Vali trottete die Treppen zum Untergeschoss herunter und betrat, gespannt auf Clarissas Neuigkeiten, die Küche.
Die Erzieherin saß bereits am Tisch und wendete einen kleinen, grünen Brief hin und her, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt.
Leise trat der Junge näher heran und räusperte sich. Clarissa ließ ertappt den Umschlag sinken und blickte ihn, immer noch stirnrunzelnd, an."Der ist für dich.", meinte sie schließlich leise und schob den Brief in Valis Richtung über den Tisch.
Vali setzte sich und nahm das Schreiben in die Hand.
Der Umschlag war Tannengrün und vorne stand in geschwungenen Buchstaben die Adresse des Waisenhauses und Valis Name geschrieben.Er fuhr über die Schrift, welche aus Blattgold zu bestehen schien, denn sie hob sich etwas von dem Papier ab.
Vali öffnete den Brief behutsam und
las schweigend, was in ihm stand. Clarissa rückte näher an ihn heran und las über seine Schulter mit und eigentlich hätte er damit auch kein Problem, doch das, was in dem Brief stand, schien nur für seine Augen gemacht zu sein.
Er konnte den Inhalt jedoch unmöglich vor der Erzieherin verbergen, schließlich war es ihr gutes Recht mitzubekommen, wer einem Waisenkind so einen mysteriösen Brief schickte.Vali,
Stand in dem Brief geschrieben, kein "Lieber Vali" oder "sehr geehrter Vali", was ihn nun schon stutzen ließ.
Ich verfolge jeden deiner Schritte, doch letzten Endes musst du deinen Weg alleine gehen.
Ich achte darauf, dass es dir gut ergeht aber ich werde nicht immer eingreifen können.
Du bist nicht allein.Gez. XXXX
Was zur Hölle sollte das bedeuten?!
OK, versuchte sich Vali innerlich zu beruhigen: was wissen wir denn über den Schreiber?
Er versucht anonym zu bleiben und spricht Vali weder vertraut, noch mit Abstand an, also möchte er versuchen, ihre Beziehung neutral zu halten.
"Ich verfolge jeden deiner Schritte" klang zwar unterschwellig wie eine Drohung, doch das Versprechen "immer für ihn da zu sein", im nächsten Satz schwächte dieses etwas ab.
Die Person musste aus Valis Umfeld kommen und doch hatte er anscheinend noch nie Kontakt mit ihr gehabt...Dieser Brief war einfach nur komisch.
Jemand der ihn beobachte...
Jemand der in seiner Nähe war und eingreifen konnte, den er selbst aber noch nie zu Gesicht bekommen hatte...Der Unbekannte!
Vali faltete den Brief mit zitternden Händen zusammen und steckte ihn zurück in den Umschlag.
Das könnte tatsächlich sein.
Vielleicht war der Unbekannte deswegen im Park gewesen, weil er den Brief selbst zum Waisenhaus gebracht hatte!
Vielleicht hatte Vali ihn deswegen das erste Mal wahrgenommen!
Der Fremde war anscheinend immer schon in seiner Nähe gewesen, aber hatte Wert darauf gelegt, dass der Junge ihn bloß nicht bemerken würde, doch heute war ihm ein Fehler passiert."Vali Schätzchen?", sagte Clarissa und riss ihn somit aus seinen sich überschlagenden Gedanken.
"Hm?", machte er und fuhr sich durch die Haare:
Was sollte er ihr nun bloß für eine Geschichte auftischen?
Das zwischen ihm und dem Unbekannten im Trenchcoat sollte seine Sache bleiben, so gern er Clarissa auch hatte: aus dieser Angelegenheit sollte sie sich bloß raushalten."Ganz schön merkwürdig dieser Brief. Der ist nicht mit der Post gekommen, ist dir das aufgefallen?", hakte sie nach und beobachtete ihn nachdenklich.
Natürlich war es ihm aufgefallen.
Dieses winzig kleine Detail hatte in ihm erst die gesamte Throrie von dem Mann im Park ausgelöst:Es gab keine Spur von einer Briefmarke.
Er nickte langsam und versuchte angestrengt sich eine einfache Ausrede einfallen zu lassen.
Das konnte doch nicht so schwer sein..."Das klingt ja geradezu als würde dich jemand stalken, Vali! Hast du irgendwelche Probleme in der Schule?
Erpresst dich wer?", redete sie weiterhin auf ihn ein."Nein.", murmelte er und verbarg seine zitternden Hände in den Hosentaschen.
Er riss den Blick vom Brief los und grinste sie "glücklich" an:
"Weißt du, es ist nur so: ich habe gelogen. Ich habe wohl einen Freund auf der Schule. Sein Name ist Micheal und sein Humor ist etwas speziell."Sein Grinsen würde breiter, als er die Ausrede in seinem Kopf immer weiter spann.
"Siehst du.", sagte er und deutete auf die vier X:
"gezeichnet XXXX. M. I. K. E. Mike. Sein Spitzname. Und er hat den Brief bestimmt vorbeigebracht, weil ich ihn zwar gesagt habe wo das Waisenhaus ist, aber ihm nicht die genaue Adresse genannt hab. Damit es mysteriöser ist, hat er sie dann nachträglich draufgeschrieben, als er schon hier war, versteht sich."Er schüttelte lächelnd den Kopf:" Typisch Micheal. "
Clarissa wirkte noch nicht ganz überzeugt.
"Bist du auch ganz ehrlich? Oder hast du dir das gerade ausgedacht... "Er stand auf und steckte sich dabei schnell den Brief in die hintere Hosentasche.
Er schüttelte erneut den Kopf und legte Clarissa beruhigend die Hand auf den Arm:
"100 prozentig ehrlich! Mach dir keine Sorgen."Sie nickte und atmete erleichtert aus.
"Weißt du, Vali, in einem Moment hab ich sogar darüber nachgedacht die Polizei zu informieren. Man hört ja so einiges von irgendwelchen Pedophilen die es auf Waisenkinder abgesehen haben... Aber wenn du sagst es ist alles gut, dann glaube ich dir das."Langsam taten Vali die Wangen weh vom ganzen Lächeln und er fing allmählich an sich zu fragen, ob es die richtige Entscheidung gewesen war die Erzieherin anzulügen.
Er hatte nur irgendwie dieses Gefühl, dass diese Sache nur ihn etwas anging. Es gab da eine Verbindung zwischen ihm und dem Mann im Trenchcoat, das konnte er deutlich spüren!"Ich gehe ins Bett, ok?", fragte er und gähnte demonstrativ.
"Aber was ist denn mit dem Essen?", fragte Clarissa irritiert.
Ach ja. Aber Vali war immernoch schwindelig und er hatte seit der Begegnung mit dem Mann ein ganz seltsames Gefühl im Magen, auf keinen Fall könnte er heute auch noch irgendetwas essen!
"Ehm, weißt du Clarissa, Micheal hat mir was von seinem Lunch abgegeben. Ich habe gar keinen Hunger mehr..."
Langsam wurde Micheal zu einem echten Alibi...und die Lügen immer leichter. Wieso hatte er das nicht schon früher ausprobiert? Es hätte vieles einfacher gemacht...
"Bring ihn doch einmal mit hierher, diesen Micheal! Kannst ihn ja mal dein Zimmer zeigen und den anderen vorstellen.", schlug Clarissa vor.
Das hatte er befürchtet.
Ehrlich gesagt wollte er Micheal gar nicht zeigen, unter welchen Umständen er lebte beziehungsweise schon beinahe hauste..._____
Uuund Kapitel no. 2...yeiz❤️😁
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Lokison- Wolfhearted
Fantasia"Was bin ich?", fragte Vali Lokison mit heiserer Stimme: Er hatte am ganzen Körper angefangen zu zittern. Der andere antwortete nicht sofort. "Was sind WIR?!", knurrte er fassungslos und die raue, unmenschlich klingende Stimme jagte ihm einen kalten...