Peinlicher Anruf

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„Das war ein Anruf von dem ehemaligen Käufer.", erklärte Alec und setzte sich neben mich an den Küchentisch.
Inzwischen waren wir wieder in Dustins Haus angekommen. Es hatte eine Ewigkeit gedauert das Auto freizuschaufeln und noch eine weitere Ewigkeit mehr, endlich aus diesem verschneiten Wald zu kommen. Daher war ich froh, als wir in den vertrauten, vier Wänden waren und ich mir erst einmal eine heiße Dusche gönnen konnte, bevor ich mich an den Vertrag setzte, den ich noch erstellen musste.
„Ehemalig?", fragte ich und blickte verwundert vom Laptop auf. Ich hörte auf den Absatz zu tippen und sah Alec an, der seine Brille abnahm und sie, mit einem tiefen Seufzer, von einer Wimper befreite. Dann setzte er sie wieder auf und nickte bloß.
„Irgendein Problem mit dem Kredit.", berichtete er und fuhr sich durch seine Haare.
„Toll.", brummte ich und klappte den Laptop mit einem Knall zu. „Und jetzt?".
Alec zuckte mit den Schultern. „Jetzt müssen wir uns wohl weiter umsehen.", seufzte er. „Und dabei war das schon schwer diesen Käufer aufzutreiben... Ich verstehe nicht, wieso keiner dieses Haus kaufen möchte.".
„Ich würde es nehmen, wenn ich das Geld hätte.", erklärte ich und strich mir eine nasse Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Ich weiß.", nuschelte Alec, erhob sich und goss in zwei Tassen das heiße Wasser ein, das im Wasserkocher brodelte. Mit mürrischer Miene reichte er mir eine Tasse und setzte sich dann mit seinem eigenen Tee wieder neben mich. „Das heißt wohl, du musst alleine nach Dallas fliegen. Ich bleibe dann noch so lange hier und regel alles.".
Ich schüttelte mit dem Kopf. „Ich lass dich das nicht alleine machen.", erwiderte ich und entlockte Alec ein sanftes Lächeln. „Wofür sind Geschwister denn da?", fügte ich hinzu.
Daraufhin erhob sich Alec wieder. „Dann stoniere ich mal unsere Flüge und rufe zu Hause an.", meinte er beim Rausgehen und verschwand im Wohnzimmer.
Nur kurz überlegte ich, wie ich das nötige Geld aufbringen konnte, um dieses wunderschöne Haus zu bezahlen. Es war vergebens. Ich konnte die monatlichen Nebenkosten nicht decken, dafür reichte mein Gehalt nicht aus. Wieso musste sich Dustin sich auch so ein teures Haus kaufen? Immerhin hatte er alleine gelebt. Er hatte keine Frau, keine Kinder, ja noch nicht einmal ein Haustier. Und jetzt würde Alec wahrscheinlich noch die Geburt seines Kindes verpassen, nur weil wir dieses Haus nicht verkauft bekamen.
Stumm trank ich meinen Tee aus und stellte die leere Tasse in die Spülmaschine, die schon fast voll war. Daraufhin schlenderte ich ins Wohnzimmer. Scheinbar telefonierte Alec mit seiner Frau, da er immer dieses Glitzern in den Augen hatte, wenn er bei ihr war oder bloß ihre Stimme hörte. Während ich so beobachtete, wie er lächelnd auf der riesigen, schneeweißen Ledercouch saß, fragte ich mich, ob ich jemals so eine Liebe finden würde. Mit meinen sechsundzwanzig Jahren hatte ich ein paar Männer gehabt, die aber alle nicht für die Ewigkeit bestimmt waren. Vielleicht gab es einfach nicht für jeden den perfekten Partner.
„Ich liebe dich auch, mein Engel.", hörte ich Alec hauchen. „Wir sehen uns. Bis bald.". Dann legte er auf. Als hätte er meinen Blick bemerkt, sah er auf. „Ivy meint, das Baby ist schon ganz unruhig.", erklärte er voller väterlichem Stolz. „Es kann es wohl gar nicht erwarten endlich auf die Welt zu kommen.".
Ich schmunzelte. Alec würde einen perfekten Vater abgeben, das wusste ich. Doch obwohl ich liebend gerne den Gedanken weitergeführt hätte, holte mich die Realität wieder ein. „Wir sollten schon einmal die Sachen, die wir nicht gebrauchen können wegschmeißen.", meinte ich. „Es ist vielleicht einfacher ein Haus zu verkaufen, wenn nicht ganz so viele Möbel herumstehen.".
„Aber der Käufer wollte es doch möbliert haben.", räumte Alec ein.
„Schon, aber der zukünftige Käufer vielleicht nicht.".
Zerknirscht kräuselte mein Bruder seine Lippen und rückte seine Brille gerade. Dann seufzte er. „Vielleicht kann Großonkel Rolf ja helfen.", meinte er. „In seinen Pickup kriegt man viel mehr als in den SUV.".
„Gute Idee.", erwiderte ich. Gleich schoss mir durch den Kopf, dass vielleicht Jensen ebenfalls helfen würde, vielleicht sogar aus freien Stücken und nicht nur, weil er seinem Gastgeber einen Gefallen tun wollte. Mir gefiel der Gedanke ihn wiederzusehen.
„Na dann, hier.", riss mich Alec aus den Gedanken und reichte mir das Telefon.
„Ich?", fragte ich.
„Du warst schon immer Rolfs Liebling. Bei dir sagt er eher zu, als bei mir.".
Wo er recht hatte, da hatte er recht. Ich griff nach dem Telefon und wählte seine Nummer, die ich schon im Schlaf kannte. Ein paar Mal erklang das vertraute Freizeichen. Dann wurde abgehoben.
„Bei May.", meldete sich eine dunkle Männerstimme, die ich erst nicht richtig einordnen konnte. Es war definitiv nicht Rolf. Verwundert runzelte ich die Stirn.
„Ähm, ja. Hallo. Hier ist Ophelia Winchester. Mit wem spreche ich da?".
Alec hob fragend eine Augenbraue.
„Oh, Ophelia.", erklang es von der anderen Seite in einem mehr als freudigen Ton. „Hier ist Jensen.", fuhr er fort. „Rolf und Lydia sind in die Stadt gefahren und wollten einkaufen, deshalb übernehme ich jetzt den Telefondienst.".
Ups, dachte ich. Schlagartig wurde mir kochendheiß. Wie peinlich! Die Farbe meines Gesichts muss einer Tomate geglichen haben, denn Alec verzog verwirrt das Gesicht. Ich deckte mit einer Hand den Lautsprecher ab. „Jensen.", flüsterte ich. Ich wusste nicht wieso, doch auf Alecs Gesicht breitete sich ein wissendes Grinsen aus. Provokant wackelte er mit seinen Augenbrauen, was mich noch mehr erröten ließ.
„Ja, ähm.", stammelte ich. „Kannst, kannst du Rolf ausrichten, dass ich angerufen habee? Er soll mich dann bitte zurückrufen.".
„Willst du mir dein Geheimnis nicht anvertrauen?", neckte Jensen und lachte.
Unsicher kicherte ich. „Nein... also, ja. Es ist nur... also es geht um einen Gefallen.", stotterte ich und biss mir auf die Unterlippe.
„Was für ein Gefallen?", bohrte er weiter. Man konnte förmlich hören, wie er neugierig seinen Kopf zur Seite neigte und fragend die Stirn in Falten legte.
„Ähm, das Haus... Also der Käufer ist abgesprungen und wir bleiben noch länger in North Bay, bis wir es verkauft haben.".
„Tatsächlich?", fragte er freudig.
„Ja. Wir... also wir wollten ein paar Möbel rausschmeißen.", erklärte ich. „Und Alec und ich hatten uns gefragt, ob Rolf uns vielleicht dabei helfen würde.". Gespannt wartete ich auf eine Antwort.
„Also ich werde ihn fragen.", entgegnete Jensen. „Und wenn er nicht kann, dann könnt ihr aber auf jeden Fall auf mich zählen. Wenn Rolf seinen Pickup nicht braucht, dann könnte ich mir den ja ausleihen. Da passt bestimmt eine Menge drauf.".
„Ja, den gleichen Gedanken hatten wir auch.".
„Okay.", ertönte es nachdenklich vom anderen Ende. Ich wollte mich schon verabschieden, als der Schauspieler mich aufhielt. „Was macht deine Wange?", fragte er mit Besorgnis in seiner Stimme.
Automatisch glitt meine Hand an meine Wange. Ich hatte sie gesäubert und die Wunde mit einem Pflaster verdeckt, sodass kein Schmutz hineinkommen konnte. „Gut.", entgegnete ich. „Viel besser.".
„Okay, gut.", murmelte er und wollte scheinbar die nächste Frage stellen, als ich ihn unterbrach.
„Also sagst du dann Rolf bescheid?", fragte ich. Schnell wurde mir jedoch klar, dass es den Eindruck machte, dass ich mich nicht mit ihm unterhalten wollte.
„Klar.", meinte Jensen. In seiner Stimme lag leichte Enttäuschung. „Er ruft euch dann zurück.".
„Danke.", sagte ich. „Bis dann.".
„Bis dann.".
Ich legte auf und fing den Blick meines Bruders auf, der immer noch dümmlich grinste. Erneut wackelte er mit den Augenbrauen und spitzte seine Lippen, um drei Küsse anzudeuten.
„Du bist so kindisch.", lachte ich, drehte mich um und verschwand in der Küche.

Wie Rome und JuliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt