Vierzehn

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Als mein Wecker klingelt will ich am liebsten im Bett bleiben und mich den ganzen Tag unter der Bettdecke verkriechen. Ich habe Leslie gestern erzählt, dass ich auf Frauen stehe. Was wird sie jetzt wohl denken? Wird sie denken, dass ich sie gezeichnet habe, weil ich sie mag oder wird sie sich gar keine Gedanken darüber machen? Wird sie aus meinem peinlichen Verhalten schlussfolgern können, dass ich in sie verliebt bin oder es zumindest irgendwann mal war. Oder wird sie mir jetzt aus dem Weg gehen? Vielleicht wäre mir die letzte Möglichkeit sogar am liebsten. Dann müsste ich keine Fragen beantworten. Wenn ich könnte, dann würde ich jetzt laut schreien, nur um den Krach in meinem Kopf zu übertönen. Ich will dieses Gedankenkarussell anhalten und absteigen, aber das passiert nicht. Es wird immer schneller und mir wird schlecht.

Seufzend schaffe ich mich aus dem Bett und mache mich fertig. Ich entscheide mich für einen langweiligen schwarzen Pulli und eine Jeans. Vielleicht falle ich Leslie so nicht auf, was aber nur Wunschdenken ist. Ich kann ihr nicht einmal aus dem Weg gehen, wie ich es jetzt gerne machen würde. Wir sind zusammen hier und nicht in der Schule, wo jeder seinem Unterricht nachgeht und dann verschwindet, wenn der Schultag vorbei ist. So läuft das hier nicht.

Im Speisesaal angekommen setze ich mich so weit weg wie möglich von Leslie zu ein paar Schülern, die sofort verstummen. Ich beachte sie nicht weiter und esse schweigend während sie wieder anfangen sich zu unterhalten. Im Augenblick ist mir egal, wie kindisch und feige mein Verhalten ist. Ich fühle mich im Moment einfach nicht in der Lage mit Leslie zu reden noch nicht einmal ihr gegenüber zu stehen. Ich wüsste nicht was ich sagen sollte. Im Endeffekt sage oder tue ich nur wieder etwas unüberlegtes, was mir später peinlich ist. Darauf kann ich gut verzichten.

Sobald ich aufgegessen habe verlasse ich den Speisesaal und gehe nach draußen um zu telefonieren. Ich habe keine Ahnung, ob Helen gerade Zeit hat, aber ich will ihre Stimme hören. Ich will mit jemand sprechen, der mir wichtig ist. Helen ist die wichtigste Person in meinem Leben und deswegen rufe ich sie an.

„Hey Annalena. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass du Zeit finden würdest, um mich anzurufen", höre ich Helen sagen.

Augenblicklich huscht ein Lächeln über meine Lippen. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich sie vermisse.

„Du fehlst mir", sage ich leise, auch wenn keiner der Schüler in der Nähe ist.

Ich möchte einfach nicht riskieren, dass die Jugendlichen meine privaten Telefongespräche mithören. Es geht sie nichts an. Ich habe mir vorgenommen mein Privatleben von meinem Beruf strikt zu trennen. Ich möchte niemals einer dieser Lehrer werden, die vorne an der Tafel stehen, vom Thema abschweifen und plötzlich eine halbe Stunde über ihr Privatleben reden. Früher hat mich so etwas nicht interessiert und ich bezweifle, dass es die Schüler heute interessiert.

„Du mir auch. Wie geht's dir in London?"

„Ganz gut. Es ist echt anstrengend", antworte ich. „Wie geht es dir?"

„Ich bin ziemlich müde. Zur Zeit kommen so viele neue Aufträge rein und ich weiß nicht mit was ich zuerst anfangen soll. Es ist echt stressig", erzählt sie.

„Du schaffst das schon", versuche ich sie ein wenig aufzubauen. „Wenn ich bei dir wäre, würde ich dich jetzt in den Arm nehmen und küssen."

Helen muss lachen. „Das könnte ich jetzt echt gebrauchen. Holen wir das nach, wenn du wieder da bist."

„Auf jeden Fall. Versprochen."

Es tut mir gut mit ihr zu reden. Sofort geht es mir ein wenig besser, auch wenn ich sie jetzt vermisse. Ich sollte aufhören in der Vergangenheit zu leben und im hier und jetzt bei Helen bleiben. Was ich für Leslie fühle, sind nur die Erinnerungen, die immer wieder hoch kommen. Es wird Zeit damit abzuschließen. Ich muss aufhören das Kapitel immer und immer wieder aufzuschlagen. Es ist Zeit ein neues anzufangen und in dem sollte Leslie keine Hauptfigur mehr sein, sondern Helen.

„Ich muss jetzt los. Ich liebe dich, Kleine", verabschiedet Helen sich von mir.

„Tschüss. Ich liebe dich auch", sage ich und lege auf.

Ich setze mich auf eine Parkbank vor dem Hostel und schließe die Augen, aber ich bin nicht lange alleine. Irgendwie bin ich das nie. Leslie setzt sich neben mich und ich wäre beinahe aufgesprungen, lasse es aber lieber. Das wäre zu seltsam.

„Hey", murmele ich und stecke mein Handy weg.

„Hi", sagt sie. „Du gehst mir aus dem Weg. Hat es damit zu tun, was du mir gestern gesagt hast?"

Nervös kaue ich auf meiner Unterlippe herum und wage es Leslie kurz anzusehen. Sie sieht ein wenig verletzt aus. Stört es sie wirklich, dass ich sie ignoriert habe?

„Nein", antworte ich knapp. „Alles bestens."

Die Stimme in meinem Kopf beschimpft mich als Lügnerin, aber ich höre nicht auf sie. Ich kann Leslie schließlich nicht sagen, dass ich sie ignoriert habe, weil ich Angst vor ihrer Reaktion habe.

Jetzt stehe ich doch schnell auf. Leslie springt ebenfalls auf und hält mich am Handgelenk fest. Verwirrt sehe ich sie an. Was will sie denn noch von mir?

„Ich will nur, dass du weißt, dass es mir nichts ausmacht", sagt sie.

Irgendwie kommt es mir so vor, als wolle sie noch etwas hinzufügen, aber sie tut es nicht. Leslie lässt mich los und geht wieder nach drinnen. Perplex bleibe ich alleine zurück und weiß nicht, wie ich diese Situation eben interpretieren soll. Wollte sie mir mit ihren Worten etwas sagen? Oder will sie nur nicht, dass ich denke sie hätte etwas gegen Homosexuelle?

Ich bleibe noch einen Moment draußen, ehe ich zurück auf mein Zimmer gehe, um meine Jacke und meinen Rucksack zu holen, da heute der nächste Trip ansteht. Wir werden eine Fahrt mit einem der typischen roten Busse machen. Unten im Foyer warten schon die Schüler und meine Kollegen.

„Na dann können wir jetzt ja los", verkündet Marc.

Wie es aussieht bin ich als letzte gekommen. Auch egal. Leslie tut so, als wäre das eben nicht passiert und fängt ein Gespräch mit einem Schüler an. Wenn sie so tun kann, als wäre nichts passiert, dann kann ich das auch.

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