Zweiundzwanzig

2.5K 132 3
                                    

Als ich die Wohnungstür öffne, stelle ich fest, dass das Licht an ist. Da ein paar Einbrecher sicher nicht das Licht anmachen würden, kann es eigentlich nur eine Person sein. Helen. Sie ist hier. Bestimmt will sie ein paar ihrer Sachen holen. Vielleicht sollte ich einfach wieder gehen. Sie will mich bestimmt nicht sehen. Helen ist bestimmt davon ausgegangen, dass ich nicht so früh kommen würde. Andererseits wohne ich immer noch hier. Sie kann nichts dagegen tun, dass ich in meiner Wohnung bin.

Langsam gehe ich leise durch den Flur, um sie nicht sofort zu erschrecken. Im Wohnzimmer stehen zwei Umzugskartons in denen allerhand Zeug liegt. Klamotten, Fotoapparate, Bilder, Bücher und mehr Zeug. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass sie gerade im Schlafzimmer ist, um sich ein paar ihrer Klamotten zu holen. Ob sie nach mehr als über einem Monat bereit ist mich zu sehen? Bin ich schon so weit? Keine Ahnung. Seitdem ich Helen alles gebeichtet habe, war sie nicht mehr hier. Seitdem standen wir uns nicht mehr gegenüber. Haben nicht mehr miteinander gesprochen. Wenn man meine peinlichen Anrufe außer Acht lässt.

Nachdenklich gehe ich in die Küche und hole mir ein Glas Wasser. Was Helen wohl sagen wird, wenn wir uns gegenüber stehen? Wird sie überhaupt etwas sagen?

Als ich zurück ins Wohnzimmer gehe, steht sie mir plötzlich gegenüber. Wir schauen uns eine gefühlte Ewigkeit an in der keiner von uns ein Wort sagt. Helen sieht so schön aus, wie immer mit ihren wilden braunen Locken. Sie trägt einen schwarzen Pullover, eine Jeans und Sneaker. Sie sieht wunderschön aus, aber es wäre unpassend von mir ihr das zu sagen. Es steht mir nicht mehr zu ihr Komplimente nachdem was ich ihr angetan habe. Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen.

„Hallo", sage ich leise.

„Hey", erwidert Helen schüchtern.

„Wie geht es dir?", frage ich sie.

Helen zupft an dem Saum ihres Pullovers herum und sieht sich kurz im Wohnzimmer um, ehe sie mir antwortet. Es scheint für sie genauso komisch zu sein, wie es für mich ist.

„Ganz okay, schätze ich. Dir?"

Ich zucke mit den Schultern. In letzter Zeit habe ich mich nicht damit beschäftigt, wie es mir geht. Ich habe mich in die Arbeit gestürzt, Klassenarbeiten korrigiert, mich auf den Unterricht vorbereitet und Zeug für die Schule gemacht. Ich wollte mich nicht mit mir selbst und meinen Gefühlen beschäftigen.

„Willst du was zu trinken?", will ich von ihr wissen.

Was für eine dämliche Frage. Helen weiß ganz genau, wo sie etwas finden würde. Schließlich war es auch mal ihre Wohnung. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Das hier ist so schräg.

„Wie läuft es in der Schule?", erkundigt sie sich.

„Etwas stressig", sage ich und setze mich auf das Sofa.

Helen lässt sich am anderen Ende des Sofas nieder. Dieser Unterhaltung ist ein wenig, wie unter Fremden oder Menschen, die sich kaum kennen. Wie es aussieht sind wir von Verliebten zu Fremden geworden. Vor ein paar Wochen saßen wir noch Arm und Arm auf diesem Sofa gesessen und stundenlang unbeschwert geredet. Ich vermisse diese Zeit ein wenig.

„Können wir über uns reden?", will Helen nach einer Weile wissen.

„Gibt es überhaupt noch ein uns?", frage ich.

Auch wenn ich die Antwort schon kenne, will ich sie aus ihrem Mund hören.

„Ich glaube nicht", murmelt sie leise und streicht sich eine braune Locke aus dem Gesicht.

Es ist klar, dass keine von uns beiden wirklich über die Trennung hin weg ist.
Ich nehme mein Glas und trinke einen großen Schluck. Es tut weh zu wissen, dass es aus ist. Aber ich kann es nicht mehr ändern. Es ist meine Schuld gewesen und jetzt muss ich damit leben.

„Wo wohnst du im Moment eigentlich?", will ich aus reiner Neugier wissen.

„In einer kleinen Wohnung an anderen Ende der Stadt", antwortet sie.

„Okay", erwidere ich.

„Ich wollte nur ein paar meiner Sachen holen", sagt sie.

„Klar. Soll ich dir helfen?"

Ich rücke ein Kissen auf dem Sofa zurecht und sehe sie an.

Helen schüttelt den Kopf. „Nein Danke."

„Na gut."

Helen gibt ein „Hm" von sich und steht auf. Sie verschwindet wieder im Schlafzimmer. Ich bleibe einfach hier sitzen, da ich mir ziemlich sicher bin, dass Helen mich nicht in ihrer Nähe möchte.

Ich schalte den Fernseher ein, aber verfolge die Sendung überhaupt nicht. Ich denke über Helen nach. Ob es jemals wieder normal zwischen uns werden wird? Ich erhoffe es mir, aber meist ist das nicht der Fall, wenn es um gescheiterte Beziehungen geht. Ich habe Helen zu sehr verletzt, dass sie mir verzeihen kann.
Helen räumt einige Zeit lang Kram in ihre Kisten und huscht durch die Wohnung.

„Ich bin fertig", teilt sie mir irgendwann mit.

„Okay. Soll ich eine der Kisten runter tragen?", biete ich ihr an.

„Von mir aus", meint sie.

Helen nimmt einen der Kartons und ich den anderen.
Am Auto verweilen wir einen Moment.

„Bis irgendwann", verabschiedet sich Helen von mir.

„Bis bald", nuschele ich leise.

Es fällt mir schwer sie wieder gehen zu lassen. Helen steigt in den Wagen und fährt weg. Ich gehe zurück in die Wohnung ins Schlafzimmer, wo ich mich aufs Bett setze. Ich lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand und schließe die Augen. Helen hat ein kleines Chaos zurück gelassen. Tränen laufen über meine Wangen und ich lasse es zu. Schon seit Wochen habe ich mich meinen Gefühlen nicht mehr gestellt. Jetzt brechen sie alle über mich herein. Ich stehe auf und öffne den Schrank und nehme ein Shirt heraus, welches Helen immer getragen hat. Ich tausche es gegen meins und lege mich zurück ins Bett. Verkrieche mich unter den Decken und weine vor mich hin. Mein Leben ist im Moment ziemlich mies.

A bad idea Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt