Vielleicht vier oder fünf Stunden Schlaf, mehr hatte ich nicht bekommen. Es hatte schon ewig gebraucht, bis ich überhaupt eingeschlafen war. Von links nach rechts hatte ich mich gerollt, an die Decke gestarrt, mich wieder auf den Bauch gedreht, das Kissen aufgeschüttelt, die Bettdecke zurecht gezupft und dann alles noch einmal von vorne. Mich hatte es überrascht, dass Jensen überhaupt neben mir schlafen konnte. Aber er schien von meinen Einschlafproblemen nichts mitbekommen zu haben. Er hatte friedlich neben mir gelegen und ab und zu leise geschnarcht.
In meinem Kopf kreisten meine Sorgen über das Essen mit Jensens Eltern. Nicht nur in der Nacht. Auch als ich nach meinen wenigen Stunden Schlaf erwachte, verstummten die Stimmen in meinem Kopf nicht.
Es musste etwa halb sieben sein. Und das an einem Sonntag! Normalerweise galt für jeden Sonntag, dass man mindestens bis zehn Uhr ausschlief, sich dann in die bequemste Jogginghose warf und den freien Tag auf der Couch verbrachte. Nicht so diesen Sonntag.
Während Jensen noch tief und fest schlief, suchte ich mir meine besten Klamotten heraus. Eine schöne, weiße Bluse, und eine schwarze Jeans. Ich nahm mir vor beides mit schwarzen High Heels zu kombinieren. Doch erst einmal wusch ich mir die Müdigkeit vom Körper und gönnte mir eine heiße Dusche.
Ich hatte mich fertig angezogen, meine Haare geföhnt, geglättet und hochgesteckt und zum Schluss etwas Make-Up aufgetragen, als sich die Badezimmertür öffnete und ein verschlafener Jensen hineintrat. Wegen der hellen Badezimmerbeleuchtung kniff er die Augen zusammen. Seine Haare waren zerzaust und er trug lediglich eine schwarze Boxershort.
„Was bist du denn schon so früh auf?", murmelte er schlaftrunken und fuhr sich mit beiden Händen über sein Gesicht.
„Ich konnte nicht schlafen.", meinte ich.
Der Schauspieler stöhnte und fuhr sich durch den leichten Bart. „Machst du dir immer noch Gedanken wegen nachher?", fragte er, während er seine Boxershorts auszog und unter die Dusche stieg.
Als Antwort nickte ich bloß und sah ihm nach. Gerne wäre ich ihm gefolgt, doch ich wollte mir mein Styling nicht versauen. Ich hörte wie er das Wasser aufdrehte und den milchigen Duschvorhang zuzog.
„Sei einfach ganz locker.", sagte er, doch seine Worte gingen fast im Rauschen des Wassers unter. „Du hast gar keinen Grund dir Sorgen zu machen.".Ich war zu nervös, um Auto zu fahren. Wahrscheinlich hätte ich noch einen Unfall gebaut. Deshalb hatte Jensen angeboten uns zu seinen Eltern zu fahren. Dieser Mann fuhr sicherer, als ich und die meisten, bei denen ich mitgefahren war. Man fühlte sich wohl als Beifahrer und hätte einfach während der Fahrt einschlafen können. Doch ich war viel zu aufgeregt.
Zum hundersten Mal strich ich den Stoff meiner Hose und meiner Bluse glatt, zupfte einige Fussel vom Stoff, prüfte mein Make-Up im Spiegel und prüfte, ob die Haarklammern noch saßen. Dann trommelte ich mit meinen Fingernägeln auf meinem Schoß herum und blickte beinahe hektisch nach draußen und beobachtete, wie die Welt an mir vorbeizog.
Jensen lächelte nur darüber. Er hatte aufgegeben und versuchte gar nicht mehr mich zu ermutigen und zu beruhigen. Ab und zu, wenn wir an einer Ampel hielten, legte er seine Hand auf mein Knie und drückte leicht zu. Sein sanfter Blick sprach wohl Bände.
Ja, ich wusste, dass ich mir zu viele Gedanken machte. Entweder sie würden mich mögen oder nicht. Alles was ich tun musste war, ich selbst zu sein. Das tollpatschige, nervöse, schüchterne Ding vom Lande... super.
Als Jensen in einen kleinen Kiesweg einbog, der zu einem riesigen eisernen Tor führte, wäre ich am liebsten aus dem Auto gesprungen. Das Anwesen war überdimensional. Hinter dem Tor lag zunächst ein blumenreicher Vorgarten. Sogar ein großer Brunnen stand auf dem perfekt-geschnittenen Grün. Hecken waren gestutzt, bunte Blumen bildeten ein prächtiges Farbenmeer. Aber das Schlimmste war das weiße Haus. Nein, es war kein Haus. Es war eine Villa, ja fast ein Schloss! Ich durfte mir gar nicht vorstellen wie luxuriös es wohl im Inneren aussehen mochte. Oder wie viel es gekostet hatte... Da war die halbe Million, die Jensen für Dustins Haus ausgegeben hatte, wohl bloß unnötiges Kleingeld!
Neben dem Eisentor war eine Sprechanlage angebracht worden. Jensen drückte auf den kleinen, weißen Knopf.
„Ja, bitte?", kam eine dunkle Männerstimme aus dem metallischen Kasten.
„Ich bin's, Francis.", erklärte Jensen mit einem strahlenden Lächeln, während er locker seinen Arm aus dem Autofenster lehnte.
„Ah, Mr. Ackles. Man erwartet Sie schon.", meinte die Stimme.
Indem öffnete sich das Tor und Jensen beförderte den Wagen in Richtung Villa. Ich sah, dass ein älterer Mann im schwarz-weißen Anzug aus der Tür trat und mit gerader Haltung die Ankunft des Wagens erwartete.
„Wer ist das?", fragte ich und hoffte, dass es nicht sein Vater war.
„Unser Butler.", erklärte Jensen und hielt direkt neben der weißen Mamortreppe an, die zur Eingangstür. Der Mann blieb oben an der Haustür stehen und verschränkte seine Hände hinter dem Rücken.
Butler?... Ich überlegte mir schier hundert Dinge, die ich tun könnte, um das Treffen mit seinen Eltern zu verhindern. In meinen Gedanken sprang ich aus dem fahrenden Auto, rollte mich ab und sprintete zum Tor, ehe es sich wieder von alleine schloss. Eine zweite Möglichkeit war, so schnell wie möglich in den Brunnen zu springen und so lange unter Wasser zu bleiben, bis ich ertrank. Oder aber ich täuschte lediglich einen Herzanfall vor.
Ich hatte gerade alle Möglichkeiten in meinem Kopf durchgespielt, als Jensen mir plötzlich die Beifahrertür öffnete. Oh, ich hatte gar nicht mitbekommen wie er den Motor abgestellt und selbst ausgestiegen war. Etwas verwirrt blinzelte ich und stieg nach einer scheinbaren Ewigkeit aus. Jensen schloss die Autotür und legte dann seine Hand um meine Hüfte. Scheinbar hatte er Angst, ich könnte fliehen. Mit einem Lächeln schob er mich die Treppe hoch.
„Alles okay?", flüsterte er so leise, dass nur ich es hören konnte und drückte mich noch etwas enger an sich, sodass ich seinen wärmenden Körper an meiner linken Seite spüren konnte. Es hatte es beruhigendes an sich. Aber vollkommen beruhigen tat es mich nicht.
Ich spürte wie mein Herz gegen meine Brust schlug. Ich hörte wie mein Blut in meinen Ohren rauschte. Ich merkte wie mir Angstschweiß auf der Stirn stand. Und ich fürchtete, ich würde jeden Moment in Ohnmacht fallen.
„Willkommen zurück, Mr. Ackles.", begrüßte Francis – der Butler – Jensen mit einem breiten Lächeln. Er sah aus, wie man sich so einen Butler eben vorstellte. Grau-weiße, kurze Haare, ein faltiges, rundes Gesicht und eine gerade, spitze Harkennase.
„Sie sollen mich doch Jensen nennen, Francis.", erklärte Jensen, scheinbar zum tausendsten Mal. Als wir dann vor ihm standen, löste sich der Schauspieler kurzzeitig von mir, um den alten Mann in eine herzliche Umarmung zu ziehen. Gleich nach ihrer familiären Begrüßung wandte sich der Schauspieler wieder an mich und legte erneut seine Hand auf meine Hüfte. „Francis, das ist Ophelia Winchester.".
Der Butler lächelte mich freundlich an. Er war etwas kleiner als Jensen, doch ich fühlte mich trotzdem wie ein Zwerg im Vergleich zu ihm. Francis streckte seine Hand aus, die in einem weißen Handschuh steckte. Mit einem Grinsen schüttelte ich seine Hand. Ich wusste nicht ganz recht, was ich sagen sollte, also entschied ich mich für ein knappes "Hallo".
„Mr. Ackles hat viel von Ihnen erzählt, Miss Winchester.", erklärte Francis.
„Ach.", machte ich mit unsicherer Stimme. „Hat er das?". Ich blickte zu dem Schauspieler hinauf, der seine Lippen aufeinanderpresste und meinen Blick gekonnt auswich.
„Sind meine Eltern so weit?", lenkte der Schauspieler ab und deutete mit dem Kinn ins Innere der Villa.
Francis nickte und trat beiseite. „Oh ja.", meinte er und deutete mit der flachen Hand hineinzugehen. „Sie erwarten sie beide bereits im Wintergarten.".
Indem schob mich Jensen ins Innere hinein, wich aber nicht von meiner Seite. Ich hörte wie Francis hinter uns die Eingangstür schloss. Meine Augen waren aber auf den verzierten Wänden gerichtet. Überall hingen Porträts und Familienfotos. An den Seiten standen einige weiße Porzellanstatuen. Die Decke war mit bunten Malereien verziert worden. Es war zwar bloß die Vorhalle, doch schon jetzt hätte ich am liebsten wieder umgedreht. So viel Luxus war viel zu viel! Wie konnte man sich das bloß alles leisten?
Als wir durch die helle Vorhalle gingen, hörte man jeden Schritt, den man auf dem weißen Marmorboden tat. Francis, der uns inzwischen überholt hatte und zielsicher nach links in einen weiteren riesigen Raum einbog, führte uns zum Wintergarten. Wir mussten durch das Wohnzimmer hindurchgehen, das ähnlich eindrucksvoll war, wie die Vorhalle. Der Raum war größer als meine gesamte Wohnung! Vielleicht sogar doppelt so groß! Bücherregale standen an den Wänden. Allerhand Sitzmöglichkeiten boten sich durch die übergroße Wohnlandschaft, die zu den athrazitfarbenen Tapeten passte. Dahinter stand ein schwarzer, glänzender Flügel. Der dunkle, gemusterte Teppich unter unseren Füßen reichte von dem Flügel bis hin zu dem marmorierten Esstisch, in dem hintersten Teil des Raums.
Und direkt hinter dem Wohnzimmer sah ich den Wintergarten. Es war ein halboffener Raum. Man konnte von ihm in den riesigen Garten gehen, auf den man – durch die riesigen Fenster – problemlos blicken konnte. Der Garten war größer als ein Fußballfeld. Vielleicht sogar größer als zwei Fußballfelder! Wie bei dem Vorgarten waren die Hecken – die sich rings um den Garten befanden – gepflegt und gestutzt. Ebenso wie der Rasen. Weit hinten erkannte ich einen Teich, in dem wahrscheinlich einige bunte Fische schwammen.
Jensens Eltern saßen bereits an dem gedeckten Esstisch und schienen ungeduldig auf uns zu warten. Meine Nervosität hatte sich ums zehnfache gesteigert. Das hatte auch Jensen bemerkt, der mich in Richtung des Wintergartens schob und mir kurz aufmunternd über den Rücken streichelte.
„Keine Angst.", flüsterte er leise, als er sich zu mir heruntergebeugt hatte und drückte mir dann einen flüchtigen Kuss auf die Schläfe. Indem hatten seine Eltern uns bemerkt.
Unsicher blieb ich in der Tür stehen, während Jensen mit großen Schritten auf seine Eltern zuging, die gleich von den weißen Stühlen aufstanden und ihn herzlichst begrüßten. Jensens Vater zog seinen Sohn in eine Bärenumarmung und klopfte ihm einmal auf seinen Rücken. Seine Mutter nahm sein Gesicht in ihre Hände und drückte ihm einen Kuss auf seine Wange. Daraufhin drehte sich der junge Schauspieler zu mir um und streckte seine Hand nach mir aus.
„Mum, Dad.", meinte Jensen und legte seine Hand auf meinen Rücken, als ich mit zögerlichen Schritten nähertrat. „Das ist Ophelia.", stellte er mich vor und blickte zu mir hinunter. Wie stolz er war. Wie seine Augen glitzerten, als wäre ich das schönste Ding auf dieser Welt.
Als erstes begrüßte ich seine Mutter, die sich als "Donna Ackles" vorstellte. Sie war klein und zierlich, hatte blonde, schulterlange Haare und blaue Augen. Ich wusste nicht wieso, doch etwas in ihrem Blick sagte mir, dass sie ganz und gar nicht von mir begeistert war. Na ja... immerhin war ich mit ihrem jüngsten Sohn zusammen.
Dann wandte ich mich an Alan Ackles. Jensen war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Ich erkannte, dass seine grünen, großen Augen und die gerade Nase eindeutig von seinem Vater stammten. Außerdem waren sie etwa gleich groß. Ich war mir sicher, dass Mr. Ackles grauen, kurzen Haare einst dunkelblond gewesen waren, wie bei Jensen. Der Blick seines Vaters war nicht ganz so kühl wie der seiner Mutter, aber trotzdem fühlte ich mich nicht wohl dabei, als ich mich neben Jensen setzte. Seine Mutter saß direkt gegenüber von mir, ihr Ehemann daneben.
„Soll ich die Speisen servieren?", fragte Francis Mrs. Ackles, die zustimmend nickte. Dann wandte sie sich an mich.
„So, Ophelia.", setzte sie an. „Was machen Sie beruflich?".
„Ich arbeite in einer Buchhandlung.", erklärte ich. Das war wohl so eine Frage, die man bei dem Einstieg in eine Konversation stellte.
„Ich glaube, das hatte Jensen erzählt.", meinte Alan Ackles. „Im Logo's Bookstore, nicht?".
Zustimmend nickte ich.
„War das nicht der Laden, der Pleite gegangen ist?", fragte Mrs. Ackles. Ihre Stimme klang hochnäsig, etwas schnippisch.
„Mum.", knurrte Jensen leise. Er merkte auch, dass seine Mutter mich scheinbar nicht sonderlich leiden konnte.
„Ähm, ja, das stimmt.", meinte ich. „Doch ein Bekannter von meinem ehemaligen Chef hat den Laden dann übernommen. Und jetzt läuft er besser denn je.".
„Aha.", kommentierte Mrs. Ackles nur.
„Mum liebt Bücher.", erklärte mir Jensen und legte mir, unter dem Tisch, unauffällig seine Hand auf meinen Oberschenkel. „Aber das wirst du ja wahrscheinlich gerade schon gesehen haben.". Er deutete also auf die vielen Bücherregale im Wohnzimmer hin.
„Ja.", stimmte ich zu und nickte. „Was für Romane, bzw. Bücher, interessieren Sie denn, Mrs. Ackles?", fragte ich und versuchte interessiert zu wirken. Eigentlich hatte ich meine Frage bloß aus Höflichkeitsgründen gestellt.
„Historische Romane.", erklärte die Blonde knapp.
„Oh, wir haben ein paar wundervolle Historienromane anzubieten.", schwärmte ich. Es war die Wahrheit. „Sie sind sogar im Sonderangebot.", fügte ich hinzu, doch ich war mir sicher, dass der Preis bei diesen Leuten keine Rolle spielte.
„Danke, aber ich gehe lieber in einen Laden, der meinen Ansprüchen entspricht.", war die trockene Antwort darauf.
Ich schluckte. Wow, sie hasste mich. Sie hasste mich wirklich. Und all das nur, weil ich nicht so wohlhabend war wie die Ackles Familie. Es war schon deprimierend zu wissen, dass ich nicht genug war und nie genug sein würde.
Indem rettete mich Francis, als er mit einem kleinen, silbernen Servierwagen in den Wintergarten kam. Ich schielte auf die vier Teller. Salat wurde in kleinen Schüsseln zu dem eigentlichen Hauptgericht gereicht. Ich würde also schon einmal nicht verhungern. Das was sich allerdings auf dem Teller befand, erweckte die Skepsis in mir.
Francis holte eine Flasche Rotwein hervor und goss erst Mrs. Ackles, dann Mr. Ackles ein. Als er den Wein in Jensens Glas schütten wollte, schob der Schauspieler seine Hand zwischen Glas und Flasche.
„Für mich nicht, Francis. Ich muss fahren.", sagte er knapp, lächelte aber freundlich.
Der Butler wandte sich dann an mich. „Für Sie, Ophelia?".
