20. Es raunt der Nachtwind deinen Namen

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„Wohin fahren wir nochmal?" fragte Luzi über die Musik hinweg, die im Radio dudelte. Die ‚neuesten und aktuellsten Songs', wie der Radiosprecher versprach. Das hielten sie Beide aber für ein Gerücht.

„Das ist das Haus meiner Oma. Meine Mutter hat uns darum gebeten, da mal ein bisschen aufzuräumen. Beziehungsweise eigentlich sollen wir den Garten mal bearbeiten, der hat es nämlich dringend nötig. Sonst ist das bald kein Garten mehr, sondern ein ausgewachsener Urwald."

„Uh, Dschungelbuch Style", schnaubte Luzi.

„So ungefähr, ja", lachte auch Alea. „Solange wir keinem Tiger begegnen..."

„Und die Anderen helfen, richtig?"

„Genau." Mit den ‚Anderen', waren ihre Bandkollegen gemeint. Wenn Alles nach Plan verlief, dann würden sie erst ordentlich arbeiten – alleine war das Chaos einfach nicht mehr zu bändigen – und danach dann schön im Garten grillen. WENN denn Alles nach Plan verlief, aber wann tat es das schon.

„Das kann ja heiter werden", aber er klang durchaus nicht abgeneigt.

„Meinst du, wir machen es nur noch schlimmer?" fragte der Sänger.

„Geht das überhaupt?" An das Haus konnte er sich NICHT erinnern. „Aber ich würde sagen, solange das Haus noch steht, wenn wir wieder fahren, ist Alles in Ordnung."

„Hört, hört", murmelte Alea und bog gerade in die Straße ein, wo das Haus stand. Er konnte es sogar schon sehen. Sonst war aber noch Niemand da, selbst die Nachbarn, deren Häuser einige Meter von dem ‚Oma-Haus' – wie er es im Geiste nannte – entfernt waren, schienen nicht da zu sein. War ja auch kein Wunder, bei so schönem Wetter. Es hatte ihn, wenn er ehrlich war, gewundert, dass alle seine Bandkollegen zugesagt hatten. Aber wahrscheinlich wollte sie auch nur mal die Lage zwischen ihm und Luzi abchecken. Es sei ihnen gegönnt, vorausgesetzt sie halfen und standen nicht nur im Weg herum. Nur Falk und Lasterbalk erhielten einen Sonderstatus. Falk, weil er nun mal nicht mehr der Jüngste war und Lasterbalk, weil er mit dem Bandältesten zusammen am Grill stehen würde.

Also saßen sie dann am Ende eines arbeitsreichen Tages auf der Terrasse auf saubergemachten Plastikmöbeln, die im Keller gestanden hatten. Falk hatte sie hochgetragen und sauber gemacht, während die Anderen sich um das hohe Gras, das Unkraut und die Bäume und Büsche gekümmert hatten. Und tatsächlich, nachdem dann auch der Müll schön in einem extra bestellten Container verfrachtet worden war – der Container würde morgen sehr früh abgeholt werden, weswegen Luzi und Alea die Nacht wohl hier verbringen würden – sah es auch wieder nach Garten und nicht mehr nach Urwald aus. Es war schon beeindruckend, was acht Spielmänner mit entsprechendem Werkzeug und guter Laune alles an einem Tag vollbringen konnten.

Dementsprechend müde waren sie jetzt auch Alle. Nur Luzi traf es am schlimmsten – ihn hatten sie aber auch überall hin gehetzt, klein und wendig wie er nun mal von Natur aus war. Wo andere nicht dran kamen, kamen entweder Lasterbalk oder eben Luzi dran, je nachdem in welche Richtung es ging.

Auf jeden Fall war das Kleine L schon halb an Alea gelehnt am Einschlafen. Dieser hatte zwar Nichts dagegen, doch wollte er nicht, dass sein Liebster dann mit Rückenschmerzen aufwachen würde. Die Position die er gewählt hatte, war nämlich alles Andere als gemütlich. Also blieb ihm als guter Ehemann nur eines übrig, er nahm Luzi auf den Arm und wollte ihn ins Haus, zu der Luftmatratze tragen, die sie mitgenommen und sogar schon aufgeblasen hatten.

Aber Luzi klammerte sich auf einmal fest an seinen Nacken und Alea musste inne halten. „Alles ok?" fragte er besorgt.

„Du hast mich... schon mal so getragen", flüsterte der aufgewachte Dudelsackspieler. Mit einem Mal wurde es mucksmäuschenstill. Die anderen Saltaten schwiegen und schauten wie gebannt auf das Bandpärchen. Sie hatten es bisher noch nicht erlebt, wie sich das L wieder erinnert hatte und deswegen waren sie nun so angespannt, wie Alea es am Anfang auch gewesen war.

„Ach ja?" fragte der Blonde zaghaft nach. Seine Aufmerksamkeit lag einzig und allein auf seiner kostbaren Fracht. Und irgendwie kam es ihm so vor, als hätte sein L schon wieder abgenommen. Da musste er in Zukunft wohl auch wieder drauf achten.

„Ja... während unserer Flitterwochen, nachdem wir..." er wurde rot wie eine Tomate.

„Luzi?" fragte Alea besorgt, als sich der Kleinere aus seinen Armen kämpfte. Er konnte die Emotionen die in den vertrauten, blauen Augen tobten, nicht richtig einordnen.

„Unsere Flitterwochen... und..." er wandte sich plötzlich ab, schlang seine Arme schützend um sich und schnitt eine Grimasse. „Verdammt!" fluchte er und die ersten Frusttränen bahnten sich ihren Weg über seine Wange. Dass er und Alea nicht allein waren, machte die ganze Sache nur noch schlimmer.

Alea war schockiert und reagierte instinktiv. Von hinten umarmte er seinen aufgewühlten Ehemann und zwar so, dass er ihn vor ihren Bandkollegen abschirmte. „Wein doch nicht..." bat er und drückte das L fest an seiner Brust.

„Es ist einfach so frustrierend. Immer wenn ich mich erinnere... es ist zum Greifen nahe und doch entzieht es sich jedes Mal..."

„Sshh, es ist Alles gut. Kleine Schritte hat der Arzt gesagt." Seine Stimme war ruhig und kontrolliert, auch wenn er mit seinem Liebsten fühlte, sehr sogar.

Derweil tauschten Lasterbalk, Falk und Jean verblüffte Blicke. Es war schon einzigartig, wie schnell ihr Sänger seine Stimmung der Situation anpassen konnte. Gerade jetzt, in dieser bewegten Zeit. Trotz Allem, war er immer noch die Ruhe in Person.

Und tatsächlich, Luzi fing an sich zu beruhigen. Sogar so weit, dass er sich in der Umarmung ein wenig drehte, um sich seitlich anlehnen zu können. Und während Alea ihm beruhigend durch die Haare fuhr, bemerkte das L etwas Kleines, Hartes auf Aleas Brust.

Verwirrt befreite er seine Hand aus dem Klammergriff und hob sie hoch, um das Objekt zu betasten. Was auch immer es war, es gehörte nicht da hin. Jedenfalls meinte er das, wenn er auch nicht wusste, wieso.

„Das sind nur die Ringe", nuschelte Alea.

Die blauen Augen des Dudelsackspielers blickten zu dem Sprechenden hinauf und verharrten da für eine ganze Weile. Ob er irgendetwas suchte, oder auf etwas wartete, konnte der Blonde nicht sagen. Doch dann wanderte Luzis Hand plötzlich weiter und seine Zweite kam auch noch dazu.

Stumm beobachteten die übrigen Spielmänner, wie der ehemalige Rotschopf die Kette mit zitternden Fingern öffnete und sie – mitsamt Ringen – in der Hand hielt und sie angestrengt musterte. Er wirkte auf einmal abwesend, als wäre er nur noch körperlich hier.

Der Drehleierspieler runzelte die Stirn, er war nicht der Einzige. Aber er war der Einzige, mit einer Idee. Stumm stand er auf, griff Jeans und Lasterbalks Oberarme und zog die beiden überraschten Trommler die bis eben noch neben ihm gesessen hatten, mit sich. Den Halbfranzosen platzierte er seitlich hinter Luzi, den Lästerlichen hinter Alea.

Verwirrt blickten Alle auf den Quotenadligen, doch der lächelte nur beruhigend und fing dann an zu sprechen.

Wenn Schicksalsschläge uns ereilenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt