Kapitel 1: Der Fremde

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Wütend ließ er das Schloss seines Schulspindes zuschnappen.
Von wegen, in der High school würde alles anders werden!

Zunächst hatte Vali gehofft, die Erzieher im Waisenheim hätten Recht gehabt, doch schon nach wenigen Tagen wurde ihm klar, dass er die Kinder auf dieser Schule genauso verachtete wie die auf seiner letzten.

Müde lehnte er die Stirn gegen das kühle Metall des Spindes, versuchte, seine angefressen Nerven zu beruhigen.
All die Eindrücke einer Schule:
Die kreischenden Kids, quietschenden Sohlen der Turnschuhe, das Öffnen und Schließen der Spinde, die Stickige Luft... Das war einfach zu viel.
Erneut fing sich alles zu drehen an und der Junge ließ sich langsam zu Boden sinken.
Er kauerte auf dem Boden und vergrub das Gesicht in den Händen:
Wie er Menschen doch hasste.

Er fuhr aus seiner Erstarrung hoch, als ihn jemand auf die Schulter tippte.

Ein blonder Junge mit blasser Haut und dunkelbraunen Augen hatte sich zu ihm hinuntergebeugt und musterte ihn besorgt.
Er war ziemlich groß und musste einige Jahre älter sein als Vali.

"Hey Mann. Alles klar?", fragte er und blinzelte ihn freundlich an.

Na gut, vielleicht waren nicht alle Menschen so furchtbar schrecklich, dachte Vali. Aber viele Menschen auf einen Fleck waren kaum auszuhalten.

"ähm, ja ja. Ich hab nur etwas Kopfschmerzen. ", stammelte Vali und rutschte ein Stück zur Seite, damit der Fremde an seinen Spind kam.

Der blonde Junge kramte in dem Schrank herum, bis er eine Menge naturwissenschaftliche Bücher herausgeholt hatte, schloss den Spind erneut und klemmte sie sich unter den Arm.
Vali beobachtete ihn:
Der Junge wirkte freundlich, doch viel mehr war nicht über ihn herauszubekommen.
Naja, man konnte auch noch sagen, dass der Ältere sehr gut auf seine Bücher aufpasst, denn diese sahen extrem ordentlich aus und er hielt sie so vorsichtig, als ob sie einen ernsthaften Wert für ihn hätten.

Valis Bücher waren zerfleddert und mindestens ein Eselsohr gab es pro Seite auch.
Die Erzieher ermöglichten ihm zwar die Schule, doch überall wo man sparen konnte, wurde auch gespart.
Die Bücher hatten sie bei Rebuy erstanden.

"Sicher, dass es dir gut geht?", riss der Junge Vali aus den Gedanken.

Vali stand schwankend auf und nickte:"Ja, alles gut. Hör mal... Würde es dir was ausmachen wenn du mich in nächster Zeit etwas... Rumführst? Ich kenne hier noch kaum jemanden und-"

Irritiert starrte der Junge ihn an, dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus:"Ach, ich hätte nicht gedacht, dass du noch Freshman bist! Du siehst älter aus als du bist."

"Und...?", hakte Vali nach.

"Ich- ähm. Klar, kann ich machen."

Die Glocke schellte und der andere Junge wirkte plötzlich etwas in Eile.

"Na dann, ähm, ich kenne deinen Namen nicht einmal. Also äh..."

Er schüttelte Vali kurz die Hand:"Ich bin Micheal. Kannst mich aber auch Mike nennen."

Vali grinste:"Micheal finde ich besser. Vali."

Micheal hob eine Augenbraue und lachte:"Gesundheit?"

"Das ist mein Name."

Der nicht mehr ganz so fremde zwinkerte Vali zu:"Weiß ich doch. Lass dich nicht unterkriegen, Kleiner."

Und genauso plötzlich wie er Erschienen war, verschwand der Blonde Lockenkopf auch schon wieder.

*****

Als Vali einige Zeit später zu Fuß durch den Park zum Kinderheim zurücktrottete, fühlte er sich plötzlich beobachtet.
Er hatte dieses Stechen im Nacken und die feinen Härchen dort stellten sich auf.
Er senkte den Kopf, zog sich die Kapuze seines Pullis tiefer in die Stirn und ging schneller.
Mitten auf dem Weg blieb er plötzlich stehen, hob die Arme zur Abwehr bereit und fuhr herum.

Adrenalin kochte in seinen Adern, doch er schien sich umsonst Sorgen gemacht zu haben: in seiner näheren Umgebung war niemand.

Erleichtert atmete er aus (wann hatte er überhaupt die Luft angehalten?) und setzte schon zum Weitergehen an, da fiel sein Blick auf eine Gestalt, die etwas entfernt neben dem Licht einer Straßenlaterne stand und ihn zu beobachten schien.

Sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht.

Er kniff die Augen zusammen und versuchte, das Gesicht der Person auszumachen, doch dadurch, dass diese direkt neben dem Lichtkegel stand lag ihr Gesicht natürlich total im Schatten.
Alles was Vali erkennen konnte war, dass die Person männlich war, längere Haare hatte und einen Bodenlangen Trenchcoat trug.

Obwohl er die Augen der Person unmöglich sehen konnte, war er sich sicher, dass diese ihn direkt anstarrte.
Ein Kalter Schauer lief ihm das Rückgrat hinab und er fragte sich, ob er wohl lieber laufen sollte. Wegrennen. Die Flucht ergreifen.

Das Waisenhaus war nicht mehr weit entfernt und vor dem Fremden würde er auch in Sicherheit sein, sobald er diesen verdammten Park verlassen hatte.

Zu oft hörte man doch in den Nachrichten, dass Waisenkinder verschleppt oder sogar ermordet wurden...

Doch Valis Sorgen blieben unbestätigt, denn der Fremde drehte sich lediglich um und verschwand mit wehendem Trenchcoat in dem kleinen Wäldchen, durch das Vali eben auch gegangen war.

Schnell drehte auch Vali sich um und lief schnellen Schrittes durch den Park in den zerfallenen Stadtteil, in dem sich das kleine Waisenhaus befand.

Er hatte kaum die Klingel gedrückt, da wurde auch schon die Türe aufgerissen und er wurde hereingezogen.

"Wo in dreiteufelsnamen warst du so lange?!", fragte ihn Clarissa aufgebracht.

Clarissa war eine der wenigen Erzieherinnen, die die Waisen tatsächlich ins Herz schloss und Vali mochte sie eigentlich auch ziemlich gern.
Sie machte sich nur viel zu viele Sorgen.

"Ich hab den Bus verpasst und hab durch den Park abgekürzt.", knurrte der Junge genervt.

Clarissa seufzte:
"Na gut. Du hast das Abendessen verpasst, aber ich habe dir etwas aufgehoben. Kommst du auch runter in die Küche? Es gibt da noch etwas, was ich mit dir besprechen muss."

Irritiert runzelte Vali die Stirn, nickte aber dennoch.
Als er die knarzenden Treppen hinauf zu Flur 5 a lief und seine Schulsachen in sein Zimmer verfrachtete.
Alles was er tat kam ihm unwirklich vor, denn ihm ging der fremde Mann nicht mehr aus dem Kopf.
Hatte der Typ ihn Tatsächlich beobachtet?
Und wie kam es, dass Vali seine Anwesenheit schon bemerkt hatte, bevor er ihn überhaupt sah?
So etwas passierte vielleicht in irgendwelchen Fantasy-Romanen aber sicher nicht im echten Leben!
Das war alles einfach nur unglaublich merkwürdig und surreal.

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Kapitel no 1. Eheheh🤣😊
Der Name Vali stammt übrigens tatsächlich aus der nordischen Mythologie aus der auch Loki hervorgeht... Dort ist Vali ebenfalls eines von Lokis Kindern😌

Lokison- WolfheartedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt