Gelangweilt tigerte das Kleine L durch die geräumige und helle Wohnung. Sein Mitbewohner war unterwegs. Er wollte nur schnell zum nächsten Supermarkt joggen und ein paar Sachen holen und nachdem das L ihm gefühlte tausendmal versichert hatte, dass er sich sehr gut fühlte, war er dann auch gegangen. Luzi hingegen, hatte nicht raus gewollt. Ihm war einfach nicht danach gewesen und Salome – die ihm hinterher tapste und ab und an spielerisch nach seinem Hosenbein schlug – hatte er auch nicht alleine lassen wollen.
„Hey!" lachte er und blickte zu dem frechen Kätzchen hinunter, die ihn aus großen, treuen und unschuldigen Augen ansah. Ihr konnte man einfach nicht böse sein. Trotzdem bückte er sich und schnappte nach der frechen Dame. Gerade noch rechtzeitig bekam er sie zu fassen und hielt sie nun in seinen Armen. Scheinbar hatte sie genau das gewollt, denn Salome miaute einmal und kuschelte sich dann eng an seine Brust.
Ein Lächeln konnte der ehemalige Rotschopf sich nicht verkneifen. Sie war echt verschmust, also ganz nach Luzis Geschmack.
Zusammen mit seiner leichten und doch sehr kostbaren Last, machte sich das L auf den Weg ins Wohnzimmer, auf der Suche nach einer mehr oder weniger sinnvollen Beschäftigung. Deswegen ließ er seinen Blick langsam durch den Raum gleiten, bis er an einem bestimmten Regal hängen blieb. Dieses Regal, oder um genauer zu sein die Bücher die auf dem Regal fein säuberlich aufgestellt waren, hatten seine Neugierde schon öfters geweckt. Er war bisher aber nie dazu gekommen sie sich anzusehen, irgendetwas hatte immer dazwischengefunkt. Aber jetzt hatte er doch die perfekte Gelegenheit dazu. Also manövrierte er Salome so, dass sie sicher auf seinem rechten Arm lag, während er mit der linken Hand nach einem der Bücher angelte. Er war dabei nicht wählerisch, zog einfach Irgendeins heraus und begab sich dann zu dem äußerst gemütlichen Sofa.
Salome wurde prompt auf seinen Schoß verfrachtet und zwar so, dass das Kleine L unbeschwert in dem Album blättern konnte. Überrascht stellte er fest, dass er wohl ausgerechnet das Hochzeitsalbum ausgesucht hatte. Jetzt zögerte er kurz, beschloss dann aber, dass es zu gemütlich war, um noch einmal aufzustehen und sich ein Anderes zu holen.
Es wunderte Luzi ein wenig, dass ein kleines, blondes Kind während der Trauung bei ihm stand und seine Hand hielt. Unter dem Bild stand in seiner Schrift: „Klein Jenny passt auf Klein L auf." Er vermutete, dass das Mädchen Jenny hieß. Würde jedenfalls Sinn machen.
Es gab auch noch weitere Bilder von der Kleinen. Meistens war sie auf dem Arm oder auf dem Schoß von Irgendjemanden. Es erkannte sich selbst und Alea, aber auch die anderen Burschen, die ihn im Krankenhaus besucht hatten. ‚Seine' Band, also Saltatio Mortis, wie sie ihm gesagt haben. Vor allem Lasterbalk und Falk – wenn er sich richtig an die Namen erinnerte – schienen ihren Spaß mit Jenny zu haben. Jedenfalls spielten und lachten sie auf den Bildern mit den kleinen Mädchen.
Und dann kam ein Bild von Alea. Aber nicht irgendein Bild, sondern der Blonde trug ein schwarz-weißes Hochzeitskleid und sah peinlich berührt aus. Er selbst war nicht auf dem Bild, aber die Gäste die im Hintergrund zu sehen waren, lachten und amüsierten sich. Allgemein sah man nur Bilder von belustigten und lachenden Gästen. Auch während sie einen Film zu sehen schienen. Ein paar der Leute lagen sogar quer über den Tischen und konnten sich nur mit Mühe auf den Stühlen halten.
Luzi war nicht ganz sicher, was er davon halten sollte. Natürlich hatte er keine Ahnung, was in den Videos, die mit einem Beamer auf eine weiße Leinwand projiziert wurden, zu sehen war. Aber es schien extrem lustig und unterhaltsam zu sein.
Es war an diesem Punkt, dass er das Fotoalbum zuklappen musste, da sein Kopf von den vielen Informationen anfing, höllisch weh zu tun. Ein leichtes, schmerzhaftes Stöhnen entwich ihm, während er sich den Kopf hielt und dann schossen ihm auch noch vereinzelte Bilder, Wortfetzen und Szenen durch den Kopf. Das L vermutete, dass sie von der Hochzeit stammten, jedenfalls ‚sah' er sich selbst und Alea, wie sie auf den Fotos gewesen waren und zusammen getanzt hatten. Auch Jean hatte er ‚gesehen'. Es konnte sich demnach also nur um eine Erinnerung handeln.
Aus scheinbar weiter Entfernung, hörte er das Öffnen einer Tür, die sich kurz darauf auch wieder schloss, begleitet von Schritten. Und wenig später spürte der Schwarzhaarige, wie sich die Couch neben ihm senkte, doch er sah nicht auf. Sein Gesicht hatte er in den Händen vergraben.
„Luzi?" fragte eine bekannte Tenorstimme zaghaft und voller Sorge. Eine warme Hand legte sich auf seine Schulter.
„Ich... bin mich... am Erinnern", presste er zwischen aufeinander gepressten Zähnen hervor. Er lugte ein wenig zwischen seinen Fingern hervor und sah die Sorge in den dunkelbraunen Augen.
Der Besitzer dieser dunklen Augen, nahm seine Hand von Luzis Schulter und legte sie stattdessen ein wenig umständlich an seinen Kopf, um seine Schläfen zu massieren. Darüber hinaus summte er eine leise und ruhige Melodie, die Luzi irgendwie bekannt vorkam. Er konnte sie gerade aber nicht ganz zuordnen. Trotzdem konzentrierte er sich auf sie, auch als er an eine muskulöse Brust gezogen wurde.
Und tatsächlich, die dröhnenden Schmerzen hörten langsam auf und er war in der Lage, sich wieder zu entspannen. Dass war aber auch verdammt unangenehm gewesen. Wenn es immer so ablaufen würde, war Luzi nicht sicher, ob er sich überhaupt wieder vollständig erinnern wollte.
„Geht's wieder?" fragte die tiefe Stimme des Anderen besorgt.
Das L brachte nur ein Nicken hervor, bevor er sich aufsetzte und die Hände von seinem Gesicht nahm. Für den Bruchteil einer Sekunde, konnte er Sehnsucht, Liebe und auch Trauer in den dunklen Augen erkennen, doch dann hatte Alea kurz geblinzelt und jegliche Emotionen waren aus seinem Blick verschwunden..
„Woran hast du dich erinnert?" fragte der Sänger. Er versuchte es zu verstecken, aber ein kleines bisschen Hoffnung schwang trotzdem in seiner Stimme wieder.
„Das da", er zeugte auf das Fotoalbum und gab es an den Anderen weiter, bevor er sich Salome zuwandte. Die kleine Katze war von seinem Schoß gerutscht und wollte unbedingt wieder hinauf. "Aber nur Bruchstücke."
Wie zum Beispiel der verliebte und überglückliche Ausdruck in rehbraunen Augen. Ein sanfter Kuss. Gegenseitiges Füttern und dann ein seltsamer Tanz, ganz abseits der verbliebenen Gäste.
„Ah, okay." Er war enttäuscht. Vermutlich weil es mit den Erinnerungen nicht schneller ging, dachte Luzi.
Und sofort fühlte er sich sehr schuldig. Hier war ein liebevoller und fürsorglicher Mann, der scheinbar die letzten Jahre sein Leben mir ihm, Luzi, geteilt hatte und sich Nichts sehnlichster wünschte, als dass sein Ehemann sich an ihn und ihre gemeinsame Zeit erinnerte. Aber so einfach war das nicht. Es funktionierte leider nicht so. Liebend gerne hätte Luzi sich an den Mann neben ihn erinnert, der so geduldig und verständnisvoll war. Denn er war sich sicher, dass Alea Jemand war, den man, beziehungsweise den ER, irgendwann wirklich lieben könnte.
Nur was der Sänger wohl denken musste. Immerhin hatte er ihm gesagt, dass er nicht auf Männer stand und dass, obwohl es eine Lüge gewesen war. Mehr oder weniger zumindest. Die Sache war kompliziert und das L fürchtete, dass er sie nur noch komplizierter gemacht hatte. Das war aber auch Alles so unfair.
„Hey", riss ihn die Stimme des Sängers aus den Gedanken. Er hatte das Album beiseitegelegt und sich zu ihm gedreht. „Nicht weinen..."
Verwundert stellte der Dudelsackspieler fest, dass er tatsächlich am Weinen war. Das hatte er gar nicht mitbekommen. Schnell wischte er die Tränen weg und nuschelte ein leises: „Tschuldigung."
Doch Alea schüttelte den Kopf. „Entschuldige dich nicht für sowas. Das ist ganz natürlich." Es war wohl eine instinktive Handlung gewesen, als er sich nach vorne beugte und Luzi in eine weitere Umarmung zog.
Luzi konnte das Gesicht des Anderen zwar nicht sehen, aber er wusste, dass auch er weinte. Und anstatt sich aus der Umarmung zu lösen, wie er es eigentlich vorgehabt hatte, schlang er jetzt seine Arme um den Sänger und gab ihm Halt. Das machte man doch so, unter Freunden... und erst recht in einer Ehe. Auch wenn der Schwarzhaarige sich strenggenommen an Beides nicht erinnern konnte.
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Wenn Schicksalsschläge uns ereilen
RomanceFortsetzung zu „Auf Ewig Vereint" (und damit 4. Teil in der Aluzi Reihe... unglaublich, oder?), ich empfehle die anderen FFs zuerst zu lesen. Schicksalsschläge können Jeden zu jeder Zeit treffen. Und sie haben die schreckliche Angewohnheit, dass die...