Kapitel 23: Glaube und Mut

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Einzelne Regentropfen rinnen an meinen Wangen herab und tief ziehe ich die kühle Luft ein. Meine Mom und Sam beraten darüber, wie nun vorzugehen ist, aber ich habe es drinnen nicht mehr ausgehalten. Das Zimmer fühlte sich plötzlich wie ein Käfig an, der mich vollkommen einzuschließen scheint.

Ziellos tragen mich meine Beine vorwärts und erst spät erkenne ich, dass sie mich kurz vor den Rand des Waldes gebracht haben, nur einige Meter von Embry entfernt.

Er steht da, seinen Rücken erschöpft an einen Baum angelehnt, den Kopf zu mir gedreht und stumm starren wir uns an.
Ohne Worte kommt er auf mich zu und schließt mich in die Arme und obwohl ich so schreckliche Dinge über die Prägung gesagt habe, genieße ich seine Nähe nun mehr als alles Andere.

Sein Kinn liegt auf meinem Kopf und nach einigen Minuten halte ich es nicht mehr aus und murmle leise gegen sein durchnässtes T-Shirt: „Es tut mir leid, was...äh...ich gesagt habe..."

„Schon gut", erwidert er nur und ich habe das Gefühl, er weiß auch ohne dass ich es ausspreche, ganz genau, was ich sagen möchte.

Dass ich es nicht so meinte. Dass er mir, auch wenn ich es nicht zugeben möchte, tief in meinem Herzen schon mehr bedeutet als vorgesehen. Ich weiß nur noch nicht so recht, ob die Prägung damit zutun hat oder ob das überhaupt eine Rolle spielt.
Fakt ist: Ich will ihn nicht verletzen.

„Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?" Er schiebt mich ein Stück von sich und blickt mich mit seinen knuffigen Knopfaugen fragend an, den Kopf schräg gelegt.

Ich weiß, wenn ich es nicht will, wird er mich zu nichts drängen. Dennoch, oder gerade deswegen, erzähle ich ihm alles.
Alles über meinen Dad, den Mann im Wald und die gefundene Nachricht.
Embry unterbricht mich kein einziges Mal.

„Ich war so dumm. Ich hätte die Zusammenhänge zwischen meinem Dad und diesem Vampir erkennen müssen, spätestens, als mir aufgefallen ist, dass sie mich beide ,Wölfchen' genannt haben." Wütend über mich selbst schüttle ich den Kopf.

„Du hattest viel um die Ohren. Da ist es nur menschlich, soetwas zu vergessen. Keine Angst, wir und besonders ICH werde dich beschützen."

Erstaunt betrachte ich ihn, bevor ich gefährlich grinse.
„Danke, aber von so einem Kerl lasse ich mich doch nicht abschrecken. Wenn er meiner Mom oder mir auch nur zu nahe kommt, ziehe ich ihm seine Vampirzähnchen noch bevor er ,Hallo' sagen kann. Er wird noch bereuen, sich mit den Nightingales angelegt und meinen Vater getötet zu haben."

Bei meinen letzten Worten blicke ich ihn ernst an, die Hände zu schmerzhaften Fäusten verkrampft und am ganzen Körper zitternd.

Gerade noch rechtzeitig trete ich zwei Schritte zurück, als bereits meine Kleidung zerreißt und ich die Gestalt des riesigen Wolfes annehme.

Embry betrachtet mich, bevor er sich das Shirt über den Kopf zieht und sich in einen hellgrauen Wolf mit schwarzen Flecken verwandelt. Kurz beschnuppere ich ihn, stupse ihn an und renne dann vor ihm in den Wald, ihn direkt hinter mir wissend.

Regen peitscht mir ins Gesicht und für einen kurzen Augenblick verschwindet der Stein von meinem Herzen, der es belastet und mir die Luft zum Atmen nimmt, ich rase zwischen den Bäumen hindurch, jage aufgeschreckten Vögeln hinterher und jaule fröhlich auf.

Auf den Klippen kommen wir zum Stehen und betrachten die Wellen, wie sie gegen die Steine schlagen.

„Wieso heißt du eigentlich Dyla?", fragt mich Embry unvermittelt.
Nachdenklich schaue ich ihm direkt in seine schokobraunen Augen.
„Dylara bedeutet mutig und herzerfrischend, meine Mom gab mir diesen Namen. Mein Zweitname Faith bedeutet dagegen Glaube, aber auch kämpferische Natur."

„Na, das passt ja", lacht Embry so gut wie es ihm als Wolf gelingen kann, was urkomisch aussieht, da er dabei die Lefzen zu einer Grimasse hochzieht.

„Ja", erwidere ich und kann dabei eine Spur Traurigkeit in meiner Stimme nicht verhindern, „mein Vater hat ihn für mich ausgesucht. Er wollte, dass ich immer an mich selbst glaube und für das kämpfe, wofür ich einstehe."

Sanft berührt sich unser Fell, als wir zusammen in die Ferne sehen.
„Irgendwo da draußen ist er", spreche ich unser beider Gedanken aus.
„Und wir werden ihn finden", erkennt Embry entschlossen.
Ich nicke.

„Ja. Wenn er uns nicht zuerst findet."

Free Wolf - A Twilight FanFiction #TheIndividuals2019 #HolidayAwardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt