Der etwas andere Partyanfang

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Jensen schien es nicht anders zu ergehen. Er war neben mich getreten und betrachtete ebenfalls das Schlachtfeld mit einem leicht gequälten Gesicht. Man sah ihm an, dass er am liebsten umgekehrt wäre und sich wieder ins Auto gesetzt hätte. Aber mir erging es nicht anders. Schon jetzt war ich froh, wenn diese Babyparty endlich vorbei war.
Niemand hatte uns bisher bemerkt, außer Heather natürlich. Sie machte alles zunichte, als sie mit Bran auf dem Arm auf die Terrasse trat.
„So! Das sind meine Schwägerin Ophelia und ihre Begleitung Jensen.", stellte sie uns beide vor und deutete mit einer Hand auf uns, als wären wir ein Kunstwerk.
Die Blicke der Frauen trafen uns. Na ja... die Blicke der Frauen trafen eher Jensen. Mir fielen ihre leuchtenden Augen auf, mit denen sie Jensen förmlich von oben bis unten musterten. Ich wusste, dass Jensen genau wusste, wie gutaussehend er war, als er ein charmantes Lächeln aufsetzte und seine Hände locker in die Taschen seiner hellen Jeanshose schob.
„Hi.", machte er bloß und grinste noch breiter, als einige Wangen der Frauen rosig anliefen. Mich ließ es nur mit den Augen rollen. Weiter hinten waren die Männer voll und ganz in ihrer Welt gefangen und bemerkten gar nicht,wie ihre Frauen dem Schauspieler schöne Augen machten.
Plötzlich ertönte ein Zischen, so als ob Wasser auf eine heiße Platte tropfen würde... oder Milch.
„Scheiße! Die Milch!", rief Heather aus. „Kannst du mal-.", sie führte den Satz nicht zu Ende, sondern drückte Jensen denn kleinen Bran in die Hand. Kaum hatte der überraschte Schauspieler ihn auf dem Arm, rannte sie wieder in das Haus hinein.
„Na du.", lachte Jensen und betrachtete das Baby auf seinem Arm, das sich einen Finger in den Mund gesteckt hatte und neugierig auf den vollen Gartentisch schaute, auf dem unter anderem volle Salatschüsseln und gefüllte Brotkörbe standen. Man konnte förmlich spüren, wie alle Frauen liebreizend seufzten, als sie Jensen mit dem Baby herumalbern sahen. Er wiegte den Kleinen hin und her – was er im Nachhinein besser gelassen hätte.
Ein paar Sekunden. Länger dauerte es nicht. Der Kleine nahm seinen Finger aus dem Mund und beinahe gleichzeitig schoss eine Ladung Erbrochenes aus ihm. Die gelb-grüne Masse landete größtenteils auf Jensens weißem Hemd. Der Rest tropfte auf den Boden.
Erschrocken machte ich reflexartig einen Satz zurück. Jensen verzog nur angewidert das Gesicht.
„Oh, Mist.", fluchte er leise. Dann sah er auf Bran, der ihn mit seinen unschuldigen Babyaugen ansah. Der Schauspieler schüttelte mit dem Kopf. Er wandte sich an eine der Frauen, die ihn erschrocken ansah. „Kann ich die Serviette haben?", fragte er und deutete neben ihren halbvollen Teller, neben dem noch eine recht saubere Serviette lag. Die Frau nickte, woraufhin sich Jensen sie an sich nahm und einmal den Mund des Kleinen abwischte. „So-.", machte Jensen und betrachtete das saubere Gesicht des Babys. „Jetzt bist du wieder so gut wie neu.".
Indem kam Heather wieder hinaus. Als sie die erschrockenen Blicke bemerkte, runzelte sie die Stirn und richtete ihren Blick dann auf Jensen und ihr Baby. Ihre Augen wurden größer und sie bedeckte mit ihrer Hand ihren offenen Mund.
„Oh mein Gott, Jensen.", rief sie aus. „Das tut mir so leid.".
Jensen winkte nur ab und lächelte, als er ihr Bran wieder in die Hände gedrückt hatte. „Ach, das macht doch nichts. Ich wasche das nur eben ab.".
Heather deutete mit dem Daumen nach drinnen. „Ich wollte eh weiße Wäsche machen. Zieh' das Hemd doch aus und ich schmeiße es schnell in die Waschmaschine. Alec wird dir was von seinen Sachen leihen.", meinte sie und blickte dann zu ihrem Mann, der von dem Szenario nichts mitbekommen hatte. „ALEC!", rief sie.
Mein Bruder wirbelte herum. Als er uns sah, drückte er Rolf die Grillzange in die Hand und joggte zu uns hinüber. „Hey.", begrüßte er uns und blieb dann vor uns stehen. Kaum hatte er Jensens Hemd gemustert, trat ein schelmisches Grinsen auf sein Gesicht. „Oh, Jensen.", meinte er. „Du hast wohl einen Freund gefunden.". Man merkte, dass dies nicht sein erstes Bier war. Aber hätte ich nicht fahren müssen, hätte ich mir auch ein paar Bierchen gegönnt, nur um diese Hölle auszuhalten.
„Sehr witzig.", kommentierte Jensen, lächelte aber.
„Alec.", mahnte ihn seine Frau. „Du solltest Jensen ein Oberteil leihen.".
Der frisch gebackene Vater nickte und setzte sich Bewegung. Indem öffnete Jensen die Knöpfe des Hemdes, während er langsam zurück ins Haus schritt, um Alec zu folgen. Man bemerkte, wie die Augen der Damen immer größer wurde, je mehr Knöpfe der Schauspieler öffnete. Allerdings verzogen sie enttäuscht das Gesicht, als Jensen mit dem Rücken zu ihnen stand und schon fast im Haus angekommen war. Man konnte nur seinen muskulösen Rücken sehen, als er sich das Hemd vom Leib streifte und es vorsichtig Heather reichte. Dann war er auch schon im Inneren verschwunden.
„Ophelia.", riss mich eine bekannte Stimme aus den Gedanken. Ich wirbelte herum und bemerkte, dass sich Großtante Lydia unten den acht Frauen befand. Sie deutete auf etwas hinter mich. „Da steht noch ein Klappstuhl. Setz dich zu uns, wir rücken etwas näher zusammen.".
Kaum hatte sie den letzten Satz zu Ende gesprochen, bewegten sich einige Frauen und schafften mir so ein Plätzchen, damit ich mich zu ihnen setzen konnte. Ich schnappte mir den geflochtenen, grauen Gartenstuhl und schob mich zwischen zwei robuste Damen, die für meinen Geschmack viel zu viel Make-Up in ihrem Gesicht trugen. Aber es war ja Geschmackssache.
„Wie lange sind Sie schon verheiratet?", fragte eine Blondine, die direkt neben Lydia saß und schob sich eine Gabel von dem Nudelsalat in den Mund.
„Wir sind nicht verheiratet.", antwortete ich. Wieso glaubten immer alle, dass wir verheiratet wären?
„Oh, Verzeihung.", entschuldigte sich die Blonde. „Sie beide wirkten bloß so vertraut, das ist alles.".
Ich winkte ab. „Kein Problem.".
„Es tut mir wirklich leid, was mit Ihrem Bruder geschehen ist. Ein schrecklicher Unfall. Vorallem nachdem Ihre Eltern auf die gleiche Weise umgekommen sind.", meinte die rothaarige Frau, die links neben mir saß. Mir kam es so vor, als würde sie ihre Trauer bloß spielen. Dafür waren ihre Gesten und ihre Stimmlage zu theaterisch. Das machte sie für mich sogleich unsympathisch.
„Ja, das stimmt.", entgegnete die Blondine.
„Ich stempel es einfach als einen Familienfluch ab.", erklärte ich und hoffte die bedrückende Stimmung etwas zu retten. Immerhin waren wir auf einer Willkommensparty, da war kein Platz für Tränen und deprimierende Gedanken an vergangene Tag. Immerhin ging es immer geradeaus und niemals zurück!
„Und was machen Sie beruflich, Ophelia?", fragte die Frau rechts von mir und lenkte so auf ein anderes Thema.
„Ich bin Buchhändlerin.", erklärte ich knapp.
„Oh, ich glaube das hatte Alec erwähnt.", meinte die Blondine und nahm noch einen Bissen von dem Nudelsalat. „In dem Logo's Bookstore, nicht?".
„Ja.", bestätigte ich und nickte lächelnd mit dem Kopf. Es war gruselig wie viel sie scheinbar über mich und mein Leben wussten. Als hätte man ein Buch über mich geschrieben, von dem ich nichts wusste und das scheinbar alle gelesen hatten, außer mir.
„Ein wunderschöner Laden.", schwärmte die blonde Frau. „Ich habe da mit meinem kleinen Liam bestimmt schon fünf oder sechs Bücher gekauft.". Sie blickte kurz in Richtung der spielenden Kinder. Schnell war klar, dass Liam der Jüngste und Kleinste in der Gruppe war. Ich schätzte ihn auf vielleicht gerade einmal fünf Jahre. Er ähnelte mit den großen, dunklen Augen und der kurzen, platten Nase sehr einem Mann, der sich gerade mit Rolf unterhielt.
„Das stimmt.", meinte ich. „Vielleicht sogar der Beste in ganz Dallas.".
„Ja.", stimmte die blonde Frau zu. Indem wanderte ihr Blick auf etwas hinter mich und ich erkannte an ihren geröteten Wangen, dass es Jensen sein musste. Also wandte ich mich um und staunte auch nicht schlecht.
Alec war etwas kleiner als Jensen und so war es scheinbar auch mit der Kleidergröße. Jensen trug eines von Alecs grauen T-Shirts, das bei meinem Bruder eigentlich immer ziemlich locker saß. Bei Jensen aber spannte sich der Stoff deutlich. Seine Muskeln konnte man problemlos darunter erkennen. Ich fürchtete, die Ärmel des Shirts würden reißen, wenn der Schauspieler seinen Bizeps anspannte.
Jensen verzog das Gesicht. „Du hättest mal die anderen sehen sollen.", kommentierte er und sah an sich hinunter. „Wenigstens passt die Länge einigermaßen.".
Ich schmunzelte nur. Der Anblick war zwar unglaublich erregend, aber gleichzeitig auch ziemlich lustig.
Jensen nahm es auch mit Humor auf. Er grinste und trat dann hinter meinen Stuhl. Seine Hände legte er auf die Lehne, um sich dann zu mir hinunterzubeugen. So leise, dass bloß ich es hören konnte, flüsterte er: „Dafür schuldest du mir jetzt ein Essen mit meinen Eltern.".

Wie Rome und JuliaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt