Luzi war alles Andere als erfreut zu erfahren, dass er seine Zeit bei Alea, also in ihrer gemeinsamen Wohnung, verbringen musste. Das Krankenhaus hatte ihn entlassen, aber er musste eben noch beobachtet werden. Eine eigene Wohnung hatte er nicht mehr, hatte man ihm gesagt, und seine Eltern waren in Urlaub. Die hatte er nämlich auch schon angerufen. Es blieb ihm also keine Wahl, weswegen er jetzt missmutig und schlecht gelaunt im Auto des Blonden saß und stur aus dem Fenster sah. Passend zu seiner Stimmung, regnete es in Strömen und dunkle Wolken hingen am Himmel. Wenigstens ließ man ihn weitestgehend in Ruhe. Sollte heißen, dass Alea schweigend fuhr.
Das einzige Geräusch war dementsprechend das laute Prasseln der Tropfen auf der Karosserie und das Geräusch der Reifen auf dem nassen Asphalt.
„Scheiß Berufsverkehr", hörte man den Blonden fluchen, aber er sprach mit sich selber und funkelte die anderen Autos, die die Straßen und Kreuzungen blockierten, finster an.
„Kannst... kannst du Musik anmachen?" fragte Luzi plötzlich. Er brauchte Ablenkung und wenn möglich nicht, von seinem unerwünschten Aufpasser.
Alea, der diese Frage nicht erwartet hatte, oder überhaupt damit gerechnet hatte angesprochen zu werden, brauchte Etwas länger zum Antworten. „Eh, klar. CDs sind im Handschuhfach... Radio willst du ja wahrscheinlich nicht hören." Luzi hörte nie gerne Radio, war nicht immer seine Musik, das wusste Alea.
Ein Paar blauer Augen blickte mürrisch zu dem Fahrer. Er mochte es nicht, dass dieser Alea so viel über ihn wusste und er im Prinzip gar nichts von ihm. Das war unfair und seltsam zugleich. Aber er entschied sich dazu, nichts zu sagen und öffnete das ominöse Handschuhfach. Lustlos stöberte er herum, bis ihm spontan eine CD in die Augen stach. Er musste schmunzeln. Denn er erkannte den Mann neben ihm auf dem Cover wieder, auch wenn er da noch dunkelbraune Haare mit roten Akzenten gehabt hatte. „Sturm aufs Paradies" stand unten auf dem Cover und obendrüber „Saltatio Mortis", das hatte er auch schon mal gehört seitdem er aufgewacht war.
Sein Blick wanderte wieder ganz kurz zu seinem Aufpasser. „Warum eigentlich nicht?" nuschelte er so, dass man ihn nicht hörte und schob die CD rein und machte die Musik an.
Alea stockte kurz, als die ersten Töne erklungen. Natürlich wusste er sofort, für was sich Luzi denn entschieden hatte. Er biss sich auf die Unterlippe. Der Arzt hatte gesagt, dass die Amnesie mit höchster Wahrscheinlichkeit nur temporär wäre und die Erinnerungen von selber wiederkehren sollten. Einen bestimmten Zeitraum würden sie also warten, danach müsste der ehemalige Rotschopf wohl therapiert werden. Aber der Arzt hatte auch gesagt, dass es durchaus passieren konnte, dass Erinnerungen beziehungsweise Bruchteile, getriggert werden konnten. Durch emotional wichtige Objekte, durch Fotos, Gerüche, eine bestimmte Umgebung oder eben auch durch Musik. Und insgeheim hoffte Alea schon, dass sein Liebster seine Erinnerungen möglichst bald wiederfinden würde. Es war ein Wunsch geboren aus Egoismus, aber auch wegen Luzi, der sich doch ein wenig zu quälen schien.
Es war einfach eine beschissene Situation, anders konnte man das nicht beschreiben und Alea verfluchte von Neuem den Unfallverursacher. Hätte ihnen das nicht erspart bleiben können? Sie hatten doch schon genug gelitten.
Alea war froh, wieder in seinen vertrauten vier Wänden zu sein und dass Luzi wieder bei ihm war. Die letzten Tage, in denen der Schwarzhaarige im Krankenhaus hatte bleiben müssen, waren schlimm gewesen. Nicht nur hatte er den Kleineren mit den Eisfüßen in ihrem gemeinsamen Bett vermisst, er hatte auch die meiste Zeit des Tages, bei seinem Liebsten verbracht.
Apropos, Luzi schaute sich interessiert um. Der Sänger sagte Nichts und ließ ihm die Zeit, die er brauchte. Vielleicht würde er sich ja erinnern, auch wenn der blonde Mann das irgendwie bezweifelte.
„Hier... wohnen wir?" fragte der Kleinere schließlich, nachdem er Alles ausgiebig gemustert hatte. Es war schwer zu sagen, was er gerade dachte. Aber Alea war sich sicher, dass es keine positiven Gedanken waren. Allein das zusätzliche Gewicht von Luzis Ring an seinem Hals - er hatte die beiden Eheringe auf eine stabile Kette gefädelt und trug sie nun um den Hals - ließ ihn so denken.
„Ja... deine Wohnung war etwas kleiner und lag nicht in Karlsruhe und... nun ja, die hier war gerade frisch renoviert." Er biss sich auf die Unterlippe. „Soll... willst du eine kleine Führung, oder willst du dich lieber selber mal umschauen?"
„Ich schaue mich lieber selber um, wenn das okay ist?"
„Klar, ich meine... eigentlich ist das ja auch deine Wohnung... und ich habe keine Geheimnisse vor dir." Das stimmte, sie erzählten sich Alles. Meistens Abends oder Nachts, wenn sie gemeinsam im Bett lagen, keine Lust auf Sex hatten, aber auch noch nicht schlafen wollten.
Er nickte, legte dann aber den Kopf schief. „Meine... Katzen? Maia und Muffi?"
Ein trauriger Blick stahl sich auf das Gesicht des Ziegenbärtigen. „Maia musste vor drei Monaten eingeschläfert werden... sie hatte eine Hüftgelenksdysplasie und es ging einfach nicht mehr. Die Arme konnte nicht mal mehr gehen, die Schmerzmittel hat sie nicht vertragen und die OP hätte sie auch nicht überlebt."
Entsetzen machte sich auf Luzis Gesicht breit. Verständlich, aus seiner Sicht war Maia ja eine noch sehr junge Katze. „Und Muffi?" fragte er zaghaft.
„Wir vermuten, dass er durch Trauer gestorben ist. Eigentlich war er topfit, aber..." Alea seufzte. „Tut mir leid." Er wollte eigentlich vortreten und seinen Lieblingsmenschen in den Arm nehmen, stoppte aber abrupt ab, da er sich nicht sicher war, wie dieser die Geste aufnehmen würde.
Derweil hatte Luzi sehr wohl bemerkt, was der Ältere vorhatte. Und er war dankbar, dass dieser sich selbst gestoppt hatte. Ihm war nämlich immer noch unwohl bei dem Gedanken, was er und der Blonde - und er hatte immerhin keine Zweifel daran, dass Alea ihn angelogen hatte; unter Anderem weil die anderen Saltaten das Ein oder Andere bestätigt hatten - so Alles miteinander getan hatten.
„Schon gut", der an Amnesie Leidende zuckte mit den Schultern. „War wahrscheinlich besser so." Er war sich nicht sicher, ob er sich selbst mit dieser Aussage beruhigen und trösten wollte, oder ob er den Anderen beschwichtigen wollte, der sich offensichtlich so um ihn sorgte.
Aber er bekam auch langsam Kopfschmerzen und wurde müde. Er wollte sich hinlegen, oder zumindest kurz ausruhen, fragte sich nur, wo.
„Alles okay?" fragte der Sänger zaghaft.
„Jaja, passt schon. Ich... wo kann ich mich mal eben hinlegen?" Eigentlich wollte er keine Schwäche zeigen, aber hier stand seine Gesundheit auf dem Spiel. Da war es besser, keine Dummheiten anzustellen.
Alea sprang sofort in Aktion. „Komm, ich zeige es dir." Zielsicher schritt er in den rechten Teil der Wohnung, Luzi war ihm auf den Fersen. „Also... hier wäre dann das Schlafzimmer. Das Bett habe ich heute Morgen frisch bezogen. Ehm... eher links im Schrank sind deine Klamotten, rechts sind meine. Mehr oder weniger zumindest, du wirst schon merken, wenn eh... wenn was nicht passt. Ja..." Das war Alles furchtbar ungewohnt für ihn. Denn SEIN Luzi kannte sich ja aus und SEIN Luzi brauchte auch solche Erklärungen nicht. Aber der Mann der neben ihm stand, war nicht ‚sein' Luzi, er war ein Luzi, den er erst einmal wieder erobern musste. Und das war weitaus leichter gesagt, als getan. Er sprach da aus Erfahrung.
Der kleine Dudelsackspieler musste sich zwingen, keine Grimasse zu schneiden. Er wollte gar nicht wissen, was hier schon Alles passiert war. „Und du schläfst wo?" Die Frage klang dämlich, aber sie war aus seinem Mund gekommen, bevor er sich hatte stoppen können.
„Nebenan ist ein Gästezimmer, da würde ich mich vorerst einquartieren. Ich habe mir auch schon ein paar Klamotten rüber geholt. Bad ist übrigens gegenüber." Jetzt gab er ja doch eine kleine Führung.
„Ok."
„Ja... ich lass dich dann mal alleine. Wenn was sein sollte, kannst du rufen. Ich höre dich schon."
„Ist gut", antwortete er steif. „Danke", nuschelte er noch, dann trat er in das Zimmer und Alea schloss die Tür, bis auf einen kleinen Spalt breit.
Dann ertönten seine Schritte auf den Boden, er entfernte sich also. Luzi atmete auf. Er dachte gar nicht daran sich umzuziehen, das würde ihm jetzt zu lange dauern und er hatte auch keine Lust in ‚fremden' Schränken nach Klamotten zu suchen. Also legte er sich fast so wie er war - immerhin ohne Schuhe und ohne Socken - unter die Decke und war auch bald eingeschlafen.
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Wenn Schicksalsschläge uns ereilen
RomanceFortsetzung zu „Auf Ewig Vereint" (und damit 4. Teil in der Aluzi Reihe... unglaublich, oder?), ich empfehle die anderen FFs zuerst zu lesen. Schicksalsschläge können Jeden zu jeder Zeit treffen. Und sie haben die schreckliche Angewohnheit, dass die...