Ich nickte. Alkohol war mir mehr als willkommen! Am liebsten hätte er mir gleich die ganze Flasche hinstellen können und ich hätte sie mit einem Satz leer getrunken. Doch ich hielt mich im Zaum und trank bloß einen Minischluck. Daraufhin stellte Francis uns das Hauptgericht auf den Tisch. Neugierig spähte ich auf den weißen Porzellanteller, auf dem sich ein Filet Medaillon befand. Dazu gab es braunen Reis und etwas, was ich nicht identifizieren konnte.
„Ich wünsche guten Appetit.", meinte Francis und zog sich dann zurück.
Er hatte mich völlig aus den Gedanken gerissen. Die kleinen, schwarzen Kugeln kamen mir bekannt vor, doch ich wusste zunächst nicht, wohin ich sie einordnen sollte. Zunächst aß ich das Filet und tunkte die mundgerechten Stücke in die dunkelbraune Soße. Es schmeckte göttlich!
„Schmeckt es Ihnen, Ophelia?", fragte Mr. Ackles nach einiger Zeit und schob sich ein Stück Fleisch zwischen die Zähne.
Ich nickte und schluckte den Bissen herunter, ehe ich sprach. „Ja, danke.", erwiderte ich. „Das Fleisch ist köstlich.".
„Vom besten Metzger in ganz Texas.", fügte Mrs. Ackles hinzu.
Wieder nickte ich bloß. Was hätte ich auch dazu sagen können? Als ich zu Jensen sah bemerkte ich, wie mürrisch er war. Ihm gefiel wohl nicht wie seine Eltern, insbesondere seine Mutter, mit mir umging. Sein kalter Blick traf seine Mutter, ehe er bemerkte, dass ich ihn ansah. Augenblicklich wurden seine Gesichtszüge weicher. Er lächelte leicht, beugte sich dann zu mir hinunter und drückte mir einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Das sollte wohl so viel bedeuten wie: "Halte durch!".
Als wir uns voneinander lösten, bemerkte ich, wie Mrs. Ackles unseren Kuss mit eiskaltem Blick beobachtet hatte. Mir lief regelrecht ein Schauer über den Rücken. Schnell wandte ich mich wieder meinem Teller zu. Ich hatte den Reis bereits gegessen und stocherte bloß in dem Haufen schwarzer Kügelchen herum. Es kam mir so bekannt vor. Doch ich kam nicht darauf, was vor mir auf dem Teller lag.
Zögerlich nahm ich ein wenig der schwarzen Kugeln auf meine Gabel und schob sie mir widerwillig zwischen die Zähne. Es schmeckte salzig und fischig.
„Schmeckt Ihnen der Texas Caviar, Ophelia?".
CAVIAR!... Das war es gewesen!
Es schmeckte nicht schlecht, doch der Gedanke Fischeier in meinem Mund zu haben, ließ mir übel werden. Als Antwort nickte ich nur. Kauen konnte ich nicht. Auch nicht schlucken. Nichts sehnlicher hatte ich mir gewünscht, als dass jetzt ein Eimer neben mir gestanden hätte. Aber so war es nicht. Ich hatte immer noch diese salzigen Kugeln auf meiner Zunge, die sich jetzt ekelig glitschig anfühlten.
„Alles okay?", hörte ich Jensen neben mir besorgt fragen und spürte seine Hand auf meinem Knie.
Ich nickte. Wahrscheinlich war ich grün im Gesicht.
„Sie sehen blass aus.", kommentierte Mrs. Ackles das Ganze. In ihrer Stimme lag etwas Schadenfreude.
Am liebsten wäre ich ihr an die Kehle gesprungen. Doch stattdessen riss ich die Serviette an mich und spuckte die schwarzen Fischeier in das Stofftuch hinein. Dann griff ich nach dem Rotweinglas und trank zwei kräftige Schlucke. Ich trank zu gierig, verschluckte mich und hustete.
Sanft klopfte mir Jensen auf meinen Rücken bis der Hustenanfall verebbte.
Die Serviette legte ich neben den restlichen Eiern auf den Teller. Als ich jedoch das Rotweinglas wieder auf den Tisch stellen wollte, rutschte es mir aus der Hand und kippte um. Alles schien in Zeitlupe zu verlaufen. Der Rotwein schwappte über den Tisch und landete genau auf dem weißen Etuikleid von Donna Ackles!
Entsetzt sprang die Blondine vom Stuhl und blickte mit riesigen Augen an sich hinunter. Der Fleck war riesig und nicht zu übersehen!
„Das ist ein Valentino!", stieß sie spitz aus und versuchte hektisch den Fleck mit ihre Serviette abzuwischen, wobei ihr Kopf hochrot anlief. Aber nicht nur ihrer.
Ich schämte mich. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken. Aber da dies nicht ging, musste Plan B her. Blitzartig sprang ich auf und eilte zum Ausgang! Ich rannte durch das Wohnzimmer, in die Vorhalle hinein!
„PHIE!", ertönte Jensens Stimme hinter mir. Er rannte mir nach, das konnte ich hören, als ich durch die Halle eilte.
Ruckartig riss ich die Eingangstür auf.
„PHIE!", rief mich Jensen erneut. „PHIE, WARTE!".
Mein Blick war auf meinen Wagen gerichtet. Ich musste hier weg! Sofort! Nicht ein einziges Mal hätte ich dem Ackles-Ehepaar in die Augen blicken können! Nicht nachdem, was passiert war!
Ich stürmte die Treppe hinunter, so schnell, dass ich beinahe gestolpert wäre! Aber ich kam sicher unten an. Ich eilte weiter zum Auto und stürmte zur Fahrerseite. Als ich die Tür aufmachen wollte, merkte ich, dass sie verschlossen war. Jensen hatte den Autoschlüssel! Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und schlug einmal leicht gegen die Tür. Dann wollte ich zurück gehen und mir von Jensen den Autoschlüssel holen. So drehte ich mich um und wäre beinahe mit dem Schauspieler zusammengestoßen.
Kurz sahen wir uns in die Augen.
„Es tut mir leid, Phie.", meinte er entschuldigt und sah mich mit flehenden Welpenaugen an.
„Was tut dir denn schon leid?", fragte ich. Ich war kurz davor zu weinen. „Du hast das doch nicht vermasselt.".
Jensen biss sich auf die Unterlippe und verzog verärgert das Gesicht. Aber er war nicht auf mich sauer, sondern auf sich selbst. „Ich hätte dich vorwarnen sollen.", meinte er. „Ich hätte dir sagen sollen, dass meine Eltern... etwas speziell sind.".
Geisteskrank trifft es eher, dachte ich, doch ich hielt meinen Mund.
„Komm' wieder mit rein.", bat er und deutete mit dem Daumen Richtung Villa. Er wollte nach meiner Hand greifen, doch ich entzog mich ihm und machte stattdessen einen Schritt zurück. Daraufhin blickte mich der Schauspieler an, als hätte ich ihn gerade geschlagen.
„Ich denke, das ist keine gute Idee.", meinte ich.
Jensen blinzelte. „Ach, das Kleid war eh hässlich und außerdem hat sie hundert von diesen Kleidern. Mach dir keine Sorgen.", winkte er ab und wollte erneut nach meiner Hand greifen. Wieder wich ich zurück.
„Das ist es nicht.", seufzte ich. „Sie hassen mich! Sie hassen mich, weil ich nicht so wohlhabend bin wie sie! Sie werden mich nie mögen! Und sie werden mich auch nie akzeptieren!".
Jensen schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Das müssen sie auch nicht.", widersprach er. „Was kümmert es uns, was meine Eltern sagen?".
Jetzt war ich es, die mit dem Kopf schüttelte. War er wirklich so verliebt, dass er es nicht sah? „Jensen.", hauchte ich. „Ich wusste es schon von Anfang an.", erklärte ich und wollte augenblicklich weinen. „Ich wusste es, wollte es mir aber nicht eingestehen.".
Verwirrt verzog der Schauspieler das Gesicht. „Eingestehen? Wovon redest du?".
„Dass wir nicht zueinander passen!", rief ich aus.
Es schien als hätte Jensen einen Schlag bekommen. Er machte einen winzigen Schritt zurück. Hart schluckte er. Dann schüttelte er wieder leicht mit dem Kopf. „Heißt... heißt das, du machst Schluss mit mir?".
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Wie Rome und Julia
Fanfiction„Weißt du.", sagte er mit zitternder Stimme, die verriet, dass er jeden Augenblick in Tränen hätte ausbrechen können. „Ich dachte, das mit uns wäre etwas besonderes. Ich dachte wirklich, wir hätten eine Zukunft... Wir zwei, in Dustins Haus... mit ei...