Zehn

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„Gehst du mir aus dem Weg?", will Elisa von mir wissen, als ich ins Wohnzimmer, wo sie gerade eben noch mit Isabell geredet hat.

Ich bin davon ausgegangen, dass sie beide gegangen sind, aber nur Isa ist weg. Jetzt muss ich wohl mit Elisa reden, da es ziemlich komisch wäre, wenn ich so tun würde als wäre sie unsichtbar.

„Nein. Ich gehe einfach nur allen aus dem Weg", sage ich.

Es ist keine Lüge, aber auch nicht die Wahrheit. Ich gehe Elisa aus dem Weg, aber auch vielen anderen. Mit Isabell habe ich seit vier Tagen nicht mehr gesprochen, was ein neuer Rekord ist, seitdem ich bei ihr wohne.

„Habe ich dir irgendwas getan?", bohrt Elisa weiter nach.

Meine Antwort genügt ihr nicht. Das war mir klar.

„Nein", murmele ich.

Dieses Gespräch ist mir sowas von unangenehm. Ich kann ihr den Grund nicht sagen, wieso ich ständig durchs Haus schleiche und versuche ihr nicht zu begegnen. Normalerweise ist es doch genau umgekehrt, wenn man für jemand schwärmt oder gar verliebt ist. Ich kann einfach keine Gefühle gebrauchen.

„Es ist alles okay. Ich bin einfach nur beschäftigt", lüge ich.

Eigentlich habe ich gar nichts zu tun. Die letzten paar Tage war ich in verschiedenen Cafés, einem Museum, habe im Park auf der Wiese gelegen und bin dort eingeschlafen. Ich habe nichts sinnvolles gemacht. Ich habe noch nie etwas sinnvolles gemacht.

„Ich muss los. Habe was vor", nuschele ich und will an Elisa vorbei gehen.

„Sicher, dass du mir nicht böse bist?", hakt sie nochmals nach.

Ich verstehe nicht, wieso ihr das so wichtig ist. Ich bin doch nur die kleine Schwester von ihrer besten Freundin. Wir kennen uns doch kaum. Wieso muss ich sie unbedingt mögen? Das ist mir ein Rätsel.

Ich will gerade den Mund aufmachen, als es an der Tür klingelt. Das ist meine Gelegenheit, um dieses Gespräch zu beenden. Schnell haste ich zur Tür, um sie zu öffnen. Wahrscheinlich hat Isabell sich wieder einmal etwas im Internet bestellt. Das macht sie ständig. Ich glaube sie geht nie shoppen, sondern kauft all ihren Keam im Netz. Der Paketbote kennt mittlerweile meinen Namen so oft war er schon hier. Heute ist es kein Päckchen, dass vor der Tür auf mich wartet.

„Q-Quinn?", bringe ich stotternd hervor und blicke das Mädchen an, dass mir gegenüber steht.

Sie hat kinnlange braune Haare, die immer etwas verwuschelt sind , sonnengebräunte Haut, niedliche Grübchen und ist ein Stück kleiner als ich. Ihr rebellischer Kleidungsstil ist immer noch der gleiche. Nieten überall, Risse in den Hosen, meist schwarze Oberteile und die Lederjacke mit den Aufnähern, die sie schon trägt seit ich sie kenne. Quinn ist immer noch Quinn, so wie ich sie kenne oder kannte. Ich weiß es nicht mehr.

„Was machst du denn hier?", will ich wissen.

Nervös zupfe ich an dem Ärmel meines Pullovers herum. Es fühlt sie wie eine Ewigkeit an, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen habe. Ich habe nicht damit gerechnet Quinn jemals wieder zu sehen. Wir sind im Streit auseinandergegangen. Ich habe ihr tausend gemeine Sachen an den Kopf geworfen. Ich wollte Quinn nie Wiedersehen und bin davon ausgegangen, dass es bei ihr genauso ist. Aber jetzt steht sie hier vor meiner Tür. Woher weiß sie überhaupt, dass ich jetzt hier wohne? Sie kann es eigentlich nicht wissen.

„Wir sollten reden", sagt sie ruhig.

Weder lächelt sie, noch schaut sie finster. Sie sieht mich an, aber auch nicht. Ich weiche ihrem Blick aus, da ich nicht weiß was ich sagen soll. Ich sollte mich bei ihr entschuldigen, aber das wird das was ich ihr angetan habe nicht wieder gut machen. Ich habe sie verlassen, als es ihr dreckig ging, weil ich Angst hatte nicht mit ihren Problemen umgehen zu können.

„Ich hab keine Zeit."

Quinn stellt sich mir in den Weg, sodass ich nicht mehr aus der Wohnung komme.

„Ich weiß das du lügst, Riley. Ich kenne dich viel zu gut."

Leider hat sie recht. Quinn kennt mich so, wie mich sonst niemand kennt. Wir teilen Geheimnisse, die sonst niemand kennt und wir teilten noch so viel mehr. Das alles ist Vergangenheit.

„Na schön. Ich bin nicht alleine", sage ich.

Trotzdem lasse ich Quinn rein. Sie hat einen Rucksack dabei, als wäre sie länger unterwegs gewesen. Keine Ahnung wo sie sich herum getrieben hat, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen habe. Sie kann überall gewesen sein. Quinn bleibt normalerweise nie lange an einem Ort außer es gibt für sie einen Grund. Damals war ich der Grund. Ich führe Quinn ins Wohnzimmer, wo Elisa immer noch auf mich wartet. Das hier wird ja immer besser.

„Wer ist sie?", will Quinn wissen.

Neugierig war sie schon immer. Sie will alles wissen und alles ausprobieren. Quinn hat es sogar einmal geschafft mich zu überreden, dass es eine gute Idee sei im Freizeitpark mit der Achterbahn zu fahren, die am größten und schnellsten war. Im Nachhinein war es keine so gute Idee. Ich musste kotzen und das auch noch in der Anwesenheit von anderen Leuten.

„Das ist Elisa. Die beste Freundin meiner Schwester", sage ich gelangweilt.

„Hey", meint Elisa.

Dieses Mal klingt Elisa nicht so freundlich, wie sonst immer. Sie scheint Quinn nicht zu mögen.

Quinn nickt kurz und sieht mich dann an. „Können wir in deinem Zimmer reden?"

Ich wüsste nicht was wir zu bereden haben. Zwischen uns wurde alles gesagt. Ich bin abgehauen und Quinn hat sich nie bei mir gemeldet. Sie hat nicht nach mir gesucht. Zumindest dachte ich das die ganze Zeit. Jetzt hat sie mich gefunden, aber ich weiß nicht was wir besprechen sollten.

„Von mir aus", murmele ich und sehe Elisa kurz an, die aber nur dasteht und das ganze beobachtet.

Ich gehe voraus und Quinn folgt mir in mein Zimmer. Auf dem Boden liegen Klamotten und anderer Kram, der da eigentlich nicht hingehört. Ich schließe die Tür hinter uns. Quinn stellt ihren Rucksack auf dem Boden ab und setzt sich dann auf mein Bett. Einen Augenblick lang denke ich darüber nach, ob ich mich neben sie setzen soll und tue es dann einfach. Was ist schon dabei?

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