Sechs

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Ich hasse Menschen, die unheimlich überzeugend sein können oder in Elisas Fall nervig ohne Ende. Sie hat einfach nicht locker gelassen, bis ich zugestimmt habe. Eine Bedingung war, dass wir früher gehen werden. Soll sie meinetwegen doch einen Migräneanfall vortäuschen oder sagen, dass sie ihre Tage bekommen hat. Ist mir egal, was so lange wir früher verschwinden werden. Oh und nicht zu vergessen werde ich keinen Cent bezahlen. Isabell schien genauso begeistert von Elisas Idee, wie ich. Sie hat zwar nichts gesagt, aber man merkt es auch so. Dieser Abend wird eine totale Katastrophe. Elisa freut sich darüber, dass sie ihren Willen bekommen hat und hält mir immer wieder Kleider vor die Nase, die sie aus dem Schrank meiner Schwester zieht.

„Ich werde ganz sicher kein rosa Kleid tragen", sage ich grimmig.

Elisa zuckt mit den Achseln und lässt das Teil wieder in den Tiefen des Schrankes verschwinden. Isabells Kleiderschrank ist größer als das Zimmer in dem ich mal für ein paar Wochen gewohnt umsonst gewohnt habe. Sie hat einen Haufen Klamotten und endlos viele Schuhe.

„Und das hier?", will Elisa wissen und präsentiert mir das nächste Stück.

„Was für 'ne Farbe ist das überhaupt?"

Meine schlechte Laune ist nicht zu verbergen, aber Elisa ignoriert es einfach. Sie lacht und macht Witze. Sie ist glücklich. So fällt es mir schwer ihr böse zu sein, aber ich bin es. Ich habe zwar zugestimmt, aber nur damit sie mich in Ruhe lässt.

„Das ist Lavendel", klärt sie mich auf und streicht das Kleid glatt. „Würde dir bestimmt super stehen."

„Vergiss es. Muss ich denn unbedingt ein Kleid tragen?"

Kleider gehören zu den Dingen, die man noch nie in meinem Schrank vor finden konnte. Zuhause hatte ich ein einziges dunkelblaues Kleid, dass meine Mutter mir irgendwann gekauft hat und das ich immer zu Familienfeiern tragen musste.

„Hast du irgendwas, dass zu so einem Anlass passt?", fragt Elisa und kreuzt die Arme vor der Brust.

„Nein", gebe ich leise zu.

Die Sachen die ich habe sind alle alltagstauglich, aber nichts für ein besonderes Essen. Eins von Isabells Kleidern zu tragen widerstrebt mir. Es fühlt sich einfach nicht richtig an.

„Was hast du denn für Kleider dabei?", frage ich Elisa.

Vielleicht hat sie etwas besseres anzubieten. Mal ganz davon abgesehen haben wir wahrscheinlich dieselbe Größe. Was man von Isa und mir nicht behaupten kann. Meine Schwester ist größer als ich und hat mehr weibliche Kurven. Mit meinen 1,66 m war ich schon immer kleiner als sie.

„Komm mit", fordert Elisa mich auf.

Zum ersten Mal, seit sie da ist, frage ich mich, wo Elisa überhaupt schläft. Alle Zimmer außer Holdens Arbeitszimmer sind bewohnt. In dem Gästezimmer wohne ich jetzt ja. Elisa bringt mich geradewegs in das eben erwähnte Arbeitszimmer.

„Schläfst du da?", frage ich sie.

„Natürlich nicht. Ich schlafe auf dem Sofa, aber mein Koffer steht in Holdens Arbeitszimmer", erklärt sie mir.

„Ja das ist logisch", nuschele ich.

Ich war schon ein paar Mal in Holdens Privatbereich, als er arbeiten war und habe mich etwas umgesehen. Mir erschließt sich nicht, wozu er ein extra Arbeitszimmer braucht, wo er doch seine Praxis hat. Wahrscheinlich braucht sein Ego so viel Platz.
In einer Ecke steht Elisas Koffer, den sie gerade öffnet. Nach noch nicht einmal einer Minute hält sie ein Kleid in die Höhe. Ich muss zugeben, dass es mir gefällt. Es ist schwarz und knielang, der Stoff fällt sanft und am Dekolleté und dem Saum ist es mit Spitze geziert.

„Darf ich es anprobieren?", frage ich unsicher.

„Klar", willigt Elisa strahlend ein.

Ich verschwinde kurz in mein Zimmer. Meine heutige Begleitung wartet vor der Tür bis ich sie rein lasse. Ich ziehe das Kleid schnell an und öffne dann die Tür. Elisa sieht an mir herunter und lächelt.

„Du siehst toll aus", sagt sie aufrichtig und beißt sich auf die Unterlippe.

„Findest du wirklich?"

Wieso höre ich mich so verdammt unsicher an? Es ist nur ein blödes Kleid.

„Ja", bestätigt sie ihre vorherige Aussage.

„Dann kann ich mich ja auch endlich umziehen", meint Elisa zufrieden.

Ich nicke und sie geht. Prüfend betrachte ich mich selbst im Spiegel. Das Kleid passt wie angegossen, aber ganz wohl fühle ich mich darin nicht. Es ist schön, aber vielleicht muss ich mich erst daran gewöhnen. Eine weitere Bedingung, dass ich zustimme, war dass ich keine hohen Schuhe tragen muss. Also ziehe ich einfach meine Chucks an und binde sie locker zu. Ob es zusammen passt ist mir scheißegal. Sicher tut es das nicht und Isabell wird es stören, aber das hindert mich nicht daran. Ich habe schon immer gemacht, was ich wollte. Im Bad trage ich noch etwas Mascara auf und bürste meine Haare. In leichten Wellen fallen sie über meine Schultern.

Wie zu erwarten braucht Elisa länger als ich. Da mir langweilig ist, setze ich mich auf das Sofa und nehme mir welche von den Keksen, die dort auf einem Teller liegen. Es überrascht mich wirklich, dass Isabell nicht fett wird, bei dem ganzen Süßkram, der hier ständig herum steht. Andererseits geht sie jeden Morgen joggen oder ins Fitnessstudio. Mich würde zu dieser Tageszeit niemand dazu bewegen können Sport zu treiben. Nicht einmal Elisa würde das schaffen. Sport ist Mord und dabei bleibt es für mich auch.

„Iss nicht so viele Kekse", ermahnt Elisa mich lachend.

Ich zucke mit den Schultern und blicke sie an. Vielleicht starre ich sie auch an. Sie hat ihre Haare geglättet, wodurch das Braun noch rötlicher schimmert, als ohnehin schon. Ihr Kleid ist weiß und passt perfekt zu ihr. Es ist schlicht, aber trotzdem schön. Elisa trägt wenig Make-up und den roten Lippenstift. Irgendwie mag ich dieses rot ihrer Lippen.

„Wow", ist das einzige, was mir in diesem Moment über die Lippen kommt.

„Ich schätze, dass heißt das es dir gefällt", sagt sie mit einem süßen Grinsen.

„Klar tut es das", sage ich hastig.

Elisa lächelt mich an und hält mir ihre Hand hin.

„Dann lass uns gehen bevor wir noch zu spät kommen", schlägt sie vor.

Ich nicke und nehme ihre Hand. Elisa zieht mich vom Sofa hoch, hält meine Hand aber für ein wenig zu lange fest. Was mich aber nicht stört.

„Dann auf geht's", nuschele ich.

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