Acht

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Wir haben uns dafür entschieden im Supermarkt ein paar Straßen weiter etwas Eiscreme zu kaufen, da wir das Dessert verpasst haben. Elisa hat darauf bestanden, da sie sich eigentlich auf das Dessert gefreut hat. Gegen Eis habe ich nie etwas einzuwenden und habe ich sofort zu gestimmt.

Mittlerweile sitzen wir  in der Wohnung auf dem Sofa vor dem Fernseher und schauen eine Krimi-Serie. Elisa hat für eine Liebesschnulze plädiert, aber ich habe abgelehnt. In solchen Filmen gibt es null Spannung und ich würde mich am liebsten übergeben. So kam es dazu, dass wir uns auf einen Krimi geeignet haben, auch wenn wir den nicht wirklich schauen.

Das Kleid habe ich gegen eine bequeme Pyjamahose und ein Pulli getauscht. Elisa trägt ein T-Shirt und eine kurze Shorts. Sie hat sich neben mir in eine Decke eingewickelt und löffelt die Schokoeiscreme direkt auf der Verpackung.

„Schon vergessen, dass wir uns das Eis teilen wollten", erinnere ich sie während ich sie mit meiner Schulter anstoße.

„Klar", meint sie und schüttelt den Kopf.

„Wo warst du denn mit deinen Gedanken?", frage ich sie.

Es ist öffentlich, dass Elisa gerade vor sich her geträumt hat. Sie hat die Löcher in die Luft gestarrt und war vollkommen weggetreten. Irgendwie süß. An was sie wohl gedacht hat. Ich esse etwas von der Eiscreme, die Elisa mir hinhält.

„Nirgends", nuschelt sie hastig, als hätte ich sie erwischt, wie sie etwas verbotenes gemacht.

„Dann halt nicht."

Ich zucke mit den Achseln und nehme ihr die Schlagsahne weg. Elisa lächelt mich an und wird ein wenig rot. Ich wüsste gerne, woran sie gedacht hat, aber ich kann sie nicht dazu zwingen es mir zu sagen. Wir sitzen einige Zeit schweigend nebeneinander und essen bis ich mich traue die Frage auszusprechen, die mir schon im Kopf herum geistert, seit Elisa da ist.

„Wieso bist du eigentlich so nett zu mir? Früher habt Isa und du mich immer ignoriert oder geärgert."

Elisa sieht mich an und kaut auf ihrer Unterlippe herum. Es macht den Eindruck, als müsse sie über ihre Antwort nachdenken. Abwartend sehe ich sie an.

„Menschen ändern sich und als Jugendliche ist man nun mal ziemlich blöd und manchmal auch gemein zu anderen", sagt sie schließlich.

„Hm", gebe ich von mir.

Was soll ich denn sonst sagen? Es gibt nichts, dass ich dazu sagen könnte. Elisa hat meine Frage beantwortet auch wenn sie nicht das gesagt hat, was ich mir gewünscht habe.

„Wie geht es dir eigentlich nach all dem Mist, der dir passiert ist?", wechselt sie das Thema.

„Interessiert dich das wirklich?", will ich wissen.

Die meisten fragen mich das nur, weil sie neugierig sind. Keinen interessiert es wirklich. Sie wollen nur hören, wie ich versagt habe. Sie wollen die schmutzigen Details hören und etwas über Drogen erfahren.

„Ja", antwortet sie aufrichtig und legt ihre Hand auf meine.

„Na gut", nuschele ich.

Ich weiß nicht wo ich anfangen soll oder wie. Über dieses Thema rede ich nicht gerne, aber ich habe das Gefühl, dass ich Elisa vertrauen kann.

„Es ist okay, aber es fällt mir schwer. Ich weiß gar nicht mehr, was es heißt richtig zu leben und nüchtern zu sein. Ich habe mir Jahre lang irgendwelches Zeug eingeworfen, um nichts zu spüren und um der Realität zu entfliehen. Plötzlich ist das alles weg und ich muss mit allem klar kommen", erzähle ich.

Es gibt Tage an denen ich mir diese Scheinwelt des Rausches zurück. Manchmal ist das alles hier zu viel für mich. Erwachsensein ist viel schwerer als ich es mir vorgestellt habe. All die Erwartungen, die alle haben. Die Verantwortung und das man plötzlich alles selbst regeln muss.

„Du schaffst das schon, Riley", meint Elisa und legt ihren Arm um meine Schulter.

Ich lehne mich ein wenig an sie und schließe für einen Moment meine Augen. Wenn es möglich wäre, dann würde ich jetzt die Welt anhalten, damit ich für immer so bleiben kann. Gerade fühle ich mich sicher. Elisa gibt mir dieses Gefühl von Sicherheit und das wirklich alles gut werden könnte. Auch wenn es das wahrscheinlich nicht werden wird. Leider stoppt die Welt nicht sondern dreht sich weiter. Der Augenblick ist viel zu schnell vorbei und Elisa rückt ein Stück von mir weg. Ich tue so, als würde ich mich nicht kümmern, dass sie sich von mir entfernt. Das bin ich schließlich gewöhnt. Die Menschen um mich herum sehen immer noch das Mädchen in mir, das mit seinem Leben nicht klar kommt. Ich muss schlucken und atme ein paar mal tief ein und aus.

„Lass uns einfach über etwas anderes reden", schlage ich vor.

Ich will nicht länger über mich reden. Für heute habe ich genug von meinen Gefühlen preisgegeben. Elisa verwirrt mich ohnehin schon genug. Sie macht Andeutungen das sie mich mag und dann geht sie wieder einen Schritt zurück. Ich sollte aufhören darüber nachzudenken, bevor ich mich in etwas Neuem verliere. Das passiert schnell. Ich springe ins kalte Wasser und hänge dann in einem Strudel aus Gefühlen fest. Aus dem ich nur entfliehen kann, wenn ich mich selbst betäube. Etwas das ich während meines Entzugs gelernt habe.

Elisa fängt an über Paris zu sprechen, wo sie wohnt. Das habe ich ganz vergessen. Paris ist ein ganzes Stück weg von London, wo ich im Moment zuhause bin, auch wenn es sich nicht nach einem Zuhause anfühlt. Elisa wird bald wieder in einem anderen Land sein zurück in ihrem Leben und ich werde weiterhin hier fest hängen. Noch ein weiterer Grund, weshalb ich schnellstmöglich Abstand zwischen sie und mich bringen sollte.

Ich höre nur halb zu, wie Elisa von Paris schwärmt und mir alles mögliche erzählt. Sie redet ohne Pause und scheint gar nicht zu merken, dass ich kaum zuhöre. So sehr liebt sie diese Stadt. Kaum vorstellbar, wie man einen Ort so sehr lieben kann, dass man Stunden darüber erzählen kann. Ich habe nichts über das ich so lange reden könnte. Eigentlich spreche ich nur über wenige Dinge gerne. Mir wird wieder einmal bewusst, dass alle außer mir eine Leben haben, dass sie leben und ich nicht.

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