"Du hast also angefangen zu rauchen?", flüsterte er, als er in die kühle Nachtluft trat und die Gestalt seiner Schwester sitzend vorfand.
"Was? Wirst du mir jetzt sagen, dass Zigaretten ungesund sind?", lachte sie spöttisch auf und wandte sich ihm zu, ihre Augenbrauen skeptisch in die Höhe gezogen, "Ich dachte, du wärst unterwegs."
"Ich war.", gab Orion von sich und setzte sich neben sie. Es hatte ihn nicht lange gebraucht, um herauszufinden, wo sie war. Als seine Mutter ihm gesagt hatte, dass sie sich nicht in ihrem Zimmer befände, war ihm klar gewesen, dass sie in diesem Fall auf dem Dach sass. Dort befand sie sich meistens, wenn sie ihre Ruhe haben wollte.
Alice verdrehte ihre Augen und zog erneut an ihrer Zigarette, bevor sie sie achtlos fallen liess und ihren Kopf nach hinten warf.
"Was übersetzt bedeutet, dass Marian dich angerufen hat und dir gesagt hat, dass ich wieder einmal meinen Verstand verloren hätte. Oder durchgedreht wäre."
Dass Alice ihre Mutter bei ihrem Vornamen nannte, war nichts ungewöhnliches. Orion hatte vielleicht eine komplizierte und eher kalte Beziehung zu seiner Mutter, doch Alice hatte über die Jahre nichts geringeres als einen Hass auf Marian entwickelt. Die Beiden gerieten in der Woche so oft aneinander, wie die Woche Tage besass. Sie waren einfach zu verschieden. Marian, die fromme, ruhige Frau, zu der ihr Glaube und ihre Erziehung sie gemacht hatten und Alice, die es bevorzugte, ihre Zeit damit zu verbringen, sich Regeln zu widersetzen, den Glauben ihrer Mutter ins Lächerliche zu ziehen und absolut keine Ahnung davon zu haben, was in Zukunft aus ihr werden würde. Nicht, dass Orion viel anders war, als sie, doch wenn Marian auf Orion blickte, erkannte sie Orions Vater in ihm. Orion war willensstark und zielgerichtet, er wusste, wie er sich aufzuführen hatte, wenn er das erreichen wollte, was er sich wünschte und obendrein hatte er das Talent zur Kunst von seinem Vater geerbt. Wenn Marian allerdings Alice anblickte, so erkannte sie weder sich, noch ihren Mann in ihr.
"Nicht ganz.", murmelte er und setzte sich neben sie, "Sie hat mir gesagt, du würdest mich brauchen."
Er hatte gelernt, dass es nichts brachte, wenn er Alice anlog. Seine Zwillingsschwester hatte diesen sechsten Sinn, der immer Alarm schlug, wenn jemand sie anlog. Ganz besonders wenn er sie anlog. Sie kannte ihn einfach zu gut, als dass er ihr irgendetwas vormachen konnte.
"Nun, sie ist aber auch wirklich ein jämmerliches Abbild einer Mutter. Ruft ihren Sohn, anstatt selbst nach ihrer Tochter zu sehen."
"Zu ihrer Verteidigung, sie hat wahrscheinlich befürchtet, dass du dich vom Dach stürzen würdest, sobald sie das Dach betreten würde, bloss um von ihr wegzukommen.", grinste er.
"Komm schon, Orion, tun wir nicht so, als würde Marian mich so gut kennen.", lachte sei auf. Wenn ein Lachen traurig und amüsiert zugleich klingen konnte, dann war es dieser Ton, der aus ihrer Kehle drang. Sie sah aus, wie sie sich innerlich fühlte, wie ein einziges Durcheinander. Ihr schwarzes, zu starkes Augen Make-up war verschmiert, ihre Haare unordentlich und verknotet, ihre Augen selbst gerötet. Orion beobachtete, wie sie schweigend dasass. Ihren Blick auf dem Nachthimmel. Ihr Anblick erschreckte oder überraschte ihn kaum, im letzten Jahr gab es kaum ein Wochenende, an dem sie nicht genauso aussah wie an diesem Tag. Die Zigarette war vielleicht neu, doch der Rest war es nicht.
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Coppery
Fantasy"Man kann von jedem Ort auf der Erde entfliehen, wenn man es wirklich will." "Vielleicht stimmt das für jeden Ort auf der Erde, aber nicht für das Reich der Toten. Jeder Einzelne, den du hier siehst, ist tot, Riven. Eingeschlossen du selbst."