltest es tun, solange sie noch nicht vollkommen von der Rolle sind." Arthur zuckte mit dem Kopf in Richtung eines Tisches mit älteren, graublonden Frauen, die laut gackernd ihre Sektgläser umher schweben ließen.
„Oh Dad!", protestierte Ginny leise aber mit eindringlichem Ton. "Muss das sein? Die meisten Leute kenne ich noch nicht einmal! Ihr habt das halbe Ministerium eingeladen!", beschwerte sie sich. „Soll Mum sich doch um diese Leute kümmern!"
Ron gluckste leise und beugte sich zu ihr.
„Aber ich bin mir sicher, Gin, sie haben alle einen fetten Sack Galeonen als Geschenk für dich mit dabei!"
„Dann geh du doch und sprech mit ihnen Ron!", blaffte Ginny ihm entgegen. „Ich habe kein Interesse daran, mich bei fremden Menschen zum Deppen zu machen. Für dich ist das ja, wie wir wissen, kein Problem!"
Rons Ohren wurden rot und er gab Ginny eine flapsige Antwort. Bevor sein Vater ihn ermahnen konnte, rammte Hermine ihren Ellbogen in seine Rippen. Ron keuchte auf und überdeckte damit das Räuspern seines Bruders, der wichtigtuerisch aufstand. Percy strich das Revers seines Umhangs glatt und justierte seine Ärmel, nur um sich stolz vor seinem Vater aufzurichten.
„Wenn du möchtest, Vater, dann werde ich meine kleine Schwester ein wenig herumführen. Mum ist mit der Einladung der wichtigen Leute meiner Empfehlung nachgekommen und es wäre mir eine Freude, Ginevra, die Gelegenheit zu nutzen, dich ihnen vorzustellen und selbst du wenig zu plaudern. Wie schon gesagt: Kontakte sind das Kapital eines jeden Staatsmanns!" Er bot Ginny seinen Arm an, doch sie starrte ihn nur widerwillig an.
„Du meinst wohl eher, dass du in ein paar Hintern kriechen willst!", murmelte sie, was Percy geflissentlich überhörte. Ron lachte unverhohlen und fügte unter Percys wütendem Blick noch hinzu: „Oh ja! Percy wird es lieben, die Tanten zu begrüßen. Die stehen doch total auf ihn! Weißt du noch, dass eine Jahr, da hat Tante Lori ihm Löckchen gezaubert und ihn in ein Matrosenkostüm gesteckt." Ron grinste verträumt. „Ach ja. Mein schönstes Ostern! Schade nur, dass das Foto verbrannt ist, als Fred und George ihre ersten Feuerwerkskörper ausprobiert haben." Percy schnappte nach Luft und versuchte die Fassung wieder zu erlangen, aber nicht einmal sein Vater konnte sich das breite, schadenfrohe Grinsen verkneifen.
„Nun Ginny? Was ist? Können wir?" Er warf sich in die Brust und versuchte eine neutrale Miene aufzusetzen. Er zog Ginny teils galant, teils ungeduldig den Stuhl zurück und bot ihr erneut seinen Arm an.
„Na gut, wenn's sein muss!", stöhnte Ginny und stand auf, ohne Percy eines Blickes zu würdigen. Zu Harry gewandt fügte sie hinzu: „Wir reden später weiter, über die Sache!"
Harry schluckte und nickte, während Ginny mit Percy von dannen zog.
„Was für eine Sache?", hakte Arthur nach. Es war deutlich, dass er keine große Lust zu haben schien, zu seiner Frau zurückzukehren. Er hatte allem Anschein nach schon einen kleinen Schwips und war grade auf der Jagd nach seinem nächsten Glas Butterbier. Er zog ein dahin schwebendes Tablett zu sich und bot Harry ebenfalls ein Getränk an. Doch dieser hatte seine Lektion für den Moment gelernt.
„Harry und Ron wurde angeboten Auror zu werden!", platzte Hermine heraus und Arthur verschluckte sich beinahe an dem Schluck Bier, den er grade genommen hatte. Arthur wischte sich schnell mit dem Ärmel über den Mund.
„Was?", war seine erstaunte Frage. Hermine überkreuzte die Arme vor der Brust und lehnte sich zufrieden zurück.
„Der Minister hat Harry grade angeboten ohne Schulabschluss, die Ausbildung zum Auroren zu beginnen! Und Ron weiß dies wohl schon ein wenig länger. Und diese beiden Strohköpfe scheinen es tatsächlich in Betracht zu ziehen!" Sie sah Arthur auffordernd an. Seine Lippen formten ein stummes ‚Oh', worauf Hermine sich scheinbar bestärkt fühlte.
„Die Ausbildung zum Auroren ist eine fordernde und anspruchsvolle Aufgabe. Nicht ohne Grund erwartet das Ministerium von Anwärtern normalerweise Topnoten in den UTZs und mindestens ‚Erwartungen übertroffen' in allen relevanten Fächern. Wie kann das Ministerium auch nur daran denken, unausgebildeten Kindern so etwas anzubieten?" Hermine schnaufte empört. Mr. Weasley blickte sie verblüfft an. Langsam sah er erst Harry und dann seinen Sohn an. Sein Gesichtsausdruck wechselte zwischen erstaunt, erfreut und ernst hin und her, bis er sich schließlich auf Ginnys nun leeren Stuhl fallen ließ.
„Nun? Was halten sie davon Mr. Weasley?", fragte Hermine ungeduldig nach. Ihre anfängliche Niedergeschlagenheit hatte sich in rauchenden Zorn und den unbedingten Willen verwandelt, Ron und Harry eines Besseren zu belehren. Sie war also wieder typisch Hermine.
Mr. Weasley räusperte sich und nahm dann doch noch einen tiefen Zug aus seinem Butterbierglas.
„Ron, du weißt dass Kingsley momentan nicht grade wählerisch ist dabei, wen er um Hilfe in Ministeriumsangelegenheiten bittet. Bei Merlin, er will sogar mich zum Chef einer ganzen Abteilung machen!" Arthur schüttelte belustigt den Kopf und gönnte sich noch einen Schluck. „Da kann ich schon verstehen, ähm, dass Hermine sich Sorgen um euch macht."
Hermine schnaufte zufrieden, jedoch fuhr Arthur fort.
„Aber ich weiß auch,", fügte er hinzu, „dass du schon immer Auror werden wolltest, Junge. Wenn du dich also reif genug dafür fühlst und bereit ist die harte Ausbildung durchzustehen, kann ich nichts dagegen sagen. Du bist volljährig Ron, sowohl in der Zaubererwelt, als auch bei den Muggeln. Du musst selbst die Entscheidungen für dein Leben treffen." Arthur hickste ein wenig. Ron sah seinen Vater mit großen Augen und roten Ohren an. Er hatte allem Anschein nicht mit der Reaktion gerechnet. Genauso wenig wie Hermine, die wütend und entsetzt die Tischkante umklammerte.
„Wir haben dich schon letztes Jahr gehen lassen müssen, um Voldemort zu bekämpfen. Was auch immer ihr in dieser Zeit gemacht habt. Dahingegen ist doch eine, vom Ministerium organisierte und durchstrukturierte Ausbildung, bei der wir immer wissen wo du bist, Lakritzschnapper schlecken!" Arthur lachte über seinen Witz. Hermines Mund stand offen.
„Was Harry angeht, habe ich ja eh kein Recht mich einzumischen. Auch wenn meine Frau und ich dich immer wie unseren eigenen Sohn betrachten, Harry!" Er schlug Harry auf die Schulter. „Wobei es wohl ganz gut ist, dass du nicht zu unserer roten Horde gehörst, nicht wahr Harry!" Bei Arthurs frivolem Zwinkern in Ginnys Richtung erstarb Harrys Grinsen. Ron funkelte ihn lachend an und Harry nickte beschämt. Arthur trank indes sein Glas leer und wischte sich den Bierschaum von der Oberlippe. Er wirkte mehr als zufrieden mit sich selbst.
„Ich kann mir jedenfalls, keine besseren Auroren vorstellen, als euch beide!", er zwinkerte den Jungs zu. „Aber sagt das bloß nicht Molly! Wenn sie das hören würde, würde sie mich dermaßen verhexen, dass ich zwei Wochen nicht sitzen könnte!" Zu Ron fügte er hinzu: „ Das wirst du ihr auch selbst erklären müssen! Da will ich nicht dabei sein!" er schüttelte sich kurz, um sich dann aus dem Stuhl zu wuchten.
„Ich geh dann mal besser. Da hinten kommt seh ich schon wieder Kingsley auf uns zusteuern. Der Minister ist momentan wirklich nie außer Dienst. Und ständig versucht er mich zu überreden." Er zog den Kopf ein und verschwand murmelnd in Richtung Tanzfläche.
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Harry Potter und die verlorene Zeit
FanfictionDer Krieg ist endlich vorbei, eine Zeit des Wiederaufbaus beginnt. Doch für Harry Potter, den Jungen der überlebte, starb und wieder lebt, wird es Zeit erwachsen zu werden. Und das ohne jemals eine richtige Kindheit oder Jugend gehabt zu haben. Die...