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Ich wartete ihre Reaktion ab. Sie atmete tief ein. Ich hielt die Luft an.

Ich bekam Angst.

„Oh mein Gott!“

Wie war dieses 'Oh mein Gott' jetzt zu deutet? Glaubte sie mir oder nicht?

„Oh mein Gott! Du musst zur Polizei gehen!“

Erleichterung.
Ein Stein fiel von meinem Herzen. Sie glaubte mir. Ich atmete erleichtert aus.

Ich schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich habe gegooglet. Das bringt jetzt nichts mehr!“, gab ich von mir.

„Was ist, wenn du schwanger bist? Geschlechtskrankheiten? Bei so einem Ekelkerl kann man sich das doch vorstellen!“

Ich riss erschrocken meine Augen auf, sagte dennoch nichts.

„Anziehen! Jetzt! Wir fahren zur Polizei und im Anschluss zum Frauenarzt!“

Ich nickte. Fvck. Fvck. Fvck. Was ist, wenn...? Fvck. Ich musst mich beruhigen.

Wir stiegen in ihr Auto. Kurz bevor sie den Motor startete, wurde sie panisch.

„Jill. Ich will nicht. Es ist okay. Ich werde damit leben können.“

„Nein, wirst du nicht!“, sagte sie monoton und setzte zum anfahren an.

„Aber ich habe Angst. Angst, davor, dass es an die Öffentlichkeit kommen könnte oder... Oh Gott. Was ist, wenn Jonad heraus findet, dass ich bei der Polizei war. Jill! Halt an! Ich will nicht.“

„Oh doch! Du willst. Die Polizisten haben Ahnung, die machen das bestimmt täglich.“

„Aber, was ist, wenn ich es nicht erzählen kann?“

„Das schaffst du schon. Vertrau mir!“

Ich wollte bevor wir da waren Jill noch ein letztes Mal versuchen umzustimmen.

„Bitte, lass uns gehen!“, jammerte ich.

Natürlich funktionierte das nicht.

Ich trottete Jill also langsam hinterher in das Polizeigebäude.

Sie drückte die große Tür auf. Sie sprach sofort auf einen Herren, der gerade durch den Flur ging, an.

Ich verhielt mich im Hintergrund, so dass ich nicht verstand, was sie sagten. Sie holte mich mit einer Handbewegung zu sich. Ich ging langsam auf sie zu.

„Guten Tag, kommen sie mit mir!“, begrüßte mich der Unbekannte.

Ich nickte und folgte ihm zu dem Aufzug, der uns drei Etagen höher brachte. Jill lächelte mir gut zu.

Wir standen in einem langen Flur mit unglaublich vielen Türen.

„Kleinen Moment, bitte noch. Meine Kollgen kommen gleich.“

Er verschwand. Keine zwei Minuten später öffnete sich einer der vielen Türen weiter hinten und zwei Personen traten raus, welche dann auf uns zu liefen.

Ein Mann und eine Frau.

Ich gab ihnen die Hand und stellte mich vor.

„Ihre Freundin darf leider nicht mit rein! Sie kann aber unten auf Sie warten!“, entschuldigte sich die Dame, die sich als Frau Steinwand vorgestellt hatte.

Ich nickte wieder und drückte Jill, die mir noch ins Ohr flüsterte:

„Alles wird gut!“

Wir betraten das eher schlicht eingerichtete Büro.

Ich wusste nicht, wie ich mich fühlen sollte. Ich war hin und her gerissen. Einerseits hatte ich Hoffnung, andererseits, aber ich hatte Angst davor, so viele intime Dinge den Fremden zu erzählen. Ich wollte mich nicht nochmal daran erinnern.

'Sie werden die Vernehmung würdevoll durchführen. Sie haben das schon hundertmal gemacht. Sie sind darin geschult', ging es durch meinen Kopf.

Sie sagten, dass der Polizist, dessen Namen ich wieder vergessen hatte, alles protokollieren und bei Unklarheiten nachfragen würde.
Die Polizistin, Frau Steinwand, leitete die Befragung.

Ich nahm gegenüber der Beiden am Tisch Platz.

„Grundsätzlich sind Sie nun Zeugin im Ermittlungsverfahren, dass heißt, Sie müssen die Wahrheit sagen. Wenn nicht könnten Sie sich unter Umständen selbst strafbar machen. Sie müssen sich hier selber nicht belasten und, wenn sie verwandt oder verschwägert sind mit dem Täter, dann müssen Sie sich nicht äußern.“

Ich nickte. Sie lächelte.

Zuerst nahmen Sie meine Personalien auf.

„Bitte gehen Sie nochmal in sich, denn wir brauchen möglichst alle Informationen, da ein sexueller Missbrauch ein schweres Verbrechen ist.“

Alles spielte sich vor meinen Augen wieder ab.

ALLES.

Wasser sammelte sich in meinen Augen an.

„'Tschuldigung...“, sagte ich und nahm ein Taschentuch aus meiner Hosentasche.

Sie nickte verständnisvoll und wartete ab um zu sprechen bis ich mich wieder gefangen hatte:

„Können Sie ein Bild von dem Tatort malen?“

Ich schaute etwas verwirrt.

„Wir brauchen ein genaues Bild, wie es dort aussah um uns den Hergang verständlicher zu machen.“, sagte sie, wärend sie mir ein Blattpapier und einen Kulli reichte.

Ich malte die enge verlassene dreckige Hausgasse.

Die Sackgasse, in der es passierte.

Der Mann schrieb genau mit, als ich  anhand meiner Zeichnung die Umgebung versuchte zu beschreiben.

Sie fragte so oft nach. Immer wieder sollte ich die Situation schildern um keine Details weg zu lassen. Ich verstand nicht ganz, warum.

Eigentlich wollte ich das alles nicht so genau erzählen, aber ich tat es.

Ich war so psychisch erschöpft. Es war anstrengend. Ich könnte nicht mehr.

Ich musste auch von unserem, Jonas und meinem, ersten Treffen erzählen.
Auch die Beziehung zwischen Luca und ihm, Luca und mir musste ich erklären. Auch das er mir keinen Glauben schenken wollte.

Es machte mich fertig. Nach knapp zwei Stunden Qual waren wir fertig. Sie machten mir einen Termin bei einem Frauenarzt. Er würde mich untersuchen und dann die Informationen an die Polizei weiterleiten.

Am Ende musste ich meine Aussagen unterschreiben und durfte dann gehen.

Ich bedankte und verabschiedete mich.

Ich hatte mich bei ihnen nicht unwohl gefühlt. Es war ok.

Unten in dem großen Gebäude erwartete mich schon Jill. Sie schloss mich in die Arme.

Danach fuhren wir zum Frauenarzt.

Körperlich ging es mir gut.

Nur innerlich zerfrassen mich die Erinnerungen...





Eines Nachts {Concrafter FF} Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt