Und dann passierte alles in Höchstgeschwindigkeit.
Silas sprang auf, sobald er realisierte, was passieren würde. Er war der Erste, der es verstand, wahrscheinlich aus dem einfachen Grund, dass er Jaxon am besten kannte. Er hatte Jaxon bereits wütend erlebt, selten so wütend, wie in dieser Nacht, doch er wusste dennoch, wie hitzig Jaxon sein konnte und wie unbedacht er handelte, wenn er rot sah. Ohne darüber nachzudenken überbrückte er den kurzen Abstand zu den beiden Jungen, von welchen einer auf dem Boden lag, griff Jaxon am Arm und zog ihn von dem braunhaarigen Jungen weg, dessen Nase bereits gebrochen zu sein schien, nicht damit rechnend, dass Jaxon sich dagegen wehren würde. Aus einer einfachen Reaktion des puren Zorns heraus, drehte Jaxon sich um und schlug zu. Ein zweites Mal in dieser Nacht, doch diesmal traf sein Schlag nicht Grayson sondern Silas. Etwas, dass er nie gewollt hätte.
Yena schrie auf und auch Riven entkam ein erschrockenes Keuchen.
Blankes Entsetzen machte sich in den Gesichtern der Jugendlichen breit, als sie ein leises Knacken hörten, in dem Moment, als Jaxons Faust auf Silas Gesicht traf. Überraschend von dem plötzlichen Schmerz stolperte Silas nach hinten und traf schliesslich mit seinem Körper auf dem Boden auf.
Rivens Beine setzten sich endlich in Bewegung und Jaxon... Jaxon blieb stocksteif stehen. Er benötigte einen Moment, bevor er verstand, was er getan hatte und als er es realisierte, als er sah, wie sein Freund sich etwas schockiert an die Nase fasste und zusammenzuckte, als er das warme Blut daran hinunterfliessen spürte und den Schmerz, den seine Berührung auslöste, verschwand der Zorn aus seinem Gesicht und machte Platz für die pure Verzweiflung.
"Ich...", flüsterte er, bevor er einen Schritt nach vorne machte, Silas Hand ergriff und ihn auf seine Beine zog.
„Ich wollte nicht..."
Weitersprechen konnte er nicht, als Silas ihn kurzerhand an sich zog und so umarmte, wie ein Junge seinen verzweifelten, besten Freund eben umarmte."Es tut mir Leid...", stammelte Jaxon leise, "Es tut mir so verdammt Leid."
Er schluchzte auf. Und Silas verstand, dass sich etwas in Jaxon verändert hatte. Die Wut von zuvor war nicht einfach bloss simple Wut auf Grayson gewesen. Grayson war bloss der Auslöser dafür gewesen. Der kleine Funke, der alles zum Brennen brachte. Irgendetwas war passiert.
"Es tut mir Leid.", wiederholte Jaxon einige Male, bevor Silas diesen Satz nicht mehr hören konnte und ihn fester an sich drückte.
"Es ist okay.", gab er ehrlich von sich. Wie konnte er auch wütend sein, wenn er erkennen konnte, wie mitgenommen Jaxon wirklich war und wenn er einfach bloss erleichtert darüber war, dass sein bester Freund nicht mehr bewusstlos auf einem Bett lag. Erleichterung und Sorge. Das fühlte er gleichzeitig. Bis vor diesem Abend hatte Silas gar nicht gewusst, dass man so etwas zeitgleich fühlen konnte.
"Es ist okay, es war meine Schuld."
Und das meinte Silas ernst. Er kannte Jaxons Wutausbrüche, zwar hatte dieser schon länger keinen mehr gehabt, doch aus denen, die Silas miterlebt hatte, sollte er gelernt haben, dass man sich bei Jaxons Wutausbrüchen nicht einmischte und wenn man es tat, dann mit einem Sicherheitsabstand. Normalerweise hatte Jaxon sich relativ gut unter Kontrolle halten können, ob er nun aufgebracht war oder nicht, doch zu viel war in den letzten Wochen passiert, als dass irgendjemand noch von ihm erwarten konnte, dass er sich zu jedem Zeitpunkt zusammenreissen konnte und letztendlich waren temperamentvoll und impulsiv zwei Adjektive, die nur zu gut Jugendliche beschrieben.
"Es tut mir Leid."
Sich kurz mit seinem Jackenärmel über sein Gesicht wischend, um das Blut am ständigen Hinunterfliessen zu hindern, nahm Silas Jaxon zur Seite, aus der Hörweite der Runde, unter welcher sich nun auch Riven befand, und in die Nähe des Waldes.
"Ich hätte nicht... Silas, ich wollte ni..."
"Ich weiss und es ist vergessen, okay? Aber Jax, du musst mit ihr sprechen!", sprach Silas eindringlich, seine Hand auf Jaxons Schulter, sein Gesicht nahe bei Jaxons, sodass sein Freund gezwungen war, ihn anzusehen. Etwas, dass Jaxon quälte. Er wollte das Blut und die leicht gekrümmte Nase nicht sehen, die er verursacht hatte. Vielleicht hatte Silas ihm bereits dafür verziehen, doch er selbst würde es nicht so schnell tun. „Wir beide wissen, dass irgendetwas passiert sein muss, du hast nicht einfach Wutausbrüche aus dem Nichts. Und du musst darüber sprechen, du musst mit Riven darüber sprechen!"
"Ich kann mich erinnern, ich kann mich an alles erinnern. Sie ist tot, Alice... und sie ist nicht hier, sie..."
"Erzähl es nicht mir!", unterbrach Silas schnell und mit fester Stimme, sodass Jaxon augenblicklich verstummte und ihn verwirrt anblickte. Vielleicht sogar leicht enttäuscht, sodass Silas schnell weitersprach, denn er wusste, was sein Freund in diesem Moment dachte. "Du verstehst nicht richtig, natürlich wirst du es mir erzählen, ich kann es gar nicht abwarten, alles zu verstehen. Wieso du bewusstlos gewesen bist, wieso du wütend bist, an was du dich erinnern kannst und ich kann gar nicht glauben, dass ich das dir jetzt sage, aber du musst zuerst mit ihr sprechen!", wisperte er und nickte unauffällig in Rivens Richtung. Das rothaarige Mädchen hatte die beiden Jungen nie aus den Augen gelassen. „Sie hat es verdient. Als du bewusstlos warst, ist sie Tag und Nacht neben dirgewesen und hat deine Seite nicht verlassen, bis auf ein einziges Mal und das bloss, weil Helena und die Anderen sie dazu gezwungen haben. Sie war krank vor Sorge und sie braucht die Wahrheit, die ganze Wahrheit. Sie braucht sie dringender als ich, ich kann warten."
Für eine Weile hing Jaxons Blick an Riven, bevor er leicht zu nicken begann und sich durch die Haare fuhr. Die leichte Tränenschicht in seinen Augen blinzelte er weg, dann begann er leise zu lachen.
„Du kannst warten? Du bist der ungeduldigste Mensch, den ich kenne.", schmunzelte er, seine Stimme überschlug sich dabei leicht. Er strich sich selbst übers Gesicht, um die letzten Spuren von Trauer, Wut und Verzweiflung zu beseitigen.
"Das ist nicht wahr.", gab Silas amüsiert von sich. So gefiel ihm die Situation schon besser. Wenn Jaxon lachen konnte, bestand Hoffnung darauf, dass sich alles wieder zum Normalen richten würde.
"Du grillst keine Marshmallows über dem Feuer, weil du, und ich zitiere: Nicht damit warten willst, dass sie flüssig werden, wenn du in dieser Zeit zehn davon essen kannst."
"Halt die Klappe, Jax.", grinste Silas, nicht wissend, was er darauf erwidern sollte und schubste seinen Freund spielerisch zur Seite. Jaxon lachte erneut.
„Aber es ist wahr.""Okay, weisst du was? Ich habe scheisse noch einmal Jahre darauf gewartet, dass endlich einmal jemand Grayson die Nase bricht. Dieses Arschloch konnte ich noch nie ausstehen. Jahre, Jax. Wenn ich nicht geduldig bin, weiss ich nicht, wer es ist."
Sie beide blickten in Graysons Richtung, welcher es endlich geschafft hatte, vom Boden hochzukommen und nun wütend von der Runde weg schritt. Flüche verliessen seine Lippen, einige davon waren nicht für Kinderohren bestimmt, andere wahrscheinlich noch nicht einmal für die Ohren von Jugendlichen.
„Verdammtes Arschloch.", murmelte Silas amüsiert.
„Verdammtes Arschloch.", wiederholte Jaxon, bevor er seinen Blick von Grayson auf Silas richtete. „Und jetzt lass mich deine Nase heilen, du siehst verdammt scheisse aus."
„Bitte, lass uns ehrlich sein, selbst mit gebrochener Nase bin ich attraktiver als der Rest von euch Vollidioten zusammen."
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Coppery
Fantasy"Man kann von jedem Ort auf der Erde entfliehen, wenn man es wirklich will." "Vielleicht stimmt das für jeden Ort auf der Erde, aber nicht für das Reich der Toten. Jeder Einzelne, den du hier siehst, ist tot, Riven. Eingeschlossen du selbst."