Mein Wecker klingelt, aber leider kann ich nicht für immer liegen bleiben und weiter schlafen. Mein Krankenschein endete gestern und somit muss ich heute wieder in die Arbeit. Helen ist für drei Tage in München wegen einem Fotoshooting für eine Zeitschrift und ich bin alleine zuhause. Ob das jetzt das richtige für mich und unsere Beziehung ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht hilft mir etwas Abstand, um mir über alles klar zu werden, aber ich habe Angst, dass ich wieder etwas Dummes und unüberlegtes tun könnte.Zum Frühstück bekomme ich keinen Bissen herunter. Was soll ich nur tun, wenn ich Leslie begegne? Sollte ich versuchen ihr alles zu erklären, aber wie erklärt man etwas, dass man selbst nicht versteht? Ich wüsste nicht, wie ich das alles in Worte fassen sollte. Ich weiß nur, dass ich sie nicht verletzen wollte. Ich will niemand verletzen. Nicht Leslie und nicht Helen, aber irgendeiner von beiden werde ich im Endeffekt weh tun, vielleicht werde ich beide verlieren. So ein Mist. Wieso ist das alles so kompliziert? Ich habe alles vermasselt. Das kann ich gut.
Langsam mache ich mich fertig und versuche mit Schminke das zu retten, was zu retten ist. Ich suche aus meinem Schrank eine Bluse aus und eine schwarze Jeans. Wenn ich mich schon scheiße fühle, dann muss ich nicht auch noch so aussehen. Im Schneckentempo fahre ich zur Schule und komme absichtlich zu spät, damit ich Leslie nicht über den Weg laufe. Im Lehrerzimmer hole ich schnell ein paar Sachen und mache mich dann auf den Weg zu meiner ersten Stunde.
Bisher habe ich den ganzen Tag im Kunstsaal verbracht und mich vor jeglichem Kontakt zu meinen Kollegen gedrückt. Die meisten haben in den letzten Tagen meiner Abwesenheit bestimmt von meiner Homosexualität erfahren. Wahrscheinlich weiß es schon die ganze Schule. Außerdem will ich Leslie nicht begegnen. Ich will gerade aufstehen, um die Fenster aufzumachen, als jemand in den Saal gestürmt kommt.
„Annalena?", bringt Leslie leise hervor und sieht schnell auf den Boden. „Ich dachte, dass du krank seist."
Ich sehe Leslie an und spüre einen Stich in meiner Brust, als würde jemand mit einer Nadel immer wieder in mein Herz stechen. Sie sieht irgendwie fertig aus, als hätte sie seit Tagen nicht richtig schlafen können.
„Ich bin seit heute wieder da", sage ich und weiß nicht, wo ich hinsehen will.
„Ich komme einfach später wieder", meint Leslie eilig.
„Leslie. Es tut mir leid", murmele ich und mache einen Schritt auf sie zu. „Ich hätte dir von Anfang an sagen sollen, dass ich eine Freundin habe."
„Vergiss es einfach", meint sie und beißt sich auf die Lippe.
Beinahe hätte ich nach ihre Hand gegriffen, aber ich lasse es. Ich kann es nicht. Es wäre falsch und unfair von mir.
„Ich muss aber ständig an dich denken und was passiert ist. Ich bereue nichts von dem was passiert ist. So wie mit dir habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt."
„Ich will das nicht hören, Annalena. Du hast eine Freundin, die dich wirklich zu lieben scheint", sagt sie traurig und eine Träne läuft ihr über die Wange.
„Ich weiß, aber ich bin so verwirrt", nuschele ich ein wenig verzweifelt.
Es tut mir weh Leslie zu sehen und noch mehr schmerzt es, dass ich der Grund für ihre Tränen bin. Hätte ich ihren Kuss nicht erwidert, dann wäre es alles nicht so weit gekommen, aber ich konnte einfach nicht anders. Ich wollte sie küssen. Ich wollte nichts mehr, als sie in diesem Moment zu küssen. Wie kann sie etwas, dass falsch zu sein scheint, so verdammt richtig und gut anfühlen? Das ergibt doch keinen Sinn. Ich verstehe es nicht.
„Mag sein, aber ich will nicht daran schuld sein, dass deine Beziehung zerbricht. Ich habe gesehen, wie deine Freundin grinst hat, als sie dich gesehen hat und wie ihr euch geküsst habt. Du liebst sie und das muss ich respektieren. Lass' uns das alles einfach vergessen."
„Willst du das denn wirklich? Das alles vergessen?", will ich von ihr wissen.
Ich muss mich zusammenreißen, um sie nicht hier und jetzt in den Arm zu nehmen. Ich will ihre Nähe spüren. Ich will sie trösten und ihr sagen, dass alles gut wird, aber wird es das? Ich weiß es nicht.
„Das spielt doch keine Rolle. Ich muss es vergessen. Ich hätte wissen müssen, dass so eine tolle Frau, wie du, nicht zu haben ist."
Als es klingelt, will Leslie gehen, aber ich nehme ihre Hand und führe sie in den Lagerraum. Hier stehen über all Farben, Papier und andere Utensilien für den Kunstunterricht. Nicht gerade der beste Ort für ein Gespräch, aber immer noch besser, als von einem Schüler bei so einem privaten Gespräch belauscht zu werden.
Für einen Moment weiß ich nicht, was ich sagen soll und kaue auf meiner Unterlippe herum.
„Du konntest das nicht wissen und ich habe nie etwas gesagt. Ich will nur, dass du weißt, dass du mir nicht egal bist", sage ich und halte immer noch ihre Hand.
„Du bist mir auch nicht egal, aber das ändert nichts an der Tatsache", sagt sie und zieht ihre Hand aus meiner.
Ich nicke und lasse Leslie gehen. Es gibt keinen Grund sie weiter hier fest zu halten. Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte. Ich kann nichts mehr für sie tun. Auch wenn ich nicht möchte, dass sie jetzt geht.
„Leslie?", rufe ich.
Zögerlich dreht sie sich um und wischt sich mit dem Handrücken über die Augen.
„Was?", will sie wissen.
„Wieso bist du überhaupt her gekommen?"
„Ich wollte eigentlich nur ein paar Plakate holen", meint sie. „Ich werde einfach einen der Schüler schicken."
„Mhm", gebe ich von mir.
Ich bleibe noch einen Moment stehen und sehe Leslie hinter her, aber als sie endgültig aus meinem Sichtfeld verschwindet, nehme ich meine Tasche und verlasse den Saal. Was bringt es weiter hier herum zu sitzen? Nichts. Ich mache mich nur verrückt wegen dem was passiert ist.
Die nächste Stunde kann ich mich kaum konzentrieren und bin in Gedanken wo ganz anders. Ich lasse die Schüler der elften einen Aufsatz schreiben, werde aber immer wieder aus meinen Gedanken gerissen.

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A bad idea
ChickLitAnnalena kehrt an die Schule zurück in der sie sich das erste Mal bewusst geworden ist, dass sie lesbisch ist, als sie sich in ihre damalige Englischlehrerin, Leslie Baltes, verliebt hat. Heute sechs Jahre später ist Annalena, aber nicht mehr das s...