Kapitel 9

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Er trug ebenfalls eine Nummer. Diese Nummern haben unser Leben gekennzeichnet. Als wir sie bekamen waren wir keine Menschen mehr. Wir waren nur noch Abschaum, weniger wert als Gegenstände. Wir besaßen nichts mehr. Keine Rechte und sogar unsere Namen wurden durch Zahlen ersetzt. Wir durchliefen so viele Grausamkeiten, so viele Verbrechen. Die Erinnerungen an diese Zeit, an den Verlust geliebter Menschen wird uns immer prägen. 

Ich hatte gar nicht bemerkt, wie mir Tränen in die Augen schossen. Erst als ich etwas Nasses auf meinen Wangen spürte, wusste ich, dass ich weinte. Erik stand auf, lief um die Kochinsel herum und zog mich in eine Umarmung. Wie von selbst schlang ich meine Arme um seinen Brustkorb und kuschelte mich in seine Brust. Ich war im so nah, dass ich sogar seinen Herzschlag hören konnte. Es fühlte sich so gut an. Stumm ließ ich die salzigen Tränen aus meinen Augen rinnen. Es war befreiend, als würde eine schwere Last von meinen Schultern fallen. Als hätte Erik sie mir abgenommen.

Endlich war ich breit ihm meine Geschichte zu erzählen. "Sie kamen 1943. Damals war ich zehn Jahre alt. Zuerst haben sie meine behinderte Schwester ermordet. Dann meinen Vater, als er Berichte gegen den Nazis in den Zeitungen veröffentlichte. Meine zwei großen Brüder wurden bei der Flucht in Niederlande erschossen. 1944 haben sie mich und meine Mutter in ein Lager gebracht und ein Jahr drauf auf einen Todesmarsch geschickt. Meine Mutter starb dabei. Wir waren nur noch fünfzig Häftlinge, als die Amerikaner kamen, um uns zu befreien." Behutsam strich mir Erik übers Haar. "Bist du Jude?" Ich nickte. "Ich auch. Sebastian Shaw oder Klaus Schmidt, wie er sich damals nannte, hat Experimente an mir durchgeführt. Er hat meiner Mutter getötet, als er meine Kräfte entfesseln wollte.", erzählte er mit gefährlich kalter Stimme. Unter meinen Handflächen spürte ich, wie seine Muskeln sich anspannten. Ich drückte ihn etwas fester an mich. "Darum willst du ihn töten." "Ja."

Einige Sekunden später verweilten wir in dieser Position. Plötzlich stieg mir ein widerlicher Geruch in die Nase. Oh nein, das Hühnchen! Schnell entzog ich mich aus der Umarmung. Ich wendete das Fleisch und sah, dass er etwas zu dunkel war. "So ein Mist aber auch." Frustriert schmiss ich die Hände in die Luft. "Für Alex wird das reichen. Der isst doch sowieso alles, was er in die Finger bekommt.", scherzte Erik. Unverständlich sah ich ihn an. Der Typ hatte Stimmungschwankungen wie eine schwangere Seekuh. "Das Stück bekommst du.", drohte ich und warf es auf einen Teller auf der Ablage, bevor ich das nächste in die Pfanne legte. Der schöne Mann neben mir lachte nur beherzt und deckte den Tisch.

"Was passierte, nachdem die Amerikaner kamen?", fragte Erik, als er die Gläser hinstellte. Den Teil meiner Lebensgeschichte ließ sich leichter erzählen. "Ein alter Offizier nahm mich mit in die USA. Er zog mich weiter auf. Einige Jahre später heiratete ich seinen Neffen." Plötzlich hörte ich ein Glas zerspringen. Erik hatte eines fallen lassen. "Du warst verheiratet?", fragte er, während er die Scherben mit der Hand aufhob. "Erik, du schneidest dich noch. Hör bitte auf.", bat ich ihn und kniete mich mit einem Handtuch neben ihn. Ein Tropfen Blut fiel auf den Boden. Genervt schaute ich ihn an.

Killing will not bring you peaceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt