Elf

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„Das wird schon alles", versichert Helen mir, die neben mir im Auto sitzt.

Ich nicke und kaue auf meiner Unterlippe herum. Bei dem Gedanken daran fünf Tage lang mit einem Haufen Jugendlicher, Leslie, Marc und Herr Gonzales alleine zu sein, wird mir vor Angst ein wenig übel. Besonders der Teil mit Leslie macht mir Angst.

„Hey", sagt Helen und nimmt meine Hand, „das ist nicht die erste Klassenfahrt bei der du dabei bist."

Da hat sie leider recht. Ich war schon bei ein paar dabei, aber nie mit meiner Jugendliebe. Das ist wohl was ganz anderes. Nur kann ich das meiner Freundin immer noch nicht sagen.

„Du hast recht", stimme ich ihr zu.

„Natürlich habe ich das", meint Helen lachend.

„Ich werde dich nur so schrecklich vermissen", sage ich leise und sehe sie an.

„Ich dich auch, Kleine."

Ich lege meine Hand auf ihre Wange und küsse sie. Ich werde Helen wirklich vermissen. Sie ist mein Anker in all dem Chaos, auch wenn sie ein Teil des Gefühlsdurcheinanders ist. Ich weiß einfach, dass ich mich immer auf sie verlassen kann. Helen ist jederzeit für mich ab. Das war sie schon immer seit wir uns kennen.
Obwohl ich es gar nicht möchte, löse ich mich von Helen und lehne meine Stirn an ihre.

„Ich liebe dich", flüstere ich leise.

„Ich dich auch", nuschelt sie.

„Ich schreibe dir, wenn ich angekommen bin", verspreche ich ihr.

Helen nimmt meine Hand und nickt. Ich hasse es sie gehen zu lassen. Noch viel schlimmer macht es die Tatsache, dass ich die nächsten fünf Tage mit Leslie verbringen werde. Ich fühle mich schlecht deswegen, obwohl es nicht meine Schuld ist.

Langsam lasse ich ihr Hand los und steige aus. Ich hole meinen Koffer aus dem Auto und gehe dann in Richtung des Busses vor dem sich schon eine Horde Schüler tummeln. Herr Gonzales steht mit einem Klemmbrett zwischen den Teenies und versucht etwas Ordnung in das Geschehen zu bekommen.

„Lesbisch also? Jetzt weiß ich, wieso du nie mit mir ausgehen wolltest."

Erschrocken drehe ich mich um und hoffe, dass ich das nur geträumt habe. Leider nicht. Marc steht hinter mir und grinst mich an. Er hat uns also gesehen.

„Ja, aber behalt' das bitte für dich. Ich möchte nicht, dass die Schüler darüber Bescheid wissen. Es ist schließlich mein Privatleben."

Anfangs fand ich ihn noch sympathisch, aber je länger ich ihn kenne, desto mehr ändert sich das. Marc ist einfach nur nervig.

„Schon okay", meint er.

„Danke", sage ich leise.

Zusammen laufen wir zum Bus und verstauen unser Gepäck. Einige der Schüler begrüßen uns gut gelaunt. Andere sind verschlafen und schlecht gelaunt.

„Gut, dass ihr kommt. Dann muss ich mich nicht mehr um alles alleine kümmern", stöhnt Herr Gonzales auf.

„Ich hätte gedacht Leslie wollte als erste da sein", spreche ich meinen Gedanken aus.

Suchend sehe ich mich nach ihr um, aber sie scheint noch nicht da zu sein. Wo sie wohl steckt? Vielleicht hat sie verschlafen. Ich habe keine Ahnung.

„Eigentlich. Ich habe keine Ahnung. Könnten sie schon mal in den Bus gehen Frau Schiller und dort auf die Schüler ein Auge haben. Sie bleiben dann bitte bei mir", teilt Herr Gonzales uns beiden jeweils eine Aufgabe zu.

Ich nicke und bin froh, dass ich nicht noch länger Smalltalk mit den beiden führen muss. Irgendwann wird sicher der Moment kommen in dem Marc mich über Helen ausfragen wird.

Im Bus ist es genauso laut, wie draußen. Vielleicht sogar noch ein wenig lauter. Ich ermahne die Schüler zur Ruhe und wechsele dann ein paar Worte mit dem Fahrer des Busses. Es dauert eine ganze Weile bis alle da sind und Leslie auftaucht. Sie lässt sich auf einen der Sitze in der ersten Reihe fallen.

„Was ist denn mit dir los?", frage ich sie neugierig.

Sie wirkt ein wenig gestresst und fertig. Normalerweise ist sie die Ruhe in Person und hat alles unter Kontrolle.

„Ach mein Auto ist heute morgen nicht angesprungen und dann musste ich meinen Nachbar bitten mich her zu fahren", erklärt sie mir ihre Situation.

„Aha", gebe ich von mir. „Konnte dein Mann dich nicht fahren?"

Habe ich das jetzt wirklich gesagt? Es passiert selten, dass ich unüberlegte Dinge von mir gebe. Dieser Ausflug fängt wirklich super an. Erst findet Marc heraus, dass ich lesbisch bin und jetzt stelle ich Leslie so eine dämliche Frage.

„Ich habe keinen Mann", sagt sie und wühlt in ihrem Rucksack herum.

Die zwei Herren kommen auch in den Bus und Marc fängt an alle Schüler durchzuzählen. Herr Gonzales lässt sich auf der rechten Seite des Ganges nieder und holt ein Buch hervor. Er scheint der Meinung zu sein, dass er für den Moment genug getan hat.

Leslie hält eine kleine Rede in der sie ein paar Infos über die Fahrt erzählt und den Busfahrer kurz vorstellt ehe es los geht. Dann setzt sie sich neben mich. Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll, aber ich kann es wohl schlecht ändern. Ich lehne mich zurück und schließe für einen Augenblick meine Augen.

Es dauert beinahe eine Stunde, bis Ruhe im Bus einkehrt. Marc ist eingeschlafen, was aber bisher niemand wirklich zu stören scheint. Herr Gonzales blättert weiter in seinem Buch herum. Leslie neben mir löst Kreuzworträtsel.
Alle tun so, als wären sie total beschäftigt.

Ich schaue aus dem Fenster und frage mich, was die nächsten Tage wohl passieren wird. Wir werden einige Museen besuchen, ein wenig London erkunden und was weiß ich noch alles. Die Planung hat Leslie übernommen. Ich bin lediglich als weitere Aufsichtsperson dabei und weil ich englisch unterrichte. Natürlich hoffe ich darauf, dass ich ein Zimmer für mich bekommen werde und mir nicht eins mit Leslie teilen muss, aber so genau weiß ich das nicht. Zu fragen traue ich mich nicht, obwohl nichts dabei wäre.

Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis wir die erste Pause machen und alle aus dem Bus flüchten. Die meisten machen sich auf den Weg zu den Toiletten oder auf die Suche nach etwas zu essen.

„Keine Panik. Ich werde niemand von deinem Geheimnis erzählen", sagt Marc zu mir und lehnt sich neben mich an den Bus.

„So ein großes Geheimnis ist es auch wieder nicht", erwidere ich und verschränke die Arme vor der Brust. „Aber Danke."

Ich bin froh, dass er es vorerst für sich behalten wird. So wird Leslie nichts davon erfahren. Ich will das sie mich mag, weil ich Annalena bin und nicht, weil ich lesbisch bin oder es nicht bin. Vielleicht rede ich mir auch nur ein, dass es deswegen ist.

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