7. Spürst du die Angst in deiner Brust

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„Den Umständen entsprechend gut. Seine Werte sind stabil und es besteht keine Lebensgefahr", der Arzt räusperte sich und zog sein Klemmbrett mit den Notizen zur Rate. „Allerdings mussten wir ihn sedieren, er wird also noch ein wenig dauern bis ihr... Ehemann, war es, richtig? Bis ihr Ehemann aufwacht."

„Okay", man sah, dass Alea eine Tonne Last von den Schultern genommen worden war. Auch atmete er erleichtert auf.

Der Arzt nickte. „Jedoch habe ich auch... weniger gute Nachrichten. Der Patient hat neben einer geprellten Rippe und mehreren Prellungen im Hüftbereich, sowie an den Oberschenkeln, auch eine Gehirnerschütterung davongetragen."

„Was genau heißt das?" wollte Jean wissen und trat nun nach vorne.

Der Arzt blickte zu ihm. „Eine Gehirnerschütterung ist eine leichte Form einer Schädel-Hirn-Verletzung, mit mehreren MÖGLICHEN Nebenwirkungen. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass es zu diffusem Kopfschmerz kommt, das heißt das die Schmerzen unregelmäßig auftauchen und in verschiedenen Stärken. Darüber hinaus gibt es noch einige weitere Symptome, wie Schwindel, Übelkeit, rascher Ermüdung, erhöhter Reizbarkeit, Apathie und vermehrtes Schwitzen."

„Das klingt schlimm" meinte Lasterbalk tonlos.

„Es kann schlimm werden ja. Deswegen behalten wir den Patienten noch für ein paar Tage hier, zur Beobachtung. Wenn er entlassen wird, sollte die nächste Zeit immer Jemand in seiner Nähe oder zumindest schnell erreichbar sein. Aber... das sollte kein Problem darstellen, nehme ich einmal an." Sein Blick ruhte dabei wieder auf dem nickenden Sänger.

„Dürfen... dürfen wir ihn sehen?" fragte dieser dann zaghaft.

„Bevor sie eintreten, seien sie sich bewusst, dass ein Patient mit Gehirnerschütterung oft... desorientiert sein kann."

„Ich verstehe."

Der Arzt schnaubte zufrieden und selbst Lasterbalk, der eigentliche jegliche Ärzte nicht ausstehen konnte, musste zugeben, dass der Mann sich sehr viel Mühe gab, um jede ihrer Fragen verständlich zu beantworten. So streng und unnahbar wie er erschien, war er also nicht. „Ich werde nachher nochmal vorbeisehen. Falls Etwas sein sollte, am Bett ist ein Rufknopf und falls dieser betätigt wird, wird sofort ein Pfleger oder ein anwesender Arzt zu Ihnen stoßen."

„Danke, Doktor", sagte Lasterbalk noch rasch, da Alea gerade andere, wichtigere Dinge im Kopf hatte. Deswegen war der blonde Kampfsportler auch schon im Krankenzimmer verschwunden.

„Sollten... sollten wir ihm nicht ein wenig Zeit gönnen?" fragte Till besorgt und stoppte somit seine Kollegen von ihrem Vorhaben, dem Blonden zu folgen.

„Ich weiß nicht, ob Alleinlassen eine so gute Idee ist", gab Lasterbalk zu bedenken. Falls Alea einen weiteren emotionalen Zusammenbruch erleiden sollte, wollte er eigentlich dabei sein. Dann könnte er von vornerein vielleicht das Schlimmste abwenden können.

„Wir würden nur stören", fand Falk. „Gib ihm wenigstens ein paar Minuten alleine, danach gehen wir langsam und vielleicht nicht alle auf einmal, rein. Ja?"

„Na schön", mit diesem Vorschlag konnte der Trommler sich einigermaßen anfreunden. Es war ein Kompromiss. Und vielleicht hatte der Quotenadlige auch recht.

Währenddessen war Alea im Patientenzimmer mit der Nummer 136, wie angewurzelt stehen geblieben und starrte mit geweiteten Augen auf die einzige Person im Zimmer. Es war zwar kein Einzelzimmer, aber die anderen beiden Betten waren noch mit einer Plastikfolie überzogen und dementsprechend leer. Aber das bekam der Sänger Alles gar nicht mit. Seine Aufmerksamkeit lag auf der Person, die ihm auf dieser Erde am meisten bedeutete, seinen Luzi.

Alea musste schlucken und sich dann zwingen, einen Fuß vor den Anderen zu setzen. So wie er dalag, sah es fast so aus, als würde sein Ehemann nur schlafen. Aber das Bild wurde durch die piependen Maschinen und den Infusionsschlauch zerstört.

„Oh Luzi", schluchzte der Sänger, als er das Bett endlich erreicht hatte. Er hob eine zitternde Hand und legte sie behutsam auf den tätowierten Arm seines Liebsten und strich sanft über diesen. Insgeheim wünschte er sich, dass ihre Plätze getauscht wären, andererseits wollte er auch nicht, dass Luzi jemals so litt, wie er es gerade tat.

Er spürte wie weitere Tränen sein Gesicht hinab liefen, aber Alea kümmerte sich nicht um sie. Stattdessen beugte er sich nach unten und gab erst der Stirn, dann einer Wange und schließlich dem Mund, je einen sanften und liebevollen Kuss.

„Wach schnell auf mein Schatz", bat er, nicht sicher, ob der kleinere Spielmann ihn überhaupt hören konnte. Aber das war ihm egal. Er wollte einfach nur sein L wieder haben, wach und lächelnd und Grimassen schneidend, wie er eben immer war.

Jemand klopfte an die Tür, die den Bruchteil einer Sekunde später, geöffnet wurde. „Alea, ist alles in Ordnung?" wollte Lasterbalk vorsichtig wissen. Er lugte vorsichtig in das Zimmer und öffnete die Tür dann ein Stück mehr, damit er durchtreten konnte. Die anderen Saltaten folgten nacheinander und auf leisen Sohlen, sie Alle waren wie gelähmt von dem doch recht miserablen Eindruck ihres geschätzten Dudelsackkollegens, der sonst immer nur vor Energie strotzte, jetzt aber arg mitgenommen aussah. War ja auch klar, wenn man angefahren wurde. Lasterbalk hatte den ungefähren Unfallhergang in Erfahrung gebracht, während Alea zu Luzi gegangen war.

„Nein", antwortete der Sänger wahrheitsgemäß.

Frank zog einen Stuhl vom Tisch und stellte ihn hinter Alea. Dieser blickte von dem Stuhl zum Bassisten und wieder zurück. Ein dankbarer Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht und langsam setzte er sich auf das Möbelstück. Dann nahm er ganz behutsame die schlaffe Hand des ehemaligen Rotschopfes, die nur ganz kurz zuckte und dann wieder locker wurde.

Alea wirkte nur noch verlorener als vorher. Wie er die Hand des Schlafenden hielt und mit dem Daumen immer wieder leicht über den silbernen Ring strich. Man konnte nur erahnen, was für Gedanken ihm in diesem Moment durch den Kopf jagten.

Die restlichen Saltaten tauschten besorgte Blicke. Sie wollten helfen, konnten es aber nicht. Der Sänger würde nicht eher Ruhe geben, bis Luzi nicht wieder aufgewacht war und er seinem Ehemann höchst persönlich berichtet hatte, dass es ihm gut ginge. Und vermutlich würde Alea selbst dann noch übervorsichtig sein.

Lasterbalk musste bei diesem Gedanken leicht schmunzeln. Es war schon verrückt, was die Liebe alles verändern und bewirken konnte. Und wenn er ehrlich war, dann hätte er nicht gedacht, dass es sich zwischen den Beiden überhaupt so entwickeln würde. Natürlich hatte er sich für seine Kollegen gefreut, als sie schüchtern aber strahlend verkündet hatten, dass sie nun in einer Beziehung waren. Dennoch. Er hatte schon geplant und sich für den Tag vorbereitet, an dem sie feststellten, dass sie wohl doch nicht so gut zueinander passten, oder dass es einfach nicht funktionierte zwischen ihnen. Er war natürlich nicht enttäuscht, dass dieser Tag nie eingetroffen war, aber überrascht war er schon.

Es sein ihnen gegönnt, dachte der Lästerliche noch bei sich und verließ dann den Raum, um erst mal irgendwo Kaffee aufzutreiben. Denn konnten sie jetzt Alle gebrauchen.

Wenn Schicksalsschläge uns ereilenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt