Drei

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„Sag' mal Annalena, würdest du mich auf eine Klassenfahrt begleiten. Ich brauche noch jemand der mitfährt?"

Ich schaue von den Klassenarbeiten auf, die ich gerade korrigiere. Ich war etwas in Gedanken und habe nicht gemerkt, wer gerade mit mir spricht, aber jetzt sehe ich es. Leslie. Sie steht an meinem Tisch und sieht mich fragend an. Ich kaue einen Moment lang auf dem Ende meines Stiftes herum und mache mir Gedanken darüber, wieso sie gerade mich fragt. Ich habe keine Ahnung.

„Wo geht es denn hin und mit welcher Klasse?", will ich wissen.

Im Laufe der Jahre habe ich gelernt nicht immer gleich zu allem ja zu sagen. Man sollte nicht sofort zustimmen, ohne überhaupt zu wissen, worum es geht. Die Details sind meist wichtig.

„Ich fahre mit der 9b nach London. Da du auch Englisch unterrichtest, dachte ich, dass ich dich als erstes frage", meint sie und lehnt sich ein wenig an den Tisch.

Sie ist mir so nahe, dass ich nur ein wenig nach rechts auf meinem Stuhl rücken müsste, damit wir uns berühren. Natürlich tue ich das nicht.

„Du hast wirklich zuerst an mich gedacht?", hake ich überrascht nach.

Na super, Annalena. Diese Frage ist total blöd. Nach ihrer Erklärung wäre es angebracht gewesen entweder ja oder nein zu sagen, aber doch nicht so etwas Dummes. Ich lege meinen Stift weg und schaue aus dem Fenster auf dem Schulhof.

„Das habe ich doch gerade gesagt", erwidert sie mit einem leisen Lachen. „Und?"

„Ähm...Könntest du mir mal das Datum geben, damit ich zuhause schauen kann, ob ich Zeit habe", bitte ich sie.

Ich möchte diese Sache nicht einfach entscheiden, ohne vorher mit Helen gesprochen zu haben. Ich bezweifele zwar, dass sie etwas dagegen hat, aber wir führen eine Beziehung und deswegen sollte ich mit ihr darüber sprechen. Außerdem brauche ich Bedenkzeit. Vor ein paar Jahren hätte ich diesem Vorschlag innerhalb von Sekunden zugestimmt, als ich noch total vernarrt in Leslie war und ihr hinterher getrauert habe, was total dämlich war, da wir ja nie etwas miteinander hatten.

„Klar, denk' erst nochmal darüber nach und sag mir dann Bescheid", sagt sie und legt ihre Hand auf meine Schulter.

Sofort spüre ich ein kribbeln in meinem ganzen Körper und wünsche mir insgeheim, dass sie ihre Hand für immer da lässt. Natürlich passiert das nicht.

„Werde ich", versichere ich ihr.

„Super", Leslie nimmt ihre Hand wieder weg und geht zurück an ihren Platz.

Es dauert einen Moment, bis ich wieder im hier und jetzt bin. Damit habe ich nicht gerechnet. Leslie spricht eigentlich kaum mit mir. Wir grüßen uns immer und wenn wir in einer Gruppe stehen, dann lächelt sie mich ab und zu an, aber mehr auch nicht. Sie ist einfach nett.

Ich korrigiere noch ein wenig weiter bis es klingelt und mache mich dann auf den Weg in meine nächste Stunde. Ich liebe den Kunstunterricht. Es gefällt mir zu beobachten, was die Schüler aufs Papier bringen und zu schauen, was für Ideen sie so haben.

Die meisten warten vor dem Kunstsaal und reden miteinander. Sobald ich auftauche, verstummen sie und warten, bis ich die Tür aufgeschlossen habe. Nach mir strömen sie nach und nach in den Saal und setzen sich auf ihre Plätze.

„Heuten machen wir da weiter, wo wir letztes Mal aufgehört haben", sage ich.

Sofort springen alle auf, um sich ihre Bilder zu holen, Farben, Stifte und Pinsel. Ich setze mich ans Pult und hole meinen Zeichenblock hervor. Leise arbeiten alle an ihren Bildern und ich an einer Zeichnung von Helen. Ich merke gar nicht, wie eine Schülerin neben mir steht.

„Entschuldigung, Frau Schiller?"

Ich sehe auf und schaue Mina Holler an. Sie spricht mich des Öfteren im Unterricht an. Wahrscheinlich hat sie nur wieder eine Frage, die ich schnell beantwortet habe.

„Oh Mina. Wie kann ich dir helfen?", frage ich sie.

Schnell lege ich das Klassenbuch auf meine Zeichnung, aber Mina hat sie gesehen. Wenigstens weiß sie nicht wer Helen ist. Ich sehe Mina an. Sie trägt ein Hemd, dass voller Farbkleckse ist und hat ihre langen schwarzen Haare in eine Dutt gebändigt. Sie ist größer als ich, was kein Kunstwerk ist. Die meisten Schüler sind größer als ich.

„Können Sie sich meine Zeichnung mal ansehen und mir sagen, wie sie sie finden?"

„Klar", sage ich.

Ich weiß jetzt schon, dass Mina's Bild herausragend ist. Sie ist eine richtige Künstlerin. Sie weiß welche Farben gut miteinander harmonieren, wie man Dinge am besten darstellt und sie zeichnet alles sehr genau und realistisch. Mina hat ein großes Talent.

Ich folge meiner Schülerin zu ihrem Platz, wo ein totales Chaos herrscht. Das Bild liegt in der Mitte des Tisches. Eine perfekte Zeichnung einer Katze. Ich bin beeindruckt. Da wird jemand seine nächste eins bekommen.

„Das ist der Wahnsinn, Mina. Ist das deine Katze?"

Ich habe den Schülern die Aufgabe gegeben, dass sie etwas zu Papier bringen sollen, dass ihnen etwas bedeutet. Etwas, das sie zum Lächeln bringt.

„Danke und ja. Das ist Emma", sagt sie mit einem breiten Lächeln auf den Lippen. „Sie sind übrigens auch sehr talentiert. Ich habe ihre Zeichnung gesehen."

„Danke, Mina", sage ich und gehe wieder nach vorne an mein Pult, da ich verhindern will, dass Mina fragen über meine Zeichnung stellt.

Meine Schüler geht mein Privatleben nichts an. Ich bin keiner der Lehrer, die mitten im Unterricht vom Thema abkommen und dann eine halbe Stunde lang über ihr Leben reden. Was ich in meiner Freizeit machen oder mit wem ich sie verbringe, geht hier niemand etwas an.

Kurz bevor es klingelt fordere ich alle dazu auf ihr Sachen weg zu räumen und Ihr Plätze sauber zu machen. Ich selbst betrachte meine Zeichnung von Helen. Sie ist noch nicht perfekt, aber ich habe meine Freundin ziemlich gut getroffen. Ihr verschmitztes Grinsen, die lockigen Haare, ihre süßen Grübchen und ihre perfekten Lippen. Schnell Klappe ich den Block zu, bevor jemand auffällt, wie verträumt ich mein Bild anstarre.

„Ich habe da noch eine Frage?", höre ich Mina's Stimme.

Die meisten anderen sind schon weg oder gerade dabei zu gehen. Ich verstaue mein Mäppchen in meiner Tasche und sehe Mina an.

„Wie kann ich dir helfen?"

„Wen haben sie da gezeichnet?", will sie wissen.

„Sorry Mina, aber das geht dich wirklich nichts an", sage ich und stehe auf.

Ich habe schon mit einer Frage dieser Art gerechnet. Mina ist unglaublich neugierig und stellt unheimlich viele Fragen. Das habe ich bin Marc auch schon gehört.

„Schade", meint sie und verlässt das Klassenzimmer.

Ich gehe ebenfalls nach draußen. Einen kurzen Abstecher im Lehrerzimmer erlaube ich mir noch, um ein paar Sachen in mein Fach zu legen. Die Klassenarbeiten werde ich morgen mit nachhause nehmen.

„Huch, du bist ja auch noch da, Annalena", meint Leslie, die beinahe in mich rein gelaufen wäre.

„Wollte noch ein paar Sachen holen", sage ich und schenke ihr ein Lächeln.

„Ja ich auch", meint sie und geht an ihren Platz.

Sie nimmt sich einen Stapel Blätter und ihr Handy, dass sie hier vergessen haben muss. Ich beobachte sie dabei, was ihr aber nicht auffallen zu scheint. Sie ist so mit sich selbst beschäftigt.

„Hast du noch Lust einen Kaffee trinken zu gehen?", fragt sie mich plötzlich aus dem nichts heraus.

Alles in mir schreit danach ja zu sagen, aber ich kann es nicht.

„Heute leider nicht. Ich muss nachhause", lehne ich ab und beiße mir auf die Unterlippe. „Vielleicht morgen?"

„Morgen klingt super", meint sie und lächelt mich an.

Sie geht an mir vorbei und ich bleibe im Lehrerzimmer zurück. Habe ich gerade tatsächlich einem Treffen mit Leslie Baltes zugestimmt? Anscheinend schon.

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