Zwölf

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Ich habe keine Ahnung, wie lange wir insgesamt unterwegs waren. Es gab so einige Pausen, zwei Staus und hier und da ist der Verkehr nur so dahin gekrochen. Endlich parkt der Bus vor dem Hostel. Zum Glück. Ab der Hälfte ist mir schlecht geworden, was leider immer passiert, wenn ich zu lange in einem Bus sitze. Es ist nie so schlimm, dass ich mich übergeben muss, aber trotzdem unangenehm.
Alle Schüler drängeln sich aus dem Bus und sind dabei unendlich laut. Wir Lehrer steigen als letzte aus.

„Kommst du mit rein, die Schlüssel holen?", fragt Leslie mich.

„Klar", erwidere ich, auch wenn ich mir sicher bin, dass sie mich dazu nicht braucht.

Sie ist, genauso wie ich, Englischlehrerin und hat keine Probleme mit der Sprache. Ich bin trotzdem froh einen Moment lang Ruhe von dem Kids zu kriegen.

„Alles okay bei dir?", erkundigt sich Leslie bei mir und sieht mich ein wenig besorgt an.

„Klar. Mir wird nur immer etwas schlecht beim Bus fahren", sage ich und schenke ihr ein kleines Lächeln.

Ich fische mein Handy aus meiner Tasche und schicke Helen eine kurze Nachricht, die beinhaltet, dass ich gut angekommen bin und sie mir jetzt schon fehlt.

Leslie redet angeregt mit der Frau hinter dem Empfangsthresen. Ich höre zu, aber merke mir nur die Hälfte von dem was sie sagen, da ich ein wenig abgelenkt bin. Ein wenig wäre gelogen. Ich beobachte, wie sich Leslies Lippen bewegen während sie spricht und stelle mir vor, wie es wäre sie zu küssen. Verdammt, Annalena! Ich sollte mich zusammenreißen. Schließlich will ich diese fünf Tage überleben ohne etwas peinliches zu tun. Ich beiße mir fest auf die Unterlippe und wende den Blick ab.

Stattdessen sehe ich mich ein wenig um. Von hier aus sieht man den Speisesaal und eine kleine Küche, in der sich Durchreisende Backpacker etwas selbst kochen können. Es macht alles einen ordentlichen Eindruck. Nicht besonderes schönes, aber es ist okay. Es ist ein Hostel und kein Sternehotel. Das sollte die Schüler zufriedenstellen. Außerdem werden wir nur zum Essen und schlafen hier sein.

Als endlich alle Schüler versorgt sind und sich auf die Suche nach ihren Zimmern machen, bleiben nur noch wir Erwachsenen zurück.
Jeder von uns bekommt von Leslie einen Schlüssel in die Hand gedrückt. Herr Gonzales verabschiedet sich wenige Sekunden später von uns mit dem Kommentar, dass er sich erst einmal kurz hinlegen muss.

„Und ist sonst noch jemand müde?", will Leslie scherzhaft wissen.

„Marc ganz sicher nicht, der hat doch die halbe Busfahrt verschlafen", sage ich und muss lachen.

Ich sollte aufhören so verkrampft in Leslies Nähe zu sein. Wir sind bloß Kollegen und mehr wird daraus auch niemals werden. Egal was ich mir in meinem kranken Hirn ausmale. Sie wird mich nie küssen und wenn doch, dann sollte ich den Kuss nicht erwidern. Es wäre Helen gegenüber nicht fair.

„Was hätte ich denn sonst machen sollen?", meint dieser und zuckt mit den Achseln.

„Ein Wunder, dass du bei dem Lärm überhaupt ein Augen zugekriegt hast."

„Ich kann überall schlafen. Ist ganz nützlich", erwidert er grinsend.

„Das kann ich nicht", sagt Leslie lachend.

„Ich auch nicht", stimme ich ihr zu.

„Also ich werde erstmal meine Sachen auspacken gehen", verabschiedet sich Marc und macht sich vom Acker.

Jetzt sind Leslie und ich alleine in der Eingangshalle. Schon wieder weiß ich nicht, was ich sagen soll. Wenn ich mit ihr alleine bin, kann ich nicht klar denken.

Urplötzlich streckt Leslie ihre Hand aus und fährt mit den Fingern durch meine Haare. Überrascht mache ich einen Schritt von ihr weg.

„Du hattest ein Blatt in den Haaren", sagt sie und sieht mich entschuldigend an.

„Oh Danke", murmele ich peinlich berührt.

Wir stehen noch einen Moment unbeholfen da, bis wir beide uns verabschieden. Ich mache mich auf den Weg in mein Zimmer und lasse mich dort auf das Bett fallen. Wenn das mit Leslie so weiter geht, dann halte ich die paar Tage nicht aus. Ich lasse den Moment von eben gefühlte hundert Mal in meinen Gedanken Revue passieren, aber ich komme einfach nicht damit klar. Mir wird nicht klar, wieso sie es getan hat. Wollte sie nett sein oder mir nahe kommen? Ich weiß es nicht und diese Tatsache treibt mich in den Wahnsinn. Ich hasse es Dinge nicht zu wissen, aber ich werde Leslie nicht fragen. Niemals.

Ich habe für eine knappe halbe Stunde Ruhe, bis es an meiner Tür klopft. Wer will denn jetzt schon wieder etwas von mir. Ich laufe zur Tür und öffne diese. Vor mir steht Leslie. Sie lächelt mich an. Sie muss sich umgezogen haben, denn sie trägt jetzt ein hellgraues T-Shirt und eine Jeans mit ihren Stiefeletten. Ihre langen Haare hat sie hochgebunden und sieht atemberaubend aus. Wenn sie nur wüsste, wie gerne ich sie in diesem Augenblick küssen würde. Ob sie dann immer noch so gelassen vor mir stehen würde.

„Leslie, was gibt es?", will ich von ihr wissen.

„Wollen wir zum Abendessen?", fragt sie mich.

„Ja klar. Das habe ich total vergessen", sage ich.

Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht gemerkt habe, wie hungrig ich eigentlich bin. Ich habe es einfach vergessen.

„Habe ich mir gedacht. Du hast vorhin ein wenig abwesend gewirkt und da wollte ich mal nach dir sehen", meint sie und berührt mit ihren Hand kurz meinen Unterarm.

Sofort bekomme ich Gänsehaut und mein ganzer Körper fängt an zu kribbeln. Eine kleine Berührung von ihr reicht aus, um mich dermaßen aus dem Konzept zu bringen.

„Ich war wohl einfach müde", lüge ich.

Müde ist das letzte was ich im Moment bin. Wahrscheinlich werde ich heute Nacht nicht schlafen können, da meine Gedanken nur um diese wunderschöne Frau neben mir kreisen werden. Das ist doch verrückt. Nach so vielen Jahre fühle ich immer noch so viel, wenn Leslie in der Nähe ist.

„Okay. Dann lass uns mal gehen, bevor die Schüler alles aufgegessen haben", witzelt sie.

„Na dann los", sage ich.

Leslie und ich laufen gemeinsam in Richtung des Speisesaals und ich kann den ganzen Abend nicht aufhören sie anzustarren. Hoffentlich fällt es niemand auf. Wir reden über alles mögliche, als wir mit Marc und Herr Gonzales am Tisch sitzen und lachen ausgelassen. Für einen kleinen Moment vergesse ich sogar Helen, aber es dauert nicht lange, bis ich mich deswegen unheimlich schuldig fühle. Wie kann ich nur? Wie kann ich nur hier neben Leslie sitzen, während ich mit Helen in einer Beziehung bin? Ich liebe Helen. Was ich für Leslie empfinde kann ich noch nicht genau in Worte fassen.

